Klaus-Dieter Braun - Gesammeltes Schweigen

Befremdet wandte ich mich ab, aber unsere Wege sollten sich noch mehrfach kreuzen.

Das militärische Leben war straff organisiert. Jede Stunde war mit Beschäftigungen ausgefüllt, wie Laub zusammen harken, Straße fegen, Kleidung waschen, putzen und flicken. Die Zimmer der Vorgesetzten in Ordnung halten war unsere Beschäftigungen nach der Ausbildung. Der Küchendienst, das hieß Kartoffeln schälen, Kessel schrubben, Fliesen scheuern und den Speisesaal säubern, war immer eine willkommene Abwechslung.

Mitzunehmen war nichts, aber essen konnte man bis zum Platzen, was wir weidlich ausnutzten. Selbst an den Wochenenden wurde die Truppe bewegt. Das Haus, in dem sich unsere Unterkünfte befanden, durfte nur zu dritt, damit man marschieren konnte, verlassen werden. Wollte einer in die Verkaufsstelle, zur Buchhandlung oder zum Med.-Punkt, so musste er noch zwei Mann überzeugen, mitzugehen. Überall lauerten Vorgesetzte, die den kleinen Ausflug beenden konnten oder wegen kleinster Vergehen Strafen aussprachen.

Zum Essen wurde im Gleichschritt mit Gesang marschiert. Der Rückmarsch erfolgte im Exerzierschritt (Stechschritt), um die Verdauung anzuregen (Essenzeit: 20 Minuten). Der letzte Mann der Kompanie erhielt seine Verpflegung nach 15 Minuten, so blieben ihm 5 Minuten, um alles herunter zu schlingen. Hier traf das Sprichwort zu: Den letzten beißen die Hunde (in diesem Fall die Vorgesetzten). Mich erwischte es auch einmal. Da es sinnlos war sich einen Platz am Tisch der Kameraden zu suchen, hatte ich die besten Sachen im Stehen herunter gewürgt, den Rest mit Teller unter lautem Getöse durch das Ausgabefenster in die Küche geworfen. Der getroffene Küchenbulle war starr vor Überraschung. Das hatte sich bisher niemand gewagt. Als die Untersuchung dieses "besonderen Vorkommnisses" begann, hielt er den Mund. Da nur er mich gesehen und nicht verraten hatte, wurde der "Täter" nie ermittelt.

Ein Teil der Unteroffiziere hatte sich für den abendlichen Stubendurchgang ein "Hilfsmittel" zugelegt. Es war ein kleines Stück Lattenholz, an dessen Ende ein langer Nagel durchgeschlagen war. An den Seiten befanden sich, farbig unterlegt, Kerben. Dieses "Gerät" diente dazu, die Breite der im Spind untergebrachten Unterwäsche, des Sportzeuges und des Schutzanzuges nachzumessen. Der Nagel versetzte sie in die Lage, diese Dinge, ohne sie anzufassen, aus dem Spind zu befördern, falls sie nicht maßgenau abgelegt waren. Da immer zwei Mann einen Spind zu nutzen hatten, traf es garantiert auch einen Unschuldigen.

Über die Art und Weise der Handlungen braucht man nicht zu reden, sie war erbärmlich. Die persönlichen Ziele verschwanden im Nebel.

Die große Weltpolitik reduzierte sich auf den Politunterricht und der tägliche Dienst auf die Marotten einiger Zug- und Gruppenführer. Diese "Nor-men" des Zusammenlebens waren teils lächerlich, aber auf Dauer fast unerträglich. Memento mori - winsele nicht, dachte ich und stellte mir einmal mehr vor, wie ich den einen oder anderen Quälgeist behandeln würde, wäre er meiner Befehlsgewalt wehrlos ausgeliefert.

Sie wollten den Willen der Männer brechen, aber warum? Nur der denkende kollektivierte Soldat ist nützlich bei der Erfüllung von Aufgaben, deren Preis das Leben sein kann. Ich hatte das Buch "Kamikaze" von Bohdan Arct gelesen, und wusste, was man so alles aushalten kann. In den Augen des klugen Betrachters teilte sich das Kollektiv in zwei Teile, die einen kuschten und die anderen machte es hart. Ich gehörte zu den Letzteren.

