1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Man störte sich auch nicht an Koi, dem Barkeeper, der zur Begrüßung meist einfach nur nickte. Er war ein bulliger Japaner, der irgendwann mal aus Düsseldorf kam, diesen Laden kaufte und nun betrieb er eben eine Bar. Niemand wusste, wie alt er war, was er mal gemacht hatte und wohin er wollte. Es war generell schwierig, sich mit ihm zu unterhalten. Nicht, weil seine Deutschkenntnisse nicht ausreichend gewesen wären (im Gegenteil: Koi sprach kein Wort Japanisch und beherrschte lediglich Deutsch und Englisch), sondern weil er einfach ein Mensch war, den man als Außenstehender auf seine Aufgabe reduzieren konnte. Und das verkörperte Koi auch einfach und widmete sich in der Regel nur den Aufgaben, denen man sich als Wirt zu widmen hatte.
Also brummte Koi, dessen Name eigentlich Yoshihiro Yamamoto war, seinen Stammgast nur zu, nickte und machte sich daran, ihm das Getränk seiner Wahl zu servieren: Fassbier, kurz gezapft, keine Schönheit in der Schaumkrone. Dieses Fassbier war auch das einzige Bier, das Koi anbot, denn es war dieses mit der besten Gewinnmarge. Ansonsten konnte man noch verschiedene Weine bei ihm ordern, für die er einen halbwegs erlesenen Geschmack hatte, was aber kaum ein Gast würdigen konnte, oder eben die klassischen Spirituosen. Aus sämtlichen Mixgetränken machte sich der Wirt nicht viel, weshalb er dem Ordern eines Gin Tonic, Bourbon Cola oder Wodka Lemon meist mit einem zusammengekrampften Mund, der Kois wahnsinnig spitze Eckzähne komplimentierte, begegnete. Freilich gab es im Karpfenschlund keinen Sake. Oft genau darauf angesprochen, kommentierte Koi diese dumme Frage mit immer neuen pampigen Antworten.
„Habe den Reis dafür gefressen!“ war eine davon. Andere Variationen waren: „Musste ich den Yakuza als Schutzgeld überlassen!“ oder „Zum Sushi?“.
„Früh dran“, kommentierte Koi Peers Erscheinen und machte sich daran, ein Bier zu zapfen.
Und wie gern hätte er sich währenddessen eine Zigarette angezündet, aber er war sich nicht einmal sicher, ob er als Wirt genug Hausrecht hatte, um dies zu tun. Nun hatte er eben eine Nichtraucherkneipe, weil er ja pünktlich mit Beginn der Nichtraucherschutzgesetze in einigen Teilen des Landes auch aufgehört hatte, zu rauchen. Also hatte er es per Notizzetteldekret erlassen und niemand störte sich daran. Eines Tages hing ein Zettel an der Außenseite der Tür, auf der in ungefähr anderthalb Sätzen dargelegt war, dass das Rauchen ab sofort untersagt sei. Seine Gäste kamen ja dennoch und rauchten sonst einfach vor der Tür oder auf der Toilette.
„Ja. War ein nur schwieriger Tag. Alles gut bei dir?“
„Geht dich einen feuchten Dreck an. Setz dich“, brummte Koi.
Die gewohnte Herzlichkeit beruhigte Peer. Hier war er erst einmal sicher. Keiner würde ihm Pfeile in die Schulter schießen, niemand würde ihm verrücktes Zeug über die perfekte Genetik erzählen und niemand würde ihn reich machen wollen.
„Habe einen Bonus bekommen“, log Peer und nahm sich einen der zwanzig Hunderter, die er vorhin erhalten hatte. Koi betrachtete kurz das Geld. Dann betrachtete er Peer.
„Hast du nicht“, flüsterte er dann. Man konnte Koi nicht belügen, aber er stellte auch keine Fragen. Da gab es kein Entrinnen. Und selbst wenn Peer dem mies gelaunten Typen auf der anderen Seite des Tresens alles erzählt hätte, hätte keiner etwas dabei gewonnen. Peer hätte man in Säure auflösen müssen und Koi würde ohnehin nur halbherzig zuhören. Sein Desinteresse an den Belangen der Gäste war bei selbigen legendär. Aber es führte auch dazu, dass sich allerlei im Karpfenschlund abspielte: In ruhigen Ecken wurde zum Teil völlig offen über dubiose Geschäfte diskutiert und Verheiratete und Verpartnerte brachten ihre Affären gerne mit. Zwar kannte Koi viele erzählenswerte Geschichten, aber er gab sie nie zum Besten.
