Da ergriff ich die Initiative und führte nach bestem Wissen und Gewissen den Unterricht weiter. In meinem Eifer merkte ich nicht, wie der Hauptmann den Klassenraum wieder betrat und schweigend zuhörte. Als einzigster Abiturient der Kompanie und belesenes Parteimitglied war es mir nicht sehr schwer gefallen, in seinem Sinne fortzufahren. Ich wurde sein Assistent und übernahm noch des Öfteren die Vertretung.
Nach Dienst diskutierten wir mehrmals über Sinn und Ziel des Unterrichtes und dessen Gestaltung. Die Kameraden erkannten meine Gabe und ließen bei mir ihre Kurzvorträge ausarbeiten. Der Preis war genau so hoch, als ließen sie ihre Hosen bügeln.
Zwanzig Jahre später traf ich Weihmann wieder. Er war Oberstleutnant und Fachlehrer an der Unteroffiziersschule der Grenztruppen. Wir erkannten uns sofort und begrüßten uns herzlich.
Doch zurück nach Potsdam, in das Jahr 1967. Als Weihmann durch den Leiter der Politabteilung kontrolliert wurde, sah ich erstmals Oberstleutnant Maskeweit. Er war ein Stellvertreter des Regimentskommandeurs.
Dem schlossen sich mehrere Gespräche an. Dabei lernte ich auch das Stabsgebäude kennen, welches schon bessere Tage gesehen haben musste. Hohe Fenster, hohe Türen, teilweise mit zwei Flügeln, Stuckdecken erregten meine Aufmerksamkeit. Es sah aus wie in einem herrschaftlichen Haus aus dem vorigem Jahrhundert. Der Oberstleutnant (OSL) war eher ein Kommandeurstyp, als ein Polit- und Parteiarbeiter. Während eines Gespräches stellte er seine Entwicklung dar, und ich stellte fest, dass er zur gleichen Zeit an der Offiziersschule in Dessau-Kochstedt war wie Robert. Man kannte sich, hatten sie doch im gleichen Zug gedient. Es wurden Grüße bestellt und erwidert und ich bekam eine Sonderaufgabe. Der vom Regiment für die Werbung von Zeit- und Berufssoldaten zum Wehrkreiskommando (WKK) abgestellte Offizier war nicht sehr erfolgreich. Ich sollte es besser machen, weil ich doch die Sprache der jungen Leute beherrsche, sagte er. Ich wurde abwechselnd rot und blass. Sollte ich so ein "Prämienjäger" werden, wie ich sie vor knapp drei Monaten selbst erlebt hatte. Nein, dachte ich, du erzählst diesen Zivilisten, was du erlebt hast und wenn sie dennoch zusagen, werden es gute Soldaten. Der OSL bemerkte mein Zögern und befahl: „Morgen 06:30 Uhr holt sie mein Kraftfahrer ab, verstanden?“. „Zu Befehl“, antwortete ich. Damit war das Gespräch abrupt beendet.
Am nächsten Morgen wartete ich beim UvD, da kam ein "Wolga" angebraust, bremste scharf. Der UvD glaubte, man wolle unsere Gefechtsbereitschaft überprüfen und griff schon zu den Alarmunterlagen, aber als die Tür aufgerissen wurde, drang sehr unmilitärisch laute Musik aus dem Wagen. Als ich mich neben den Fahrer setzte, spürte ich seinen verdutzten Blick im Nacken. Mit offenem Mund starrte er uns nach, bis der Wagen seinem Blicken entschwunden war. Einen Unteroffiziersschüler im Pkw "Wolga" hatte er noch nicht erlebt. Fünf Tage war ich im Wehrkreiskommando. Am dritten Tag wurde dann doch die Gefechtsbereitschaft überprüft, ohne mich. Es wäre beinahe eine Pleite geworden, weil der Diensthabende den "Wolga" des Kommandeurs nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit beachtete.
Meine Arbeit im WKK brachte gute Ergebnisse. Ich erreichte den zweiten Platz und war zufrieden. Das Konzept, die Wahrheit darzustellen, war erfolgreich. Ich hatte niemanden überredet, keinen "freiwilligen Zwang" ausgeübt und doch junge Menschen gewonnen, die mehr für ihre Heimat tun wollten als von ihnen gefordert worden war. Ich war mir sicher, dass sie gute Profis geworden sind.
