Wenn es uns zu Beginn schwerfällt, die Zufluchtsobjekte in dieser ausgedehnten Form zu visualisieren, können wir uns einfach vorstellen, dass die Drei Juwelen im Raum vor uns anwesend sind, und rezitieren dann mit Vertrauen das kurze Gebet der Zufluchtnahme.
Nachdem wir Zuflucht genommen haben, erzeugen wir Bodhichitta, indem wir meditieren:
Wie wird es sein, wenn ich erleuchtet bin? Ich werde jede gute Eigenschaft haben und vollständig frei von allen Fehlern, allen Leiden und jeder Art von Behinderung sein. Ich werde die vollkommene Fähigkeit haben, allen anderen Lebewesen zu helfen. Meine Emanationen werden so zahlreich sein wie die Lebewesen, und ich werde sie zum Wohle aller nutzen. So wie sich das Licht eines Mondes am Himmel in allen Seen und Gewässern dieser Erde spiegelt, so werden meine Emanationen jedes Lebewesen erreichen und beschützen, wenn ich erleuchtet bin.
Wenn diese Meditation in unserem Geist eine starke Absicht hervorruft, Erleuchtung zum Wohle anderer zu erlangen, halten wir diesen Gedanken deutlich und einsgerichtet, so lange wir können, und machen uns mehr und mehr mit ihm vertraut. Dann rezitieren wir das Gebet für das Erzeugen des Bodhichitta:
Möge ich aufgrund der Tugenden, die ich durch Geben und andere Vollkommenheiten ansammle,
Ein Buddha werden zum Wohle aller.
Bodhichitta ist ein Geist, der zwei Bestrebungen hat; beide kommen in diesem Gebet zum Ausdruck. Das Hauptbestreben, anderen zu nützen, wird durch die Worte «zum Wohle aller» ausgedrückt. Das sekundäre Bestreben, das Erlangen der Fähigkeiten, die nötig sind, um das Hauptbestreben zu erfüllen, wird durch die Worte «Möge ich ein Buddha werden» ausgedrückt.
Da Bodhichitta die Hauptursache für die volle Erleuchtung ist, ist Guru Buddha Shakyamuni hoch erfreut, wann immer Bodhichitta in unserem Geist entsteht. Nachdem wir das Gebet rezitiert haben, sollten wir uns daher vorstellen, dass Buddha als Antwort eine weitere Form im gleichen Aspekt ausstrahlt, die zu unserem Scheitel kommt, in unseren Körper eintritt und alle unsere Nichttugenden und Behinderungen reinigt. Wir werden in einen Buddha des gleichen Aspekts wie Guru Shakyamuni umgewandelt. Aus unserem Körper strahlen wir Licht in alle Richtungen aus, das jedes einzelne fühlende Wesen erreicht und seine Nichttugenden und Behinderungen reinigt. Alle Lebewesen lösen sich in Licht auf und erscheinen wieder als Buddhas im gleichen Aspekt wie Guru Buddha Shakyamuni. Diese Art der Praxis ist als «das Ergebnis in den Pfad bringen» bekannt. Sie heißt so, weil wir uns mit Nachdruck vorstellen, dass wir das zukünftige Ergebnis unserer Praxis bereits erreicht haben. Das Ergebnis selbst ist die volle Erleuchtung und die Fähigkeit eines erleuchteten Wesens, anderen zu helfen, den gleichen Zustand zu erreichen. Diese Praxis lässt unser Potenzial, Buddhaschaft zu erlangen, schneller reifen. Dieses Potenzial wird «Buddha Ursprung» oder «Buddha Samen» genannt.
BODHICHITTA VERSTÄRKEN: DIE PRAXIS DER VIER UNERMESSLICHEN
Bevor wir diese Praxis beginnen, müssen wir unseren göttlichen Stolz vermindern und uns daran erinnern, dass wir uns lediglich vorgestellt haben, das zukünftige Ergebnis unserer Praxis erreicht zu haben, und dass wir selbst und unzählige andere Lebewesen in Wirklichkeit noch nicht erleuchtet sind.
