Überrascht hielt ich erneut inne. Eine derartige Reaktion hatte ich beileibe nicht erwartet. Erstmals entfaltete sich der vage Verdacht, am Ende doch auf mir wenig wohlgesinnte Vertreter meiner Spezies zu treffen. Mir wollte jedoch nicht in den Schädel, was diese Menschen gegen mich im Schilde führen konnten. Noch nie war ich Meinesgleichen begegnet, auf Gondwana hatte es nur noch mich und meine Schwester gegeben. Nun traf ich zum ersten Mal auf andere Menschen – und sie zogen sich vor mir zurück! Hatten sie am Ende Angst? Ja, so musste es ein! Weswegen sonst sollten sie Schutz in irgendwelchen Verstecken suchen?
Dennoch warnte eine innere Stimme hartnäckig vor ihnen, was mich dazu veranlasste, meine Schritte abermals zu verlangsamen. Womöglich wäre es klüger gewesen, umzudrehen oder wenigstens nach einer Schlagwaffe Ausschau zu halten, doch wollte ich den anderen keinerlei Veranlassung geben, in mir eine Gefahr zu sehen. Verdammt nochmal, ich stand bedingungslos auf ihrer Seite, sehnte mich so schmerzhaft wie noch nie zuvor nach Kontakt, einem Austausch welcher Informationen auch immer, nach einer anderen Stimme, die zu mir sprach. All dies lag nur noch einen Steinwurf entfernt, die Erfüllung künstlich unter Verschluss gehaltener Träume zum Greifen nahe.
Und doch fühlte es sich anders an, als jemals gedacht. Zu keiner Zeit hatte ich jemals auch nur vermutet, in anderen Menschen so etwas wie eine Bedrohung zu sehen. Dies von einer Sekunde auf die andere in Betracht ziehen zu müssen, brachte mich vollends aus der Fassung.
„Hey!“ Wider alle Überzeugung schrie ich plötzlich los, der Stelle entgegen, wo ich sie bis zuletzt gesehen hatte. „Lauft nicht weg! Bleibt hier! Bitte, bleibt!“
Niemand kehrte zurück. Der Platz blieb leer. Auf der Suche nach Antworten fand ich nur eine einzig plausible: sie verstanden meine Sprache nicht, werteten mein Gebrüll vermutlich als Aggression. Am Ende war es mir wohl doch gelungen, sie endgültig zu verjagen.
Nur aus diesem Grund, der Angst, einen falschen Eindruck erweckt zu haben, nahm ich wieder Fahrt auf und rannte, jedwede Vorsicht außer Acht lassend, weiter.
Da waren sie plötzlich wieder. Zunächst sah ich nur drei von ihnen vor mir aus den Büschen herauskommen. Der Rest tauchte gänzlich unerwartet in meinem Rücken auf. Ihre ungeschlachten Bewegungen machten keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Vielmehr ging von ihnen jene Art Bedrohung aus, die ich schon von Weitem gespürt und so geflissentlich ignoriert hatte. Wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der Tat so etwas wie Furcht vor mir empfunden hatten (wovon ich nicht mehr ausging), schienen sie sie auf jeden Fall spätestens jetzt überwunden zu haben.
Zu dumm!
Jetzt war ich ihnen zu nahe gekommen, um den Rückzug anzutreten.
3
Kincaid
Von allen Seiten umzingelt, drehte ich mich bedächtig im Kreis und blickte in sechs entschlossene Gesichter. Auf zwei älteren Fratzen lag undefinierbares Grinsen, ein gieriges Gaffen, welches mir am Wenigsten zusagte. Was auch immer sie wollten, sie würden es sich nehmen. Und es konnte nicht mehr lange dauern. Jedem der sechs war ich zwar körperlich bei weitem überlegen – doch ihre Überzahl glich dieses Manko bestens aus. Meine Chancen standen schlecht.
In unverständlicher Sprache schleuderte mir einer etwas entgegen, was sich nach komplettem Blödsinn anhörte. Unwillig schüttelte ich den Kopf. „Ich verstehe kein Wort von dem was du sagst!“ hielt ich ihm scharf entgegen. „Was zum Teufel wollt ihr überhaupt?“ Ich ging nicht davon aus, verstanden zu werden. Nach allem was ich wusste, existierten Tausende verschiedener Sprachen und Dialekte unter den Menschen, es wäre vermessen gewesen, anzunehmen, jemand würde kapieren, was ich von mir gab.
„Ingarihi!“ sagte einer hinter mir, es klang triumphierend. „Schon wieder! Die fallen jetzt alle Tage vom Himmel!“
Dreckiges Gelächter. Schlagartig wurde ich mir endlich meines Fehlers bewusst. Die sechs Gestalten waren nie und nimmer mit mir zusammen hier angekommen. Nein, sie gehörten hierher, befanden sich aller Wahrscheinlichkeit nach bereits Zeit ihres Lebens auf diesem Planeten.
