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Mittwoch, 06.08.2008, Wellington, 09:57 Uhr
Es war schon fast 10 Uhr stellte Mike erstaunt fest. So lange und so gut hatte er schon lange nicht mehr geschlafen. Martha war bestimmt schon seit früh morgens in der Küche, um ihm ein wunderbares Frühstück zu machen. Auch wenn er es nicht zugeben würde, so freute er sich doch, sie wieder zu sehen. Sie war die Einzige, die ihn schon immer verstand und am meisten von ihm wusste. Schon als Junge, wenn er seine Streiche spielte, schützte sie ihn vor den anderen und war zugleich ermahnend, als wäre sie eigene Mutter. Das hatte er ihr nie vergessen, weshalb sie auch die Einzige war, die von seinen Streichen verschont blieb. Eilig zog er seine Badehose an, um noch schnell eine Runde im Pool zu schwimmen, bevor er sich das leckere Frühstück von Martha schmecken ließ und ihr seine Schmutzwäsche übergab, die auf den Reisen angesammelt hatte. Am Pool war er überrascht, als er Isabella entdeckte, die bereits ihre Runden schwamm. Es war so ruhig im Haus, dass er dachte, dass alle ausgeflogen waren. Mike, der eigentlich der Einzige war, der sonst den Pool zum Schwimmen benutzte. Er schwamm voller Leidenschaft und hatte dem auch seinen muskulösen Oberkörper zu verdanken, den die Frauen so anziehend fanden. Ungewohnt zurückhaltend beobachtete er Isabella beim Schwimmen. Mit kräftigen Zügen glitt sie geschmeidig und schnell durch das kühle Nass. Ihre blonden Locken hingen nass an ihrem Kopf herunter und kringelten sich nur noch wenig. Er konnte ihrem Schwimmstil ansehen, dass sie regelmäßig schwamm, wenn auch nicht gerade in einem Bikini, was die blasseren Stellen an ihrem Körper verrieten, nachdem sie notgedrungen wegen der Kofferproblematik auf Lauras knappe Badekleidung übergehen musste. Nahe dem Höschen konnte er eine große Narbe ausmachen, die mit ihrem Badeanzug sonst sicherlich gut versteckt war, im Gegensatz zu Lauras knappen Bikini, der keinen Platz mehr für Kaschierungen bot. So gab auch das Oberteil mehr preis, als es verdeckte. Bei diesen Aussichten hatte er wirklich nichts dagegen, wenn ihr Koffer noch länger verschollen blieb.
„Guten Morgen, traust du dich nicht ins Wasser oder warum stehst du hier und beobachtest mich?“, sagte sie neckisch.
Mike fühlte sich ertappt. Er hatte nicht gemerkt, dass sie auf ihn aufmerksam geworden war.
„Guten Morgen. Ich dachte nicht, dass jemand hier wäre. Normal gehört mir der Pool alleine.“
„Kein Problem, ich will dich nicht stören. Ich bin sowieso schon fertig.“
„So war das nicht gemeint! Es hat mich nur gewundert, dass überhaupt jemand hier ist. Laura benutzt den Pool nur zum Sonnenbaden und ich dachte außerdem, dass sie schon ihr Vergnügungsprogramm für dich begonnen hat.“
„Gott sei Dank noch nicht! Bei ihr kam in der Agentur etwas dazwischen, weshalb ich noch Galgenfrist bis zum Nachmittag habe.“
„Unglaublich, dass sie dich mit mir alleine im Haus gelassen hat“, bemerkte Mike sarkastisch.
„Du wirst lachen, aber ich habe meine Belehrungen schon bekommen. Sie hatte mich verglichen mit Rotkäppchen und du warst der böse Wolf! Ich kam mir vor, wie mit meinen Kindern.“
„Ich kann ich mir gut vorstellen, dass ihre Beschreibung so aussah!“ bestätigte er ihr. Doch viel mehr war er überrascht über die Aussage der Kinder. Er hatte ihr noch keine Kinder zugetraut und warum war sie ohne sie verreist? Seiner Neugierde nachgebend fragte er nach.
