„Danke Mike für deine Geste. Du kannst dir nicht vorstellen, was mir das bedeutet. Ich hätte da auch noch eine Bitte. Unsere Streitigkeiten liegen schon so lange zurück, dass keiner mehr weiß, warum. Was hältst du davon, wenn auch wir einen Neuanfang wagen?“
Mike wusste sehr wohl noch, was den Streit ausgelöst hatte und zwar die Tatsache, dass William immer von ihren Eltern in allem bevorzugt wurde. Im Grunde genommen, war das nicht richtig und fair William gegenüber, aber der leichteste Weg um mit seinem Frust umzugehen. Doch das behielt er in dieser Situation besser für sich. Was sprach also dagegen, sich mit ihm auszusöhnen? Für den Frust würde er sich ein anderes Ventil suchen müssen, dagegen könnte es von Vorteil sein, William auf seiner Seite zu haben, wenn er mit einigen Aktionen wieder mal übers Ziel hinausgeschossen war.
„Es spricht eigentlich nichts dagegen, warum wir die Geschichte noch länger andauern lassen sollten. Brüder?“
„Brüder“ antwortete William und ein Strahlen huschte über sein Gesicht. Er freute sich wirklich über diesen Zustand. Nur aus Mikes Verhalten wurde Isabella nicht schlau. Seine ganze Mimik passte einfach nicht zur Situation. Klar er lachte auch, aber es wirkte nicht echt. Nicht so, wie sie es erwartet hätte. Bei Laura schien es ihm wesentlich leichter gefallen zu sein, als bei seinem Bruder.
„Darauf müssen wir anstoßen!“, erklärte William und verschwand in der Küche, um den Wein und die Gläser zu holen.
„Was ist los?“ fragte Isabella ihn. Mike sah sie verlegen an.
„Was sollte sein?“ fragte er dagegen vorsichtig zurück. Es war ihm nicht geheuer, dass sie scheinbar in ihm lesen konnte, wie in einem offenen Buch. Er lebte gerne für sich und das sollte auch weiterhin so bleiben. Ehe Isabella antworten konnte, kam auch schon William wieder zurück und sie verstummte. Er reichte jedem ein Glas und schenkte großzügig die Gläser voll. Die Gläser klirrten und auch Laura kam aus der Küche, um dem Moment beizuwohnen.
„So ich hoffe, ihr seid mit euren Regeln soweit durch. In 2 Minuten ist das Essen fertig und danach kann es losgehen. William hilfst du mir noch kurz?“ bat ihn Laura.
Sie gingen zurück in die Küche und Isabella nutzte den Moment den Faden von vorhin aufzugreifen.
„Ich hatte den Eindruck, dass es dir sehr schwer gefallen war, dich mit deinem Bruder zu versöhnen. Viel mehr, als Laura gegenüber. Und es macht dich nicht glücklich. Jedenfalls nicht so, wie William. Warum?“
Da war es wieder. Wieder einmal hatte sie das ausgesprochen, was er gedacht und empfunden hatte. Woher zum Teufel wusste sie das nur? Er konnte sich sehr gut unter Kontrolle halten, also woher verdammt noch mal, wusste sie das?
„Du machst dir viel zu viele Gedanken um mich. Du solltest dich eher deinen Problemen stellen, als mich analysieren zu wollen“, antwortete er ärgerlich.
„Ich wollte dich nicht analysieren. Es hat mich nur interessiert. Aber ich habe schon verstanden!“ versuchte sie ihn zu besänftigen.
„Und genau das bezweifle ich umso mehr. Lass uns einen Deal schließen: Solange du nicht bereit bist von deinem Problem zu erzählen, werde ich mich auch nicht weiter analysieren lassen. Und heute Abend ist einfach alles tabu. Wir spielen Karten und das war es, okay?“
Es war Mikes Versuch sie zu stoppen. So konnte er zumindest den heutigen Abend überstehen. Für die nächsten Tage müsste er sich etwas anderes überlegen. Vielleicht sollte er sich auch mit dem Gedanken auseinander setzen, wieder früher abzureisen. Er sah sie an und wartete auf eine Antwort. Sie sah gekränkt aus, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen, auch wenn es ihm sofort leid tat.
„Ich verstehe nicht, warum du dich komplett einigelst, aber ich respektiere es. Lass uns einfach nur Karten spielen. Hast du die Regeln verstanden?“
Sie hätte sich die Frage sparen können und wollte nur höflich das Thema wechseln. Denn sie hatte schon längst erkannt, dass es ein Kinderspiel für ihn war, dieses Spiel zu lernen. Trotz der vielen Regeln und Varianten, hatte er sie schnell begriffen und behalten. Er war überaus intelligent und seine Stärke lag, ohne Frage, im logischen Denken. Trotzdem verstand sie seinen Rückzug in die emotionale Isolation nicht.
