Hans Schaub
Schuldig
geboren
Eine Familiensaga aus dem Jura
Impressum
Schuldig geboren
Hans Schaub
Published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
E-Book-Produktion: DIPUB Media Christian Melle, Potsdam
www.dipub.de
Copyright © 2013 Hans Schaub
ISBN 978-3-8442-5686-4
Gewidmet meiner Mutter
Maria geborene Zeller
«Es gibt keine Fiktion,
die nicht auf Erfahrung beruht.»
Max Frisch
Inhalt
Cover
Titel Hans Schaub Schuldig geboren Eine Familiensaga aus dem Jura
Impressum Impressum Schuldig geboren Hans Schaub Published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de E-Book-Produktion: DIPUB Media Christian Melle, Potsdam www.dipub.de Copyright © 2013 Hans Schaub ISBN 978-3-8442-5686-4
Widmung, Zitat Gewidmet meiner Mutter Maria geborene Zeller «Es gibt keine Fiktion, die nicht auf Erfahrung beruht.» Max Frisch
Herbert
Albert Stoll, Herberts Grossvater
Max
Marta
Max, der Krüppel
Max und Marta
Die Vergewaltigung
Der Portier
Das Wunder von Waldenburg
Der Tod des Totengräbers
Tod und Geburt
Druckerei Stoll
Die Hochzeit
Familienglück
Das Familiengeheimnis
Tag der Wahrheit
Dank
Herbert
Noch nicht vierunddreissigjährig, hatte es Herbert Stoll schon weit gebracht. Eine der grössten Druckereien der Gegend war sein Eigen. Nicht ganz, wie er oft im Freundeskreis scherzhaft zu sagen pflegte: «Die Druckerei gehört der Bank und mir.»
Erst am Wochenende war er aus dem Libanon zurückgekehrt. Dort war er seinen Verpflichtungen als Vorstandsmitglied in den Unternehmen seines Schwiegervaters nachgekommen. Haneen, seine Frau, die ihn begleitet hatte, war im Libanon geblieben. Ihre Mutter hatte sich nicht wohlgefühlt.
Es war Dienstag, der 3. September 1976. Im Terminkalender keine einzige Besprechung oder Sitzung. Einer jener Tage, an denen Herbert Zeit fand, den sich auf seinem Schreibtisch stapelnden Berg unerledigter Pendenzen abzuarbeiten. Den allmorgendlichen Rundgang durch seinen Betrieb wollte er etwas ausdehnen, Zeit haben für Anliegen seiner Mitarbeiter.
Wie immer, wenn Haneen im Libanon war, verwöhnte Frau Waldmeier ihren Chef mit frischen Gipfeli und einer Tasse Kaffee. Dass sie ihren Chef duzte und er zu ihr per Sie war, fiel den meisten Besuchern in der Regel rasch auf. Ja, sie hatten ein besonderes Verhältnis, und wer die Firmengeschichte der Herbert Stoll AG kannte, wunderte sich darüber weiter nicht.
Herbert machte sich auf zum Rundgang. Unter der Tür sagte er zu Frau Waldmeier: «Es könnte heute etwas länger dauern. Im neuen Maschinensaal möchte ich mit den Monteuren, die gestern gekommen sind, noch ein paar Worte wechseln.»
Rosmarie Waldmeier nickte und fragte: «Mein Mann hat heute Geburtstag und ich habe noch kein Geschenk für ihn. Kann ich etwas früher gehen?»
«Schon gut, Frau Waldmeier, gehen Sie doch so nach drei Uhr», waren die Worte, die Stolls Sekretärin noch hörte, bevor dieser die Tür hinter sich schloss.
Gleich zu Beginn seiner Runde begrüsste er die beiden Monteure, die während der nächsten zwei Wochen die neue, leistungsfähige Druckmaschine montieren sollten. Er erkundigte sich, ob sie sich im Hotel wohlfühlten. Seinen Betriebsmechaniker, der danebenstand, ermunterte er, bei der Montage mitzuhelfen und vom Know-how der Monteure zu profitieren.
«Du kannst dich auf mich verlassen, auch wenn es mal später am Abend wird», gab der Betriebsmechaniker zurück.
«Geh doch ein-, zweimal mit den beiden auf Kosten der Firma zum Essen in den Leuen, ein gutes Verhältnis zu Monteuren zahlt sich über die Zeit immer aus», sagte Herbert und ging zielstrebig zur Spedition.
Dort ging es am frühen Morgen immer lebhaft zu. Hier trafen sich seine eigenen Leute mit Abholern und Chauffeuren. Die am Vortag und in der Nacht gedruckten Erzeugnisse lagen hier bereit zum Abholen oder zum Versand, und hier wurden auch die neuesten Informationen ausgetauscht, über dies und jenes getratscht, Pause gemacht und Kaffee vom Automaten getrunken.