Der Ausbildungskurs erreichte seinen Höhepunkt. Erstens eine Abschlussübung und zweitens die Prüfung zum Unteroffizier standen unmittelbar bevor. Meine erste Übung war ein harter Brocken. Alarm, Kfz-Marsch zum Truppenübungsplatz in die Nähe von Rathenow, feldmäßige Unterbringung mit Feldwache und Verteidigung, was ursächlich auch Eingraben und Stellungsbau bedeutet. So verliefen Tage und Nächte. Die physischen und psychischen Kräfte schwanden, zu unserem Erstaunen zuerst bei den Vorgesetzten, den Kompaniechef ausgenommen. Am späten Nachmittag des vierten Tages sollte unser Gegenangriff starten. Plötzlich waren Panzer zu hören. Eine Panzerkompanie T-34 näherten sich unserer Stellung - von hinten! Was sollten wir mit den Eisenschildkröten machen? Wie sollten wir uns mit den Panzersoldaten verständigen? Konnten die uns überhaupt sehen, oder würden die uns überfahren? Viele Fragen bewegten uns. Der Regimentskommandeur, der unsere Hilflosigkeit bemerkte, gab uns eine Auszeit. Zwei Stunden hatten wir Zeit, das Zusammenwirken zu organisieren und gemeinsame Handlungen zu trainieren. Wieder war zu merken, dass unsere Gruppen - und Zugführer nicht viel mehr über notwendige Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit Panzern verfügten als wir Uffz.- Schüler. So unterstützten die Vorgesetzten der Panzerkompanie unsere Ausbildung. Plötzlich ertönte ein lautes „Achtung!“ des Kompaniechefs.
Ein General näherte sich unserer Formation. Wir standen starr, wie die Ölgötzen und hörten die Meldung unseres Chefs. Der Stadtkommandant, ein kluger Militärstratege, Spezialist für unkonventionelle Ideen, hatte schon als Divisionskommandeur Übungen absolviert, die in die Geschichte der NVA eingingen. Von ihm stammte die Einlage, bei dieser Übung auch Panzer einzusetzen. Wir waren die erste Kompanie Grenzer, die im Zusammenwirken mit einer Panzerkompanie bei einer Übung gemeinsam handelten. Der General suchte die einzelnen Gruppenkollektive auf und sprach mit den Soldaten. Sein Adjutant verteilte Zigaretten, so dass unsere Zurückhaltung schnell verschwand. „Genosse Uffz. - Schüler, wie sind Sie denn mit dem neuen Funkgerät zufrieden?“, fragte er mich und deutete auf die Optik meiner Panzerbüchse am Gürtel.
„Die neue Optik für die Panzerbüchse ist sehr gut, dadurch wird die Treffsicherheit um das Doppelte erhöht“, antwortete ich. Die Vorgesetzten verzogen das Gesicht. Wie kann dieser Dachs einen General belehren, dachten sie wohl. „Die kenne ich noch nicht“, sagte dieser, „erklären sie mir“. Das tat ich und er war zufrieden, gab mir die Hand und ging zur nächsten Gruppe.
Die Übung wurde fortgesetzt. Auf Panzer hockend, fuhren wir durch das Gelände, den gegnerischen Stellungen entgegen. Ich hatte vorn links, auf dem Kotflügel Platz gefunden. Wenn der Panzer durch einen Graben fuhr, glaubte ich abzustürzen. Meine rechte Hand umkrampfte den Haltegriff. Aufwirbelnder Sand stach wie Nadeln im Gesicht, die Augen tränten und die Panzerbüchse rutschte dauernd von der Schulter. Die Luke des Kommandanten wurde geöffnet. Mit schmutzigem Gesicht, umhüllt von einer schmierigen Panzerhaube grinste er mich an. Er wusste, dass wir Schiss hatten und reichte einen Kettenbolzen heraus. „Wenn wir halten sollen, klopft damit auf den Deckel der Luke“, brüllte er aus Leibeskräften, das Dröhnen des Motors überbietend und verschwand im Inneren des T-34. Aus der Ferne hörte ich schon die Platzpatronen aus den MP und das Knallen der Kartuschen aus den Geschützen unseres "Gegners". Die Panzer hielten, wir stiegen fachgerecht ab und rannten, im Schutze des Feuers der Panzer und der hinter uns liegenden Artillerie, in Schützenkette vorwärts. Der Staub erschwerte das Atmen und die schon wärmende Märzsonne ließ uns gehörig schwitzen. Die Vorgesetzten keuchten und bekamen kaum noch die Kommandos heraus. Mir machten die Strapazen wenig aus. Man hatte mich doch gut trainiert.
Als erster blieb unser Oltn. Egel zurück. Er konnte nicht mehr. Später sagte er, er habe sich den Fuß verstaucht, was niemand glaubte. Fw. Deckel folgte ihm, obwohl er zwei Minuten zuvor die Führung des Zuges übertragen bekommen hatte. Die anderen Unteroffiziere traten wenig später in die Spuren des Zugführers. So trabten wir führerlos den gegnerischen Stellungen entgegen. Als Stellvertreter von Fw. Deckel führte ich den Zug. Wir überrannten die Stellungen und sammelten uns, um die rasante Panzerfahrt fortzusetzen. Zu unserer Freude war diese an der Havel beendet. Dort trafen wir auch unsere Führer wieder, stiegen um, auf bereitstehende Schwimmfahrzeuge, setzten über, um den Angriff fortzuführen. Da die Havelwiesen unter Wasser standen, versanken wir im Morast. Mehrmals blieb ein Stiefel im Schlamm stecken. Sie wurden über die verschmutzten Socken gezogen und weiter ging es. Vorwärts Marsch!
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