„Wenn das alle Regeln gewesen waren, werde ich das sicherlich hinbekommen. So schwierig ist das immerhin auch nicht.“
„Schwierig nicht, aber komplex. Ich kenne viele, die sich nur auf die Regeln versteift haben und den Sinn des Spieles dabei aus den Augen verloren hatten. Das waren dann die Menschen, die das Spiel nicht mochten und nie wieder spielten. Die Begeisterung und der Spaß am Spiel liegen in der Beherrschung und Aushebelung der ungeschriebenen Regeln. Und natürlich auch darin, die anderen damit zu ärgern. Laura wird nichts anderes bei dir probieren, aber ich denke, dass du intelligent genug bist, es bald zu merken und entsprechend zu reagieren.“
Laura und William unterbrachen sie und brachten das Essen herein. Es duftete herrlich. Eins musste man Laura lassen, sie verstand es, aus den einfachsten und verschiedensten Lebensmitteln etwas Leckeres zu zaubern. Beim Essen wurde reichlich Wein getrunken, so dass ziemlich schnell die erste Flasche leer war und die Stimmung ausgelassener wurde. Nachdem der Tisch abgeräumt war, setzten sich die Partner gegenüber. Laura wollte sich unbedingt vor Mike setzen. Sie würde ihm das Spielen schon noch beibringen, dachte sie heimtückisch. Aber zumindest sollte er nicht zum `rauben´ kommen. Leider würde es William wahrscheinlich genauso gehen, denn Isabella war in dieser Hinsicht mehr als nur exakt und merkte sich sehr genau, welche Karten jeder Spieler in den Stapel schmiss. Sie war schon immer die Einzige gewesen, die selbst bei einem riesigen Stapel immer ganz genau wusste, welche Karten sich darin befanden.
„Also die Regeln sind in etwa für alle bekannt. Sinn des Spieles ist es, als Paar zuerst 5000 Punkte zu erreichen. Um ein Spiel zu beenden, muss man mindestens einen Canasta echt oder unecht haben. Um einen Stapel rauben oder beim Partner anlegen zu können, muss man erst seinen Einsatz raus legen. Der Einsatz wird je nach Punktestand erhöht. Bis 1.495 Punkte sind es 50 Augen, ab 1.500 bis 2.995 Punkte sind es 90 Augen und ab 3.000 Punkte sind es 120 Augen. Gibt es dazu noch irgendwelche Fragen?“
Laura mischte die Karten und schaute in die Runde. Alle schüttelten die Köpfe, also fuhr sie fort.
„Alle Karten mit den Zahlen 4 bis 7 zählen 5 Augen, ab 8 bis zum König 10 Augen und die Ass zählt 20 Augen. Alle Karten mit der 2 sind Joker und zählen ebenfalls 20 Augen. Sie können beliebig an andere Karten angehängt werden, sobald diese mindestens 2 Stück, also ein Paar sind. Die Steigerung der 2er Joker sind die „Fuffis“. Diese zählen 50 und haben so schöne Bilder mit der Zipfelmütze auf den Karten.“
Laura und Isabella mussten bei der Erklärung grinsen und die Männer starrten sie dagegen verwirrt an.
„Wir kennen gar keine anderen Ausdrücke dafür! Von klein auf, wurden uns nur die Ausdrücke „Fuffis“ oder „die mit der Zipfelmütze“ beigebracht, auch wenn es noch so blöd klingen mag. Und da wir unsere Traditionen nicht brechen wollen, müsst ihr euch eben diese Begriffe auch aneignen. Basta!“ Mike versuchte es zu üben, doch es kam alles andere als „Fuffi“ heraus. Fiffi, Faffi, Fuffu. Zumindest hatten Isabella und Laura viel zu lachen.
„Dann gibt es noch die 3er. Das sind ganz besondere. Für die roten 3er darf man eine neue Karte nehmen. Pro rotem 3er zählt er 100 Punkte. Hat man mindestens 1 Canasta zählen sie Plus 100 Punkte. Hat man dagegen keinen Canasta zählen sie Minus 100 Punkte. Wenn man alle 4 roten 3er hat, zählen sie zusammen gleich 1000 Punkte. Dann wird es erst recht interessant. Das Paar, das sie hat, wünscht sich, dass sie Plus zählen und beeilt sich mit dem Canasta und das gegnerische Paar ist daran interessiert, dass sie Minus zählen und will schnell Schluss machen.“
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