Herbert Stoll trat in den Raum. Eine fast unheimliche Stille schlug ihm entgegen. Niemand lachte, alle redeten nur gedämpft miteinander. Irgendetwas war anders als sonst. Heute konnte er nicht mit einem flotten, lockeren Spruch die Stimmung ändern. Im Moment traute er sich auch nicht, jemanden anzusprechen, wen auch?
Frau Berner trat zu ihm. Sie wohnte im Nachbarort, wo Stoll aufgewachsen war, und holte jeweils die druckfrischen Prospekte für ihre Firma ab. Sie streckte Stoll die Hand entgegen. «Herr Stoll, ich kondoliere Ihnen zum Tod Ihrer Mutter, es tut mir leid.»
Stoll erschrak, verunsichert schaute er Frau Berner an, die Hand übersah er. Reflexartig drehte er sich um. Nur raus, weg von diesen Leuten, die ihn anstarrten. Wortlos nickte er Frau Berner zu, verliess die Spedition und schlug den Weg zu seinem Büro ein. Er stürmte durch das Vorzimmer, in dem Frau Waldmeier gerade die Morgenpost sortierte, in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. So hatte Frau Waldmeier ihren Herbert noch nie gesehen. Das ausdruckslose, bleiche Gesicht, der leere Blick. Und dass er sich eingeschlossen hatte, war in den zehn Jahren, seit Herbert ihr Chef war, nie vorgekommen. Behutsam klopfte sie an. Nachdem sich auf ihr Klopfen nichts regte und kein «Kommen Sie herein» zu hören war, öffnete sie die Tür. Sie erschrak, als sie Herbert leichenblass auf dem Besucherstuhl sitzen sah. Er regte sich nicht, schien sie nicht wahrzunehmen. «Was fehlt dir, brauchst du einen Arzt?», fragte sie zögernd. Mit den Worten, sie solle ihn in Ruhe lassen und es fehle ihm nichts, schickte er sie hinaus. Nach einigen Minuten hörte sie, wie in Herberts Büro das Telefon lange läutete. Kaum hatte es der Anrufer offenbar aufgegeben, leuchtete an ihrem Apparat die rote Lampe auf. «Druckerei Stoll, Waldmeier am Apparat, was kann ich für Sie tun?»
«Guten Tag Frau Waldmeier, hier ist Sebastian Furrer, ist Herbert nicht in seinem Büro?», fragte der Anrufer. «Ich versuchte ihn eben über die Direktwahl zu erreichen, doch er antwortet nicht. Seien Sie doch so nett und verbinden Sie mich mit ihm.»
Frau Waldmeier kannte Sebastian Furrer, ein Freund von Herbert, sie trafen sich regelmässig zum Joggen. «Es tut mir leid, Herr Furrer, ich kann Sie im Moment nicht verbinden.»
«Dann richten Sie ihm bitte aus, dass er mich nach der Besprechung, in der er offenbar steckt, zurückruft.»
In ihrer Erregung rutschte es aus ihr heraus: «Er ist nicht in einer Besprechung.» Augenblicklich schämte sie sich, wie unprofessionell sie geantwortet hatte. Mit ihrer Aussage hatte sie Furrer hellhörig gemacht. Irgendetwas Ungewöhnliches musste vorgefallen sein. «Frau Waldmeier, mir als Herberts Freund können Sie doch sagen, was los ist», redete er auf sie ein.
«Ich weiss selbst nicht, was los ist, bitte lassen Sie mir etwas Zeit, ich werde Herbert Ihren Anruf ausrichten. Bitte haben Sie Verständnis, Herr Furrer», sagte Frau Waldmeier und unterbrach die Verbindung.
Furrer war perplex, noch nie zuvor war Herberts Sekretärin derart kurz angebunden gewesen.
Noch während des Gesprächs mit Furrer leuchtete am Apparat von Frau Waldmeier das orange Lämpchen auf. Ein Anruf aus der Spedition. Bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, schimpfte Lisa, die Gruppenleiterin, drauflos.
«Warum hast du uns nichts gesagt, warum müssen wir so traurige Dinge über unseren Chef von Kunden erfahren? Es war uns allen peinlich, als der Chef bei seinem Betriebsrundgang zu uns kam.»
Frau Waldmeier, sonst gar nicht auf den Mund gefallen, war erst mal sprachlos. Die sonst sanfte, wortkarge Lisa war ausser sich. Sie hörte gerade noch, wie Lisa weinte und dann auflegte. Was war geschehen, was gab es, das sie nicht wusste? Erst der Chef, der wie ein Gespenst an ihr vorbeigeschossen war und sich in seinem Büro verschanzt hatte, und dann Lisa, völlig aufgelöst und erregt. Kurz entschlossen begab sie sich zur Spedition. Lisa sass in Tränen aufgelöst auf einem Stuhl und schluchzte. Frau Huber, eine Aushilfe, hielt wortlos Lisas Schulter. Frau Waldmeier versuchte, ihre eigene Aufregung zu dämpfen und trat zu Lisa. «Was ist denn in dich gefahren, dass du mich am Telefon derart beschimpfst? Es gibt da anscheinend etwas, das ich nicht weiss, bitte klär mich auf.»
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