Sich für das Kollektiv zu opfern, war den Menschen kein fremder Begriff, es war ein Teil ihres Alltages geworden. Seit der Engelsherrschaft Satanaels, war man Gärtner seiner eigenen Zukunft geworden und die Überlegenheit zeichnete sich dadurch aus, dass man der Natur Formen aufzwang. Bisher, so verstand man es anhand der Logik, fokussierte man eine ideale Zukunft, in der es notwendigerweise nicht alles geben konnte, was es heute gab und diesen Prozess konnte man auf viele verschiedene Arten unterstützen. Aber genauso galt natürlich auch das Gegenteil, dass man versuchen musste gewisse Raritäten zu erhalten. Wie wohl Rahael eins darstellte. Das wohl mächtigste Instrument hierbei war natürlich die Macht Leben zu erschaffen. Doch um den Prozess abzuschliessen, damit die Seele obsolet wurde, mussten die Menschen sich zwangsweise mit den Gottmenschen mischen. Man hatte herausgefunden, dass dieser Effekt bis in die dritte Generation anhalten konnte, bevor man die Enkel erneut mit den reinrassigen, höheren Menschen kreuzen musste, damit die nächste Generation keine Seele erhielt. Somit hatte man ein Problem gelöst, es war nur noch eine Frage der Zeit und der natürliche Mensch wurde zu einer Minderheit, bis es ihn nicht mehr gab. Dennoch galt es immer noch mehr Strukturen und Kontrollen ins Leben zu integrieren, doch das war ein schleichender Prozess. Aber nun mit den Rephaims, gab es eine weitere Steigerung. Satanael offenbarte den ahnungslosen Menschen seine wahren Absichten. Genauso wie ein Pyrrhussieg eine Möglichkeit darstellte, konnte man auch siegen, indem man die Schlacht verlor. Denn er wusste genau was realistisch war und was nicht, darauf war seine gesamte Herrschaft aufgebaut. Es ging nie wirklich um Stabilität, oder Erhalt. Macht und Ruhm waren nun mal vergänglich und wer wusste das besser, als ein Gefallener. Manchmal ging es einfach nur darum, zu zerstören.
Und so entstand ein ganzer Kult, um das Blut der Menschen. Täglich wurden ganze Zeremonien abgehalten, um die Märtyrer zu ehren. Zahlreiche Schaulustige fanden sich ein, um diesem Spektakel beizuwohnen. Die Rephaim tranken den Lebenssaft aus den Menschen, bis kein Tropfen mehr übrig war. Aber Satanael hatte noch eine weitere Verwendung für deren Körper. Denn er war auf der Suche nach einem besonderen Herzen, das ihm ermöglichte, ein Monster zu erschaffen, das als unbesiegbar galt. Geschaffen aus dem Staub aus den vier Ecken der Welt, mit Blut und dem besagten Herzen, wären diese Riesen dazu bestimmt, Engel zu vernichten. Und so, stehts um Mitternacht, wurden die Opfer einer nach dem anderen auf eine Anhöhe geführt, wo die hungrigen Rephaims bereits warteten. Nachdem sie von ihrer Beute abgelassen hatten, schnitt ein Priester in einem blutbesudelten weissen Gewand den Brustkorb auf und entnahm dem toten Leichnam das Herz, um es zu untersuchen. Danach wandte er sich an die Zuschauer, um das Ergebnis zu verkünden. Bis jetzt war die Suche erfolglos geblieben und alle Beteiligten drückten ihr Bedauern aus. So verfuhren sie jede Nacht mit dutzenden Menschen. Anschliessend wurden deren Körper aufgeschichtet und angezündet. Das Feuer brannte bis in den Morgen und erfüllte die Umgebung mit dem Geruch des verbrannten Fleisches. Diese Zeremonie wurde zu einem alltäglichen Ritual der Eliten, denn sie waren erhaben. Da das Blut auch der Sitz der Seele war, blieben sie verschont. Die Rephaim benötigten die Menschen, um aus ihnen ihre Kraft schöpfen zu können. Dazu hatte man ein Lager für die Märtyrer geschaffen, wo sie ihre letzten Stunden verbringen konnten. Sie wussten um die notwendige Grausamkeit der Evolution und dass ihr Opfer nie in Vergessenheit geraten würde. Sie dienten einem höheren Zweck. In Anerkennung ihres Beitrages würde Satanael, dessen Macht weit über diese Welt hinaus reichte, für Gerechtigkeit sorgen.