„Du hast Kinder?“
„Nein, keine eigenen. Ich bin Erzieherin im Kindergarten und meine Kinder lieben so gerne die Märchen, vor allem eben Rotkäppchen. Macht es dir nichts aus, dass Laura so von dir denkt und spricht?“
„Nein, Laura ist sicherlich kein Maßstab für mich. Und wer weiß, vielleicht stimmt es ja auch?“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du nur annähernd so bist. Und normal habe ich in diesen Dingen eine Ahnung.“
„Hast du gestern nicht noch gesagt, dass es dir schwer fällt mich einzuschätzen? Woher willst du jetzt wissen, dass Laura nicht recht hat?“
„Weil ich gestern einen winzig kleinen Einblick in deine Gefühle erleben durfte, als die Verlobung zur Sprache kam. Du hattest für einen kurzen Moment die Kontrolle verloren und nicht mehr deine undurchsichtige Rolle gespielt, die dich sonst dominiert“, erklärte sie ihre Meinung.
Mike erschrak innerlich. Wie konnte sie in so kurzer Zeit, so viel von ihm erfahren? Er war immer sehr kontrolliert und niemand kam hinter sein wahres Ich. Wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Wie fand sie so schnell von ihm heraus? Sicherlich nicht von Laura. Also woher?
„Gegenfrage, wovor hast du so viel Angst, dass du jetzt hier bist, obwohl du so eine panische Flugangst hast?“, drehte er den Spieß um, um von sich abzulenken.
Isabella erbleichte und die Traurigkeit vom Flughafen kehrte in ihren Blick zurück. Augenblicklich bereute er es, sie darauf angesprochen zu haben, aber er wollte auch nicht, dass er weiterhin das Thema war.
„Darüber will ich nicht reden!“
Und mit einem Satz war sie aus dem Wasser und ging schnellen Schrittes zu Lauras Bademantel, der über der Lehne des Stuhls hängte und verschwand ins Hausinnere. Mit einem Hechtsprung sprang Mike ins Wasser und durchquerte mit kräftigen Zügen schnell das Becken. Warum konnte nicht alles so einfach sein, wie schwimmen? Er tauchte unheimlich gerne ab und fühlte die Stille, die ihn umgab und zur Ruhe kommen ließ. Im Wasser fühlte er sich frei und unabhängig. Hier konnte er nur er selbst sein und musste niemandem etwas vorspielen. Nach 30 Bahnen, seinem täglichen Pensum, ging er zu seinen Sachen und musste wieder an Isabella denken. Warum wirkte sie so erschrocken, als er sie darauf ansprach? Es ging ihm einfach nicht aus dem Kopf, was sie so beschäftigte. Aber viel mehr beschäftigte ihn die Tatsache, dass sie in ihm zu lesen schien, wie in einem Buch und in seinem Kopf herum spukte. Vielleicht wäre es doch besser, wenn er schnell wieder seine Abreise plante. Er schlüpfte in seine Jeans, zog sich ein T-Shirt über und ging in die duftende Küche. Hoffentlich brachte ihn Martha auf andere Gedanken. Die liebevolle, kleine Martha strahlte, als sie ihn sah und lief ihm freudestrahlend entgegen. Sie drückte ihn erst an sich, zog ihn kurze Zeit später auf Armeslänge von sich, um ihn anschließend zu mustern. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Isabella aufstand und aus der Küche verschwand.
„Junge, du siehst viel zu mager aus. Bekommst du auf deinen Reisen nichts mehr Anständiges zu essen?“
„Doch, doch genügend. Aber nichts schmeckt so gut, wie bei dir“, schmeichelte er ihr.
„Na, das können wir sofort ändern. Was möchtest du essen?“
„Nichts geht über deine Pancakes mit Blaubeerfüllung und einer Tasse Kaffee. Dann bin im Himmel angekommen.“
„Oh, du Charmeur. Du weißt immer noch, wie man einer alten Frau eine Freude macht“, lachte Martha.
„Wer redet hier von einer alten Frau? Du siehst so bildhübsch wie eh und je aus. Das Alter kann dir doch nichts anhaben!“
Martha kicherte wie ein kleines Mädchen und machte sich an die Zubereitung der Pancakes. Sie war wirklich um einiges gealtert, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie musste jetzt 66 Jahre alt sein. Genau wusste das niemand der Carringtons, denn sie hütete ihr Alter wie ein Staatsgeheimnis. Mehrere graue Strähnen durchschlichen ihr blondes Haar und einige Falten mehr, als das letzte Mal, hatten sich um ihre Augen und Mundwinkel gebildet. Auch an Gewicht hatte sie etwas zugelegt und hatte ihre kleine, pummelige Figur verstärkt. Aber nichts desto trotz, strahlte sie nach wie vor Anmut, Liebenswürdigkeit und Stärke aus, die sie immer noch attraktiv machte.
„Und hast du eine nette Frau für dich gefunden?“
„Nein, sonst wäre ich wohl sicher nicht alleine hier.“
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