Also beließen es der Wirt und sein Gast dabei, dass der Wirt den Gast als zahlungskräftig verstand. Peer setzte sich weit von allen weg und signalisierte so, dass er nicht ins Gespräch kommen wollte.
Zwanzig Euro inklusive Trinkgeld später, erschien es Peer sinnvoll, das erste Mal im Leben eine Prostituierte zu sich zu bestellen. Nicht, dass er nicht auch mal so Frauen kennengelernt hätte. Aber das waren halt Frauen in seiner Liga gewesen, wie er es selbst immer ohne Schmerz formulierte. Sie waren meist entweder süß, hübsch, intelligent, gut im Leben stehend oder emotional abgeklärt gewesen. Aber noch nie vereinigte eine seiner Frauen all diese Eigenschaften, was er beharrlich darauf schob, dass das eben die weniger perfekten Frauen waren, die er kennen lernte.
Aber so eine Prostituierte: Ficken. Zahlen. Aus.
Oder gab es bei sexuellen Dienstleistungen Vorkasse? Das wusste er natürlich nicht, war aber entschlossen, es herauszufinden.
Er verabschiedete sich deshalb gegen halb neun von Koi und den beinahe unbekannten anderen Gästen und stapfte nach Hause. Seine Laune war besser als noch vor ein paar Stunden und er lächelte auf dem Rückweg dümmlich vor sich hin. Noch immer hatte sich niemand bei ihm gemeldet.
Beim Mongolen brannte noch Licht und es roch ein wenig nach vergorener Milch. Peer überlegte sogar kurz, vielleicht noch ein wenig zu essen und dem Bistro eine Chance zu geben. Aber da durchzuckte ihn der Gedanke, dass es sich wahrscheinlich nicht lohnen würden, denn immerhin sah er ja nie wirklich Gäste dort. Dazu kam, dass der Küchenchef und Inhaber gerade wieder damit beschäftigt war, seiner Frau zu erklären, warum sie an seiner Misere schuld sei. Fremde Worte drangen an Peers Ohr, aber das Geschrei wirkte nicht einladend. Also ging Peer in seine Wohnung, freute sich abermals über die nicht quietschende Tür und räumte die Küche auf.
Dann sorgte er für gedämpftes Licht und befand sich für völlig nüchtern, obwohl er inklusive des Dosenbieres knapp drei Liter Bier getrunken hatte. Dementsprechend musste er dringend pinkeln, was vor allem dazu führte, dass das Gezeter des Mongolen wenig später wieder vom Rauschen des Abwasserrohres begleitet wurde. Dann setzte sich Peer vor den Computer und suchte nach Agenturen, die Frauen für möglichst viel Geld vermittelten.
Claire, so hieß es da zum Beispiel, würde auch dem schüchternsten Mann einen unvergesslichen Abend bereiten. Sie erfüllte jede Fantasie, die nichts mit Fäkalien zu tun hatte. Sogar ein Catwoman-Kostüm nannte sie ihr Eigen. Blond, klein und kurvig war sie, mit einem gewinnenden Lächeln und beeindruckend schönen Augen.
Dann war da noch Leyla, eine schwarzhaarige, dickbusige Domina für besondere Stunden. Bei ihr gab es alles: Psychische und sexuelle Dominanz. Stiefellecken und Natursekt inklusive. Das irritierte Peer zutiefst, denn er fand es schon immer absonderlich, wenn Menschen solche Fetische hatten. Beim Gedanken daran, sich anpinkeln zu lassen, dachte er vor allem daran, dass man so etwas ja auch wieder reinigen musste. Und sein Badezimmer war für ihn einfach kein Ort für sexuelle Handlungen.
Ruby wurde damit beworben, besonders kultiviert zu sein. Sie sei ideal für Rollenspiele, die ein mächtiger Mann sich wünschen könnte, hieß es da. Peer gefiel diese Beschreibung, auch wenn er weit weg von diesem mächtigen Mann war, der man wohl sein musste. Diese Ruby war irgendwie süß und optisch keineswegs perfekt. Aber sie hatte bildhübsche Augen, war von angenehmer Statur; nicht zu groß, nicht zu klein und sie hatte keine Brüste, die Rückenbeschwerden verursachten. Einer ihrer Zähne wirkte auf dem Bild ein wenig schief und sie schien überhaupt kein Make-up zu tragen. Sie verfügte über eine Natürlichkeit, die Peer sehr anziehend fand.
Aber Peer wollte keine kultivierte Frau am diesem Abend, denn dafür – sein Sinn für Realismus meldete sich doch noch – war er zu betrunken. Er schwor sich allerdings, vielleicht zu einem besseren Zeitpunkt, wo es ihm nicht nur darum ging, das Ganze auszuprobieren, auf sie zurückzugreifen.
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