„Die größten Spannungen bei dem Spiel sind, große Stapel zu rauben, viele Canasta in einem Spiel zu bekommen, alle 4 roten 3er zu bekommen oder einen Jokercanasta zu schaffen“, ergänzte Isabella Lauras Ausführungen.
„Und was ist mit den schwarzen 3ern? Bedeuten die auch etwas?“, fragte Mike folgerichtig.
„Eine berechtigte Frage“, antworte Isabella. „Die schwarzen 3er sind sogenannte „Bremser“, d. h. diese Karten können nicht gesammelt oder geraubt werden. So jetzt müssten wir so ziemlich alles haben.“
„Nicht ganz, Isa. Du hast die Canasta vergessen zu erklären. Ein Canasta besteht aus 7 Karten. Wenn es 7 gleiche Karten, also z. B. 7 Buben sind, dann ist es ein echter Canasta. Der bringt dann 500 Punkte. Sind Joker beim Canasta dabei, als sogenannte Lückenfüller, dann zählt der Canasta nur noch 300 Punkte. Jedoch dürfen maximal nur 3 Joker pro Canasta eingesetzt werden. Das non-plus-ultra der Canasta ist der Jokercanasta. Dieser besteht aus 7 Jokern. Es dabei unwichtig ob er aus 2ern oder „Fuffi“ Jokern besteht. Der Jokercanasta zählt 1000 Punkte und hat daher seinen hohen Stellenwert. Zum Schluss gibt es pro Spiel das „Schluss machen“. Alle Karten müssen abgelegt werden, entweder an den Anlegestellen oder im Stapel abgelegt werden. Das Paar, das Schluss macht, bekommt zusätzlich als Belohnung 100 Punkte. Alle Karten, die bei den anderen bis dahin noch auf der Hand sind, werden dann Minus gezählt. Es gibt so viele Spiele, bis ein Paar mindestens 5000 Punkte erreicht hat. Soweit verstanden, Mike?“
„Keine Angst, ich werde es schon kapieren.“
Natürlich waren es noch lange nicht alle Regeln und Kniffe, die die beiden Frauen den Männern mitgeteilt hatten. Die ersten zwei Spiele, musste Isabella die Fehler von Mike ausgleichen und trotzdem lagen sie nur knappe 1300 Punkte zurück. Laura hatte definitiv den Vorteil, dass William bereits dieses Spiel ein paar Mal gespielt hatte. Aber Canasta wäre nicht Canasta, wenn selbst bei diesem Vorsprung noch nichts entschieden war. Laura schrieb akribisch genau die Punkteliste und verkündete den Zwischenstand.
„Isa und Mike haben 1260 Punkte und brauchen 50 Augen, um raus legen zu können. Wir dagegen haben 2540 Punkte und müssen 90 Augen raus legen.“
William war mit Karten ausgeben dran. Und Mike durfte „Schlecken“. Auch so eine Regel, die die Frauen ganz vergessen hatten zu erwähnen. Das bedeutete, wenn man vom Kartenstapel abhob und darunter ein Joker war, durfte man den Joker und alle danach kommenden Joker behalten. Nachdem er immer mehr solcher Regeln und Begriffe kennen lernte, hegte Mike die Vermutung, dass wahrscheinlich die meisten Regeln keiner vernünftigen Spielanleitung des Spiels entsprachen, sondern irgendwann von Isabellas und Lauras Verwandtschaft hinzugedichtet wurden. Das dritte Spiel ging relativ punktgleich aus. Aber jetzt hatte Mike auch die Taktik von Isabella und Laura durchschaut. Es war für Mike klar, dass sie auf jeden Fall den gleichen Lehrer gehabt haben müssen, so ähnlich sind sie sich in einigen Spielzügen. Ebenfalls ist ihm aufgefallen, dass sie die Karten in ihrer Hand gleich sortierten. Beide steckten links die Joker in ihr Blatt und ganz rechts die Karten, die sie wegwerfen wollten. Nachdem Laura sehr genau aufpasste, was er in den Stapel schmiss und ihn ausnahmslos mit diesen Karten fütterte, wollte er eine List ausprobieren. Nachdem mehrere Runden keiner raubte und genug Karten im Stapel sich sammelten, schmiss er einen Buben in den Stapel. Doch Laura war vorsichtig und schmiss ihm nicht gleich auch einen Buben in den Stapel. Immerhin traute sie ihm nicht. Als Zugabe schmiss er den nächsten Buben in den Stapel. Das nahm sie zum Anlass, dass sie ihm in der folgenden Runde auch einen Buben schmiss. Verwirrt und wütend starrte sie ihn an, als er keine Karte zog, sondern zwei weitere Buben aus dem Blatt zauberte und mit 2 Jokern ergänzte, um seine 90 Augen zu legen.