Eine altbekannte militärische Regel sagt aus: “Wer Leistung will, muss Sinn bieten“, doch wie konnte ich in diesem Unsinn einen motivierenden Sinn erkennen? Den gröbsten Unsinn klammerte ich aus und richtete mich nach den Normen des Krieges, wie sie von Alexander Beck im Buch "Die Wolokolamsker Chaussee" geschildert wurden. Nach den Erkenntnissen aus dieser Schrift hätte unsere Ausbildung noch härter und zielgerichteter sein können. Also gab es trotz aller Quälerei noch Reserven.

In meiner späteren Tätigkeit als Vorgesetzter betrachtete ich diese erlebten "Normen" stets als abschreckendes, nicht zu duldendes Beispiel. Hoffentlich dachten die übrigen Unteroffiziersschüler ebenso.

Um die Zeit im Unteroffiziersausbildungsregiment gut zu überstehen, brauchte man eine Brücke aus der militärischen Enge in die Normalität, in die Heimat. Das waren die Briefe von meiner Liebsten, die fast täglich eintrafen und frischen Mut spendeten. Wenn die Post ausgeteilt wurde, der Spieß meinen Namen rief, verspürte ich augenblicklich ein heißes Gefühl der Freude. Blieb einmal ein Brief aus, war meine Motivation, durchzuhalten, nur noch die Hälfte wert. Dabei war es sonnenklar, dass ich am nächsten Tag zwei Briefe erhalten würde. Päckchen mit vielen leckeren Sachen versüßte mir (und auch den Zimmergenossen) so manchen Tag. Manchmal fragte ich mich, wie Renate alles unter einen Hut brachte. Arbeit, Abendschule, Briefe schreiben... .

Während der fünf Monate erhielt ich mit Abstand die meisten Briefe, Päckchen und Besuche. Renate kam nach Potsdam, einmal brachte sie auch meine Mutter mit. Die Freude war riesengroß, die Zeit zu knapp. Selbst mein Vater raffte sich auf, mich zu besuchen.

Die wenigen Urlaubstage, die man uns gönnte, waren ausgefüllt mit Gesprächen in der Familie und Ausflüge an Orte, die uns ans Herz gewachsen waren. Zuerst schaute ich immer zu meinem kranken Lieblingsopa. Er lag im Bett und trotz seiner Schmerzen zauberte er ein Lächeln und freute sich sehr über die Kleinigkeiten, die ich ihm mitbrachte. Die Frauen schafften es immer, delikate Dinge zu besorgen, sowie ein Essen zu zaubern, das ich glaubte, Weihnachten und Ostern sind gemeinsam auf meine paar Urlaubstage gefallen.

Robert verstand es immer wieder, neue Motive zu schaffen oder vorhandene zu festigen. Am schönsten waren die Stunden mit Renatchen. Die Familie zeigte Verständnis, dass fast die gesamte Urlaubszeit nur uns beiden gehörte. Leider vergingen auch diese Stunden viel zu schnell und bald saß ich wieder im Zug, der mich nach Potsdam brachte.

Später dachte ich oft an diese Zeit im UAR zurück, besonders dann, wenn wieder neue Unteroffiziere eintrafen. Diese waren zumeist bessere Einzelkämpfer, aber Truppführer waren sie nicht. Menschenführung zu lehren war nicht die stärkste Seite der Ausbilder bei der Erfüllung der Lehrprogramme an den Unteroffiziersschulen. So waren die jungen Unteroffiziere nicht selten sogar eine Belastung für die Zugführer, die eigentlich mit ihrer Pflichterfüllung genug zu tun hatten. Die Versäumnisse bei der Ausbildung zukünftiger Unteroffiziere wirkten meist bis zu deren dritten Diensthalbjahr nach. Erst dann konnten sie den Zugführern hilfreich zur Hand gehen.

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