Um unsere Bodhichitta Motivation zu verstärken, praktizieren wir die vier Unermesslichen:
(1) Unermesslichen Gleichmut
(2) Unermessliche Liebe
(3) Unermessliches Mitgefühl
(4) Unermessliche Freude
Sie werden «unermesslich» genannt, weil wir sie praktizieren, indem wir alle Lebewesen, deren Zahl unermesslich ist, als unser beobachtetes Objekt nehmen. Wenn wir unermesslichen Gleichmut praktizieren, entwickeln wir den Wunsch, dass alle Wesen die Verwirklichung des Gleichmuts erlangen mögen, und wir widmen uns selbst aktiv der Aufgabe, ihnen dabei zu helfen. Wenn wir unermessliche Liebe und unermessliches Mitgefühl praktizieren, entwickeln wir den Wunsch, dass andere nur Glück und Freiheit von Leiden erfahren mögen, und wir widmen uns selbst aktiv der Aufgabe, dies geschehen zu lassen. Wenn wir unermessliche Freude praktizieren, entwickeln wir den Wunsch, dass andere niemals die Vergnügen und das Glück, das sie in den glücklichen Zuständen als Menschen und Götter erleben, oder die erhabene Freude der Befreiung verlieren, und wir widmen uns selbst aktiv der Aufgabe, zu verhindern, dass sie jemals von vorübergehendem oder endgültigem Glück getrennt sind.
Alle vier Unermesslichen haben jeweils vier Teile: einen unermesslichen Wunsch, ein unermessliches Gebet, eine unermessliche höhere Absicht und eine unermessliche Bitte.
Unermesslicher Gleichmut Wir betrachten alle Wesen, die um uns versammelt sind, und meditieren:
Irgendwann in ihren vergangenen Leben waren alle Lebewesen miteinander verwandt wie eine Mutter mit ihrem eigenen geliebten Kind; aber sie erinnern sich nicht daran und so entwickeln sie Anhaftung, Hass und Gleichgültigkeit und fühlen sich manchen nah und anderen fern. Hass und Anhaftung motivieren sie, schädliche Handlungen zu begehen, und als Ergebnis müssen sie weiterhin Probleme erfahren. Würden alle Gleichmut entwickeln, wären sie nicht von Anhaftung und Hass beherrscht, und sie würden Freiheit von Leiden finden.
Diese Art der Meditation ruft in unseren Herzen einen unermesslichen Wunsch hervor: «Wie wundervoll wäre es, wenn alle Lebewesen in Gleichmut verweilen würden, frei von Hass und Anhaftung, ohne sich einigen nah und anderen fern zu fühlen.» Die Meditation über diesen unermesslichen Wunsch führt zu einem unermesslichen Gebet: «Mögen alle Wesen in Gleichmut verweilen.» Diese Art des Betens führt zu einer unermesslichen höheren Absicht: «Ich selbst werde dafür sorgen, dass es geschieht.» Die Meditation über diese Absicht bringt uns dazu, eine unermessliche Bitte vorzubringen: «Bitte, o Buddhas und spirituelle Meister, segnet mich, damit ich dies tun kann.»
Wenn wir einen völlig wolkenlosen, blauen Himmel betrachten, werden wir den Osten nicht dem Westen und den Westen nicht dem Osten vorziehen. Genauso werden wir die einen Menschen nicht den anderen vorziehen, wenn wir die Verwirklichung des Gleichmuts erreichen. Alle Wesen werden gleich wichtig für uns sein. Bevor wir diese Verwirklichung haben, ist unser Blick so, als ob er auf unebenen Boden gerichtet wäre. Manche Bereiche sehen hoch aus und manche sehen tief aus.
Die meisten persönlichen Probleme, die wir erleben, werden durch unseren eigenen, voreingenommenen Geist verursacht. Wir denken, dass wir selbst, unsere Familie und unsere Freunde am wichtigsten sind. Wir schätzen diejenigen, die uns nahe stehen, und nehmen uns ihre Sorgen zu Herzen, aber wir vernachlässigen beinahe alle anderen und halten ihre Sorgen für unbedeutend. Wenn wir Gleichmut erlangen, werden wir alle Wesen als gleich kostbar ansehen und infolgedessen werden wir feststellen, dass viele unserer eigenen Probleme überwunden sind.
Gleichmut bedeutet gleichmäßige Sorge um alle und nicht bloße Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist genauso weit von Gleichmut entfernt wie von Hass und Anhaftung. Wenn wir Gleichmut entwickeln, werden wir großen Frieden und großes Glück erfahren. Unser Geist ist dann wie ein gut gepflügtes Feld, in das wir die Samen von Mitgefühl, Liebe und Bodhichitta setzen können.
Unermessliche Liebe Wir betrachten alle Wesen, die um uns versammelt sind, und meditieren:
Alle diese Wesen sehnen sich nach Glück; doch die meisten von ihnen wissen nicht, was die Ursache für Glück ist, und diejenigen, die es wissen, können sie nicht erschaffen. Deshalb hat niemand das, was er sich wünscht.
Diese Art der Meditation ruft in unserem Herzen einen unermesslichen Wunsch, ein unermessliches Gebet, eine unermessliche höhere Absicht und eine unermessliche Bitte hervor:
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