„Aber du hast doch die Buben gerade weggeschmissen!“, schimpfe sie.
Er verstand jetzt sehr genau, was Isabella mit aushebeln der ungeschriebenen Regeln meinte. Laura hatte sich immer darauf verlassen, dass sie ihm das in den Stapel legte, was er weggeschmissen hatte. So konnte er nicht rauben. Durch seinen Zug, sie mit dem zu füttern, was er später haben wollte, hatte er den Spieß einfach umgedreht. Es machte wirklich einen riesen Spaß und er fing an das Spiel zu mögen. Er blickte auf und sah Isabellas Blick. Sie lächelte ihn an und war stolz auf ihn. Sie wusste, dass er es schnell lernen würde und das Prinzip erkannte, wenn es vorkam.
„Ja und du jetzt auch! Danke für den Stapel“, konterte Mike.
Laura schäumte vor Wut. Nie hätte sie ihm zugetraut, dass er so schnell die Regeln und Tricks lernen würde. Sie und Isabella hatten schon als Kinder das Spiel gelernt und konnten schon spielen, bevor sie in die Schule kamen. Für Außenstehende dagegen war das Spiel mit seinen vielen Ausnahmen und Sonderregeln immer schwierig und schlecht nachvollziehbar gewesen. Selbst William hatte mehrere Abende gebraucht, bis er überhaupt mit ihr halbwegs spielen konnte. Mike war wirklich in dieser Hinsicht um einiges schneller. Sie hätte ihn einfach nicht unterschätzen dürfen. Nach seinem Raubzug sortierte Mike den erbeuteten Stapel aus und war begeistert, als er feststellte, dass er nicht nur einen Bubencanasta, sondern auch einen echten 5er Canasta herausbrachte.
„Gut gemacht! Aber du kannst dir sicher sein, dass Laura kein 2. Mal darauf reinfallen wird“, gratulierte ihm Isabella zu dem gelungen Coup.
„Wird sich noch zeigen! Aber ich verstehe jetzt, was du vorhin gemeint hast. Das Spiel gewinnt dadurch erst die richtige Spannung.“
Als Isabella an der Reihe war, legte sie alle Karten bei Mike an und beendete das Spiel mit einem grandiosen dritten Canasta. Laura blieb der Mund offen stehen. Das war das erste Mal, dass sie in diesem Spiel Minuspunkte machten und dann auch noch mit drei roten 3ern. Am Ende des Spieles war der Punktestand wieder völlig offen.
„Isabella und Mike haben 4.280 Punkte. Wir haben 4.035 Punkte. Alle müssen 120 Augen raus legen.“
Mit einem weiteren schnellen, aber grandiosen Sieg besiegten Mike und Isabella das andere Paar um Längen.
„Süße, sei nicht sauer. Ich habe dir ja gesagt, dass Mike ein guter Kartenspieler ist“, versuchte William seine schmollende Laura zu trösten und kam um den Tisch herum, um sie zu küssen.
„Schon früher hat er sich lieber seinen Kartentricks gewidmet, als seine Hausaufgaben zu machen.“
„Das lass ich so nicht auf mir sitzen. Ich fordere Revanche!“
„Ich habe von dir nichts anderes erwartet. Du wärst doch nicht meine Cousine, wenn du jetzt aufgeben würdest! Der Abend ist noch jung und wenn ich noch etwas Wein haben könnte, kann es sofort weitergehen.“
William erhob sich zum Weinkeller, um eine weitere Flasche Rotwein zu holen.
„Isa, kannst du mit Mike Plätze tauschen? Ich will doch mal sehen, ob Mike auch gut genug ist, mich nicht rauben zu lassen!“
„Jetzt willst du es aber wirklich wissen. Wie in alten Zeiten! Aber gerne, daran soll es nicht liegen.“
Auch wenn es Laura nicht zugeben wollte. Es machte ihr unheimlich viel Spaß Mike herauszufordern. Die alte Spannung, die Laura schon lange vermisste, war in das Spiel zurückgekehrt. So, wie jetzt, war es eben nur bei „über Kreuz“ und mit guten Spielern möglich. Und eins musste sie Mike lassen. Er war ein verdammt guter Spieler. Es reizte sie durchaus, sich mit ihm auf geistiger Ebene im Spiel zu messen. Isabella hatte wieder einmal ein Gespür dafür, wie man alle an einen Tisch bekam. Ob Waffenstillstand hin oder her, freiwillig hätte sie sich nämlich nicht mit Mike hingesetzt und hätte einen Abend mit ihm verbracht, aber in der Kombination mit Canasta, war es das reinste Vergnügen. William kam mit 3 Flaschen Rotwein in den Armen zur Tür herein.
Читать дальше