Die wenigen Gerechten, die es immer noch gab, sahen wie die Welt zu Grunde gerichtet wurde. Dass sie noch am Leben waren, war wohl dem Umstand geschuldet, dass Satanael sie als die irdische Vertretung des Göttlichen betrachtete und seine grausame Macht über sie demonstrieren wollte, um dem Himmel Schande zu bereiten. Wie alles bei seiner Handlung war deren Schicksal für ihn eine Fehde mit dem Göttlichen. Für ihn war bereits die Göttlichkeit keine Natürlichkeit und daran festzuhalten noch weniger. Denn wozu etwas anbeten, das weniger Einfluss auf das unmittelbare Leben der Gerechten hatte als er. Sterben um zu leben, machte irgendwie auch keinen Sinn und egal was das Göttliche im Leben anzubieten hatte, konnte auch er gewähren. Hierbei gab es keinen Unterschied. So blieb wohl der einzige Grund dafür, dass man glaubte es sei das Richtige. Aber eigentlich, so sah es Satanael, betete man das Göttliche an und diente ihm, um im Leben gewisse Privilegien gegenüber den anderen zu haben, da es Dinge gab, welche man sich anders nicht erwerben konnte. Doch blieb das aus, hatte es wenig Sinn daran festzuhalten. Reich zu sein, ohne davon profitieren zu können, war darum eine viel grausamere Strafe, als er sie sich hätte ausdenken können. So sah er das und so war das ein grosses Mysterium, das er nicht verstand. Und diesen ewigen Krieg würde er bis ans Ende aller Tage führen, nur um mit solchen Argumenten als Sieger dazustehen. Denn Vernunft schien weder Göttlich noch Menschlich zu sein. Den Gerechten blieb in dieser Zeit nur ihre Treue zum Himmel und wenn dies mit Leid verbunden war, umso mehr suchte man es im Leben. Satanael mochte mächtig sein, ein Herr der Lügen, der Logik und der Argumente. Aber niemals stärker als die Liebe.
Somit hatte sich die Welt vollends in eine Form der Hölle verwandelt. Der einfache Mensch war zur Beute geworden, sie hatten die Macht über ihr eigenes Leben verloren. Und je mächtiger Satanael wurde, desto weniger täuschte er Rechtstaatlichkeit vor. Die Vorbereitungen für den finalen Kampf liefen auf Hochtouren. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis ihnen der Krieg gebracht wurde. Sein Werk war vollendet und würde wohl in die Annalen eingehen. Er hatte eindeutig bewiesen, dass der Mensch, vermutlich aufgrund seiner Herkunft, nicht unterscheiden konnte was Richtig und was Falsch war. So konnten sie sich mit dem Gedanken abfinden, dass das Göttliche wollte, dass sie Leid erfuhren und sie in Versuchung führte, genauso wie sie akzeptieren konnten, dass Satanael trotz seiner göttlichen Herkunft, sich wie die Menschen nicht bösartig verschuldet hatte. All das hatte dazu geführt, dass sie sich ihm verbundener fühlten, als gegenüber dem Göttlichen. Und nur so konnte er seine Macht über sie erlangen, denn sie dachten, er würde aus Liebe zu den Menschen handeln. Schrittweise hatte er sie in Versuchung geführt, bis das Licht gelöscht wurde, das das Ende des Tunnels anzeigen sollte. Denn bereits am Anfang, als er und die Seinen, tausende Gerechte abgeschlachtet hatten, welche sich zu Recht erhoben, irritierte er die Verbliebenen. Doch dank seinem Geschick und seinen unendlichen Argumenten, konnte er sie zum ersten Mal einlullen. Da hatte er erkannt, dass er noch viel weiter gehen konnte, ohne dass die Menschen sich von ihm abwandten und schlussendlich tat er es auch. Und nun, mit den Rephaims, hatte er eine Situation erschaffen, welche selbst er nicht mehr erklären konnte. Doch das war auch nicht mehr notwendig. Die Menschen hatten sich vom Göttlichen bereits abgewandt und er war ihr letzter und einziger Freund.
Und auch jetzt noch hielten die Menschen ihre Treue zu Satanael und den Seinen. Schleichend hatte man ihren Verstand vernebelt, sodass sie die Welt nun als normal betrachteten und nicht so wie sie war. Ein Versuch die Schöpfung auf den Kopf zu stellen. Nachdem Satanael sie wie ein Freund behandelt und ihnen die Augen über die Göttlichkeit und über ihre wahre Natur offenbart hatte, konnte man nur Dankbarkeit empfinden. Die Wahrheit mochte traurig sein, aber dafür ehrlich. Alles was Satanael getan hatte, erschien logisch und notwendig. Denn genauso wie die Frucht vom Baum der Erkenntnis schlussendlich nicht so dramatisch war, konnte die verbotene Liaison zwischen den Menschen und den gefallenen Engeln auch positiv betrachtet werden. Erkenntnis war der Schlüssel zum irdischen Paradies und die höheren Menschen, die zukünftigen Gärtner. Was fehlte war nur die Unsterblichkeit und die war ja bekanntlich der Preis jener verbotenen Frucht. Ein weiteres Geschenk Satanaels an die Menschen war die Fantasie. Er zeigte ihnen wie sie denken konnten wie er, denn dies war ein unendlicher Raum ohne Sünde. Jeder Tat ging ein Gedanke voraus und nur so konnte man die Welt verändern. Somit hatte der Mensch alle nötigen Informationen, die er benötigte, um ein gerechtes Urteil zu fällen. Darum entschieden sich viele gegen die Göttlichkeit, denn in ihrem Schicksal lag das Ziel das Leid zu überwinden. Das Göttliche konnte ihnen nicht geben, was sie dachten zu benötigen und Satanael gab, worauf sie Anspruch hatten. Wenn man sich so sehr vor dem Wesen der Menschen fürchtete, hätte man ihn vielleicht nicht erschaffen sollen. Denn Unwissenheit war kein Segen, so sah man das.
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