„Gib auf, mein Junge, es gibt kein Entkommen!“ rief mir der Erste wieder zu, allem Anschein nach der Anführer. Ich stand weiterhin da wie vom Donner gerührt.
Sie verstanden mich!
Der Typ war augenscheinlich der Älteste dieser merkwürdigen Truppe. Ich schätzte ihn auf Ende fünfzig. Sein Gesicht, übersät mit pockenartigen Narben aller Größen und Formen, sah übel aus. Der dicke Hautwulst an der Nasenwurzel trug wenig dazu bei, ihn sympathischer erscheinen zu lassen. Noch weniger der kahl rasierte Schädel, der an zwei Stellen im Stirnbereich zwei ungleiche Vertiefungen aufwies, wohl der Beweis früherer Bekanntschaft mit welcher auch immer gearteten Schlagwaffe. Die unnatürlich weit auseinanderstehenden Augen (eines blau, das andere braun oder vielleicht auch grün) nahmen ihm den letzten Rest Menschlichkeit. Mir schauderte bei seinem Anblick. Das Wurfnetz, welches er in schaufelartigen Händen hielt, bereitete mir jedoch die meisten Sorgen. Was sie damit vorhatten, konnte ich mir lebhaft ausmalen. Wenn ich mich erst einmal darin verfangen hatte, würden sie leichtes Spiel haben. Soweit wollte ich es allerdings nicht kommen lassen und beschloss, auf unbeeindruckt zu machen.
„Aufgeben? Vor wem? Vor euch?“
„Hört euch den an!“ Pockengesicht lachte dreckig. „Das nennt man dann wohl Galgenhumor. War wohl mal ein Komiker, bevor ihn die Toorags am Arsch hatten!“
„Was wollt ihr? Ich habe nichts, wie ihr ja wohl deutlich sehen könnt. Also macht, dass ihr wegkommt und lasst mich in Frieden!“
„Ich rate dir, keinen Widerstand zu leisten. Wäre doch schade um dich, wenn du uns zwingst, Gewalt anzuwenden. Unverletzt kriegen wir dich viel besser los. Also, du hast die Wahl!“
Worauf zielte er ab? Wo planten sie, mich loszuwerden? Ich verstand kein Wort. Noch nicht. „Ihr könnt’s ja mal versuchen.“ Ich hoffte, mein verächtliches Grinsen wirkte überlegen genug. Tat es aber nicht. Mit einer beinahe unmerklichen Bewegung aus dem Handgelenk heraus schnellte das Netz in die Höhe und auf mich zu. Beide Arme hochreißend, versuchte ich es aufzuhalten, irgendwie abzuwehren, doch gelang es nicht. Innerhalb von Sekundenbruchteilen war ich darin gefangen. Nicht nur das Netz zog sich damit zu, sondern auch der Ring meiner Gegner. Sie fielen gleichzeitig über mich her, von allen Seiten. Einem, dem weitaus Jüngsten, gelang es mir trotz des einengenden Netzes einen Fausthieb in die Visage zu verpassen, bevor ich unter dem Gewicht von fünf Körpern in die Knie ging. Mit einem Wutschrei bäumte ich mich jedoch wieder auf und schüttelte zwei Widersacher ab. Jedoch bedeutete dies nur einen kleinen Aufschub. Vielleicht hätte ich ohne Netz eine Chance gehabt. So aber war ich zu sehr behindert, um einen wirkungsvollen Gegenangriff zu starten. Schon hingen sie wieder tonnenschwer an mir und zerrten mich unnachgiebig zu Boden. Bemerkenswerterweise schlugen sie nicht auf mich ein, sie versuchten vielmehr, mich unter ihrem Gewicht kampfunfähig zu machen. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen und schleuderte noch einmal einen von mir herunter, bevor meine Verteidigung zusammenbrach und ich mich heillos in diesem verfluchten Netz verstrickte.
„Ja, kämpfe nur dagegen an, das nützt dir zwar nichts, aber es wird deinen Preis steigern.“ Die keuchende Stimme des Alten direkt an meinem rechten Ohr vernahm ich zwar laut und deutlich, verstand aber den Sinn hinter seinen Worten nicht. Von welchem Preis faselte er da? Als ich ihre Anstrengungen bemerkte, mir durch das Netz hindurch die Arme zusammenbinden zu wollen, warf ich mich ein weiteres Mal wie wild hin und her, schrie und tobte, und erreichte doch gar nichts. Schwer atmend lag ich begraben unter sechs Körpern und hätte vor Wut und Hilflosigkeit heulen mögen. Sie durften mich nicht kampfunfähig machen, durften mir nicht die Arme oder Beine fesseln, ich musste…
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