Um diese Angelegenheit zu bereinigen, wurde ein tibetischer Übersetzer nach Nepal geschickt, um einen berühmten Vajrayogini-Praktizierenden zu befragen, der große hellsichtige Kräfte besaß. Nachdem der Übersetzer erklärt hatte, was mit Purang geschehen war, antwortete der nepalesische Praktizierende, daß er am Tag des Verschwindens, während der Meditation, aufgrund seiner Hellsicht gesehen habe, daß Purang von einem Helden und acht Heldinnen in das Reine Land der Dakinis eingeladen worden sei. Der Held war Heruka, und die acht Heldinnen waren die acht Göttinnen der Eingangspforten zu Herukas Mandala. Als Ergebnis von Purangs reiner Praxis waren Heruka und Vajrayogini zu seiner Höhle gekommen und hatten ihn zum Reinen Dakiniland mitgenommen.
Viele große Meister der Gelug-Tradition wie Takbu Tenpai Gyaltsän, Drubchen Chö Dorje, Changkya Rölpai Dorje sowie viele ihrer Schüler haben das Reine Land der Dakinis erreicht. Solche Dinge geschehen auch heute noch. Vor einigen Jahren beispielsweise gab es einen tibetischen Laien namens Gönche, der im östlichen Tibet an einem Ort namens Chatring lebte. Allem Anschein nach war er ein böser Mann, der immer kämpfte und stahl und allgemein viele negative Handlungen ausübte. Die chinesische Invasion in Tibet zwang ihn schließlich, aus seinem Mutterland zu fliehen. Eines Tages, auf seiner Reise ins Exil, sah er, wie ein Boot, das etwa dreißig chinesische Soldaten beförderte, ein Gewässer überquerte. Er schoß Löcher in das Boot, so daß es sank und alle Soldaten ertranken. Als er schließlich die nepalesische Grenze erreichte, schloß er sich dem tibetischen Widerstand an.
Als älterer Mann reiste er einige Jahre später nach Dharamsala in Indien, wo er Trijang Rinpoche besuchte. Trijang Rinpoche riet ihm, alle negativen Handlungen aufzugeben und sich der spirituellen Praxis zu widmen. Von diesem Tag an veränderte sich Gönches Geist. Er entwickelte großes Bedauern für all seine vergangenen, schädlichen Handlungen und versprach, aufrichtig Dharma zu praktizieren. Einige Zeit später gab Trijang Rinpoche einer großen Gruppe seiner Schüler eine Vajrayogini-Ermächtigung, und Gönche war unter ihnen.
Trijang Rinpoche riet Gönche, nach Nepal zu gehen, um ein langes Vajrayogini-Retreat durchzuführen. Da er materielle Hilfe von seiner Familie und spirituellen Rat von einigen ortsansässigen Geshes erhielt, begab sich Gönche ins Retreat; doch er starb während dieser Zeit. Zum Zeitpunkt seines Todes sahen viele Menschen einen Regenbogen über seiner Meditationshütte. Drei Tage später wurde er verbrannt, und diesmal erschien ein Regenbogen über dem Scheiterhaufen. Diese Regenbogen wurden von den Leuten der Gegend und auch von den Mönchen gesehen, die sich versammelt hatten, um für ihn zu beten. Hohe Lamas sagten später, daß die Regenbogen Zeichen gewesen seien, daß Vajrayogini Gönche zu ihrem Reinen Land geführt habe, während er im Zwischenzustand war.
Viele weibliche Vajrayogini-Praktizierende haben ebenfalls durch diese Praxis Erleuchtung erlangt. Diese Berichte über Erlangungen von Praktizierenden der Vergangenheit zeigen den großen Wert der Praxis von Vajrayogini und sind eine Quelle der Inspiration für unsere eigene Praxis.
DIE VORAUSSETZUNGEN, DIE NÖTIG SIND, UM DIESE ANWEISUNGEN IN DIE PRAXIS UMZUSETZEN
Bevor wir die zwei Stufen des Vajrayogini-Tantras praktizieren können, brauchen wir gewisse Qualifikationen. Durch das Studium und die Praxis der Stufen des Pfades, Lamrim, sollten wir zumindest etwas Erfahrung in den drei Hauptaspekten des Pfades erlangt haben: Entsagung, Bodhichitta und korrekte Sicht der Leerheit. Diese sind auch bekannt als die Pfade, die Sutra und Tantra gemeinsam sind. Wenn wir einmal ein Fundament von Erfahrung in den gewöhnlichen Pfaden gebaut haben, sind wir qualifiziert, in den besonderen Pfad des Tantras einzutreten. Das Tor zur tantrischen Praxis ist die Ermächtigung. Bevor wir die Vajrayogini-Praxis ausüben können, müssen wir von einem qualifizierten tantrischen Meister die Ermächtigung von Heruka und die Ermächtigung von Vajrayogini in ihr Sindhura-Mandala erhalten. Diese Ermächtigungen setzen besondere, tugendhafte Potentiale in unser Bewußtsein, die sich schließlich zu Realisationen der Erzeugungs- und Vollendungsstufe entwickeln, wenn sie durch anschließende spirituelle Praxis genährt werden. Während den Ermächtigungen legen wir bestimmte Gelübde ab und nehmen Verpflichtungen auf uns, die gewissenhaft eingehalten werden müssen. Auf dieser Basis werden wir all die oben genannten Vorteile genießen, wenn wir die Anweisungen von Vajrayogini kontinuierlich und aufrichtig praktizieren.
