Nach 4 bis 5 Minuten verließ ich unter unmilitärischen Beifall der Anwesenden das Rednerpult. Die Situation war gerettet. Am nächsten Tag wurde die Ausbildung fortgeführt, als sei nichts gewesen.
Fahrzeuge wurden von uns kaum noch genutzt. So kamen fast täglich ca. 10-15 km Fußmarsch auf uns zu. Eine enorme Quälerei für die, die keine anständigen Stiefel hatten. Auf den Märschen zu den Ausbildungsplätzen lernten wir uns wie Mot.-Schützen zu bewegen. Wir liefen in Gruppen- und im Zugverband. Dabei kam es auf bestimmte Abstände nach vorn und zum Seitenmann an.
Die übliche Antretordnung spielte keine Rolle mehr, sondern war von der Waffe abhängig, die jeder trug. Da ich das Gardemaß von 1,86 Metern hatte, erhielt ich eine Panzerbüchse, zuzüglich zwei Granaten und eine Pistole "Makarow". Damit war ich der Dritte in der Reihe. Nach mir kam mein Zweitschütze, der drei Granaten zu tragen hatte, dazu seine "Kalaschnikow". Während die NVA schon die RPG-3 als Panzerbüchse verwendete, hatten wir noch die RPG-2. Wir nannten es Ofenrohr. Es war wirklich ein Rohr. Vorn ein Nut, damit die Granate richtig eingesetzt werden konnte, hinten ein Trichter und an der rechten Seite ein Klappvisier. Der mittlere Teil war mit Hartplast verkleidet, damit sich niemand verbrennen konnte. Verschossen wurden aktiv - reaktive Hohlladungsgranaten. (PG-2) Der Treibsatz musste vor Gebrauch angeschraubt werden. Diese Granate zerschlug die Panzerung aller, zu der Zeit verfügbaren Panzer aus einer Entfernung von 500 m abwärts. Günstig waren ca. 300 m. Bei Aufprall wurde, die Granate über ein Piezokristall (heute in fast jedem Feuerzeug und auch zur Auslösung der Airbags verwendet) gezündet, entwickelte mit kumulativer Wirkung einen hohen Druck auf kleiner Fläche und eine Hitze, die den Panzerstahl zum Schmelzen brachte.
Nachdem wir aus Kostengründen die ersten Übungen mit Granaten ohne Sprengstoff auf Scheiben schossen, waren wir von der Wirkung der scharfen beeindruckt.
Dieses Foto begleitete mich in schwerer Zeit
Der Zeitungsausschnitt (1.3.1967 in der „Märkische Volksstimme“) ist ein Geschenk meines ehemaligen Kompaniechefs (1980)
Am Panzer war ein kleines Loch zu sehen, in das man zur Not einen Bleistift stecken konnte. Ein Panzer ist mit ca. 40 Granaten ausgerüstet. Diese Munition wird durch die Schweißwirkung gezündet. Dabei wird nicht selten der Turm des Panzers abgerissen, die Besatzung getötet und das Fahrzeug brennt aus. Die Handhabung der RPG-2 war schwierig. Die Entfernung musste geschätzt werden, der Wind beachtet und der Panzer sollte auch noch an einer seiner Schwachstellen getroffen werden. Wir lernten mit dem ersten Schuss zu treffen. Einige Wochen später trafen auch bei uns die RPG-3 ein. Diese verfügten über eine beleuchtbare Optik, mit der man die Entfernung bestimmen und das Vorhaltemaß bei Wind beachten konnte. In Marschlage war die Optik an der Koppelschlaufe zu tragen, was die Beweglichkeit beeinträchtigte. Besonders lästig wurden die Gerätschaften, wenn Oberleutnant Egel einen schlechten Tag erwischte. Dann brauchten wir nicht lange auf seine "Marscheinlagen" zu warten. Schlussstrecksprünge mit vorgehaltener Waffe, in allen Armeen der Welt als "Häschen hüpf" bezeichnet, bei aufgesetzter Schutzmaske war seine Spezialität. Auch MG-Feuer von hinten, sprich Kehrtwendung auf dem Koppelschloss, war eines seiner beliebten Spiele. Seine "Tiefflieger" kamen von allen Seiten, um uns zu schikanieren. Für uns Soldaten, die auf diese Einlagen zu reagieren hatten, war das sehr hart. Schnell war die physische Leistungsgrenze erreicht. Einige gaben auf, die Masse ertrug alles mit Würde. An Oltn. Egel werden sie denken, hatte er uns nicht nur einmal versprochen!
