Max blieb ein Einzelgänger. Mit keinem seiner Arbeitskollegen konnte er sich anfreunden. Auch nach einem Jahr in der Lehre errötete er immer noch, wenn in der Znünipause zotige Witze erzählt wurden. Wurde über das Aussehen, die Figur oder den Gang einer Frau diskutiert oder gelästert, vermied er es, sich am Gespräch zu beteiligen. Eher wandte er sich von der Gruppe ab, als dass er das Risiko einging, sich zu blamieren.
Vom Gemeindeschreiber erfuhr Max, dass seine Tante Anna, ihr Mann und die anderen Familien der Gemeinschaft der Täufer, aus Holland geflohen waren. Sie waren den wenige Jahre zuvor aufgenommenen Glaubensbrüdern aus Deutschland nach Pennsylvania im Osten von Amerika gefolgt. Selbst im liberalen Holland sei die Angst vor Verfolgung zu gross geworden. Zu viele junge Männer hätten in den Monaten zuvor den in Holland zur Pflicht gewordenen Militärdienst verweigert.
Auch nach über einem Jahr unter dem gleichen Dach wohnend, fand Max keinen Zugang zum Vater. Trafen sie sich zufällig, blieb es bei belanglosen, nichtssagenden Wortwechseln. Nach der Säuberungsaktion seiner Wohnung hatte Albert sich über eine längere Zeit mit Trinken zurückgehalten. Er hatte sich regelmässig gepflegt, sauber gehalten und erschien zunehmend gesünder und kräftiger. Doch er hatte es sich längst mit zu vielen im Städtchen verscherzt und sich zerstritten, nur wenige aus nichtigem Anlass nicht beleidigt und beschimpft. Jedermann versuchte, sich von ihm fernzuhalten, keiner traute ihm. Er hatte seinen Ruf zementiert und blieb ausgestossen. Nach wenigen Monaten verfiel er wieder in sein altes Laster und begann bereits vor der Mittagszeit zu bechern.
Sechzehn Monate nach Max’ Rückkehr aus Holland, im September 1939, brach der Zweite Weltkrieg aus. Nazideutschland hatte einen Vorwand gefunden, Polen zu überfallen und das Land in kurzer Zeit überrollt und besetzt.
Eine Unachtsamkeit des Schmiedemeisters Karrer war der Auslöser des Unfalls, den Max fast einen Monat nach Kriegsbeginn erleiden musste.
Der Dampfhammer in der Schmiede sollte gewartet werden. Routinemässig mussten die grossen Gleitlager, in denen der Hammer in schlagende Bewegungen gebracht wurde, ausgewechselt werden. Eine Arbeit, die schon Karrers Vorgänger einmal im Jahr gemacht hatte. Jeder Handgriff war bekannt. Karrer hatte es sich zu seinem persönlichen Sport gemacht, diese Unterhaltsarbeit mit jedem Jahr in kürzerer Zeit hinter sich zu bringen. Mit dem an einem Balken unter dem Dach aufgehängten Hebezug musste Max den schweren Hammer aus seiner Halterung anheben. Alles schien wie geplant und schon oft ausgeführt zu verlaufen, als mit lautem Getöse der alte, verrusste Balken, an dem der Hebezug hing, brach. Der Schmerzensschrei, den Max ausstiess, als der Hammer seine linke Hand zerquetschte, ging im Lärm der zusammenkrachenden Holzkonstruktion unter. Schwarzer Staub und Russ verdunkelten den Raum. Alle flüchteten aus der Schmiede nach draussen in Sicherheit. Einzig Max, die zerquetschte Hand unter dem heruntergestürzten, schweren Hammer eingeklemmt, konnte nicht entkommen.
Dann wurde es still. Kein Maschinenlärm, kein Ventilator war zu hören. Der Strom war unterbrochen, ein Kurzschluss hatte die Hauptsicherung zum Schmelzen gebracht.
Aus den Nachbargebäuden kamen Leute gelaufen, einer alarmierte die Betriebsfeuerwehr. Ohne Licht tappten sich zwei beherzte Arbeiter behutsam über die am Boden liegenden Trümmer in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Durch den sich langsam legenden Staub verbesserte sich die Sicht, endlich stiessen sie auf Max. Man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass die Hand unter dem Hammer kaum zu retten war. Ihr Ruf nach einem Arzt wurde von den vor Ort versammelten Feuerwehrleuten weitergeleitet. Ein Retter, der nach einem Hilfsmittel für die Befreiung des eingeklemmten und laut stöhnenden Max suchte, fand den unter einem Balken liegenden Karrer. Feuerwehrleute brachten hell leuchtende Karbidlampen und bargen den leblosen Körper des toten Schmiedemeisters. Eine weitere Gruppe versuchte, mit Stemmeisen und einer Stockwinde den schweren Hammer so weit anzuheben, dass sich die zerquetschte Hand von Max befreien liess. Nach über einer halben Stunde konnte er, auf einer Leiter liegend, aus den Trümmern getragen werden. Draussen wartete der Arzt. Eine von ihm verabreichte Morphiumspritze liess den Verunfallten rasch in einen Dämmerzustand fallen.
Im Spital, in das Max auf dem Lieferwagen der Firma liegend eingeliefert worden war, konnte sich der Arzt erst nicht entscheiden. Würde es ihm gelingen, die Hand zu retten oder musste sie amputiert werden? Erst am Tag nach der Einlieferung und einer weiteren gründlichen Untersuchung kam er zum Schluss, dass eine Operation wenigstens Daumen und Zeigefinger retten könnte.
Nach sechs Wochen und drei Operationen durfte Max das Krankenhaus verlassen.
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