DIE VIER BESONDEREN URSACHEN SCHNELLER ERLANGUNGEN
Um schnell die Realisationen zu erlangen, die mit der Vajrayogini-Praxis verbunden sind, brauchen wir vier besondere Ursachen. Diese sind:
1. Unerschütterliches Vertrauen
2. Weisheit, die Zweifel und Befürchtungen bezüglich der Praxis überwindet
3. Einbezug unserer gesamten spirituellen Schulung in die Praxis eines Yidams
4. Geheimes Praktizieren
UNERSCHÜTTERLICHES VERTRAUEN
Wir sollten uns nicht entmutigen lassen, wenn wir nach nur wenigen Tagen oder Monaten intensiven Bemühens keine besonderen Ergebnisse erzielen. Wir müssen uns unbeirrt, mit unerschütterlicher Überzeugung in den Nutzen unserer Praxis schulen. Unsere Praxis sollte wie ein breiter Fluß sein, der gleichmäßig und unaufhörlich fließt.
WEISHEIT, DIE ZWEIFEL UND BEFÜRCHTUNGEN BEZÜGLICH DER PRAXIS ÜBERWINDET
Wir sollten die elf Yogas der Erzeugungsstufe und die Meditationen der Vollendungsstufe ganz klar verstehen. Jedesmal wenn wir Dharma praktizieren, müssen wir im allgemeinen zuerst alle unsere Zweifel über die Anweisungen, die wir erhalten haben, zerstreuen und klare Erkenntnisse darüber erlangen. Durch das Anhören und das Studieren vollständiger und korrekter Anweisungen entwickeln wir durch Zuhören entstandene Weisheit und durch das Nachdenken über die Bedeutung dieser Anweisungen entwickeln wir durch Kontemplation entstandene Weisheit. Nur dann können wir damit fortfahren, einsgerichtet über die Erkenntnisse zu meditieren, die wir erlangt haben.
Es ist äußerst wichtig, daß unsere Konzentration einsgerichtet ist, wenn wir uns mit Dharma beschäftigen. Wenn wir mit einem zerstreuten Geist praktizieren und keine Realisationen erlangen, ist es nicht der Fehler des Dharmas, Buddhas oder unseres Gurus. Selbst wenn wir nicht mit formeller Meditation beschäftigt sind, sollten wir fähig sein, unseren Geist klar auf jedes tugendhafte Objekt zu richten, das wir wählen. Wenn unser Geist immerfort zu einer Unzahl von unwesentlichen Objekten abschweift, wird unser Fortschritt in Frage gestellt sein. Sobald wir anfangen, unseren Geist zu kontrollieren, und die Fähigkeit erlangen, ihn willentlich zu lenken, werden wir durch unsere Meditation Erfolge erzielen und schnell Fortschritte auf dem spirituellen Pfad machen. Unser Geist sollte wie ein feines, gut trainiertes Pferd sein, das kraftvoll, aber leicht zu kontrollieren und zu lenken ist. Solch ein Pferd wird seinen Reiter an jeden Ort bringen, an den er zu gehen wünscht, während ein ungezügeltes Pferd nur seinen eigenen Wünschen folgt und die des Reiters mißachtet.
Wenn wir einmal unseren Geist auf ein bestimmtes Objekt richten und ihn konzentriert darauf halten können, werden wir einen gut kontrollierten Geist haben, und unser Leben wird nicht durch zerstreute Gedanken verschwendet werden. Selbst bei weltlichen Aktivitäten entsteht Erfolg nur als Ergebnis zielbewußter Konzentration. Wie viel wichtiger muß also eine starke Konzentration für eine erfolgreiche Dharma-Praxis sein? Im Dharma erlangen wir Realisationen nur, wenn wir mit einsgerichteter Konzentration praktizieren, und dies ist nur möglich, wenn wir die Anweisungen vollständig verstehen.
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