Ausgang gab es auch. Zweimal pro Woche konnten wir uns ins Ausgangsbuch eintragen. 17:00 Uhr war der Ausgangsappell angesetzt. Schikane, zweimal wöchentlich, für die, die nicht auf ein Bier und mehr verzichten konnten. Auf Kommando waren vorzuzeigen: Kamm und Taschentuch, neu, noch in Zellophan gehüllt, sonst gäbe es etwas auszusetzen. Mantel und Jacke sauber und knitterfrei, keine Fussel am Rock, nicht einfach, denn der Mantel wurde vor zwei Stunden noch zur Ausbildung getragen, da wir noch keinen Kampfanzug hatten. Die Hose frisch gebügelt, mit scharfer Falte, auch keinen Krümel an der Innennaht. Top Haarschnitt und Rasur vorausgesetzt, wurde die Unterhose, lang, kontrolliert. Anschließend musste man MdN 5,00 und das "Teil 3" vorzeigen. Waren etwa 40 von 120 Männern angetreten, so waren es jetzt nur noch 20. Doch der Spaß begann erst, denn es ging in den Keller. Dort waren am heißen Heizungsrohr 10 Klimmzüge bester Qualität vorzuzeigen. Wer das heiße Rohr nicht so lange festhalten konnte, hatte den Ausgang verspielt. Jetzt waren es noch 10 Kämpfer, die sich Hoffnung machten. Inzwischen hatte der Schreiber mit den ausgeschiedenen Ausgangsanwärtern ein (Turn-) Pferd vor den Hauseingang gestellt. Dieses war von dem Rest der Männer in der Hocke zu überspringen und der Ausgang war gerettet. Für die verbleibenden fünf waren aber noch nicht alle Hürden übersprungen. Man(n) musste noch am Wachposten vorbei, der auch eine Beanstandung haben könnte. Auf dem Weg zum Tor war es auch nicht ratsam, einem Vorgesetzten zu begegnen...
Für ein solches Theater war ich mir zu schade. Einige der Unermüdlichen hatten stets ausgezeichnete Bügelfalten, die nicht zu beanstanden waren. Diese waren von mir produziert, nach Roberts Rezept. Der Preis: 7,50 MdN oder eine Schachtel "Phillip Morris" Zigaretten, die ich in Massen mit nach Hause nahm. Ich war aber auch im Ausgang! Zweimal besuchte mich Renate.
Das war eine Freude. Ich zeigte ihr meine Unterkunft, danach gab es Ausgang - ohne Appell! Wir verlebten herrliche Stunden, die leider viel zu schnell vergingen. Übrigens: Über die Kameraden, die in den langen NVA-Unterhosen über den Flur liefen, kann sie heute noch lachen.
Der dritte Ausgang war auch ein Erlebnis - für Fw. Deckel. Geizig wie er war, ließ er sich gern aushalten. Ich lud ihn ein und er war zufrieden. Ohne Kontrolle gingen wir in das "Haus des Handwerks", eine der Gaststätten mit Format in Potsdam, die ich kannte. Dort gab ich eine Flasche "Tokajer Aszu", einen schweren Ungarnwein, aus. Anschließend verabreichte ich ihm einen starken Weinbrand. Das haut den dicksten Feldwebel um. Vorher luchste ich ihm noch ein paar gute Briefmarken ab. Die er von mir bekam, waren nur groß und bunt. So ganz nach seinem Geschmack.
Auf dem Heimweg musste sich der "starke" Mann stützen und führen lassen. Mit diesem Affen konnte er den Heimweg zur Kaserne allein gar nicht mehr schaffen. Vor dem Kasernentor stürzte er noch aus der Straßenbahn. Da habe ich mir die 180 Pfund Feldwebel auf die Schultern geladen und die 40 Meter zur Wache getragen. Zehn Minuten später lag ich im Bett, der Fw. Auf einer Pritsche, in der Arrestzelle, zum Ausnüchtern. Da ich schweigen konnte, behandelte er mich künftig wie einen Freund. Mir war es recht. Das war mein dritter und letzter Ausgang in diesem Ausbildungshalbjahr.
Ein nicht geringer Teil unserer Ausbildung war Politunterricht. Als zukünftiger Grenzunteroffizier sollte man schon wissen, was in der Welt passiert und Zusammenhänge ableiten können. Den Unterricht führten Instrukteure der Politabteilung zugweise durch. Unser Instrukteur machte einen interessanten Unterricht, was in der Masse nicht oft anzutreffen war. Die Grundlage bildete die Broschüre "Wissen und Kämpfen", von der Politischen Hauptverwaltung der NVA monatlich herausgegeben. Dort waren unter anderem auch Titel von so genannter Schundliteratur abgebildet. Landser- Hefte, Jerry Cotton u.a. Einige dieser Titel hatte ich vor meiner Dienstzeit selbst gelesen und wusste, was dahinter verborgen war. Nach dem Unterricht, den Hauptmann Weihmann anschaulich und überzeugend gestaltete, sah ich vieles mit anderen Augen. Weihmann wurde von einem Magengeschwür geplagt. Einmal musste er deshalb den Unterricht schnell verlassen. Wir saßen herum und wussten nichts mit uns anzufangen.
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