Um Guru Vajradharma herum, auf den gelben Staubbeuteln des Lotos, sind die Gurus der Narokhachö-Linie und alle anderen Gurus von Sutra und Tantra. Aus dem Herzen von Guru Vajradharma strömen alle anderen Zufluchtsobjekte aus und füllen die ganze Oberfläche des vierblättrigen Lotos.
Im Zentrum des östlichen Blütenblattes steht Vajrayogini, umgeben von allen Gottheiten der vier Klassen des Tantras. Diese bilden vier konzentrische Kreise, wobei die Gottheiten des Höchsten Yoga-Tantras den innersten Kreis bilden. Diese sind von den Gottheiten des Yoga-Tantras umgeben, die von den Gottheiten des Ausführungs-Tantras umgeben sind, die von den Gottheiten des Handlungs-Tantras umgeben sind.
Im Zentrum des südlichen Blütenblattes ist Buddha Shakyamuni, der von allen Ausstrahlungskörpern und Freudenkörpern der Buddhas umgeben ist.
Im Zentrum des westlichen Blütenblattes sind die Dharma-Juwelen in der symbolischen Form von Büchern, die von Gurus, Buddhas und Bodhisattvas verfaßt wurden. Diese Bücher enthalten den Kangyur, den Tengyur, die tantrischen Texte von Heruka und unzählige andere Texte zusammen mit ihren Kommentaren, die von anderen Buddhas verfaßt wurden. Wir sollten uns vorstellen, daß diese Bücher im Aspekt von Licht erscheinen, daß ihre Natur aber die inneren Realisationen der Gurus, Buddhas und Bodhisattvas ist. Heilige Wesen nützen allen fühlenden Wesen, indem sie ihre Realisationen in der Form von Büchern zeigen, die studiert und in die Praxis umgesetzt werden können.
Im Zentrum des nördlichen Blütenblattes ist Manjushri, der von allen höheren Bodhisattvas, ausgestrahlten Feindzerstörern, Helden und Heldinnen umgeben ist. Um den äußeren Rand der vier Blütenblätter herum sind die Dharma-Beschützer. Jedes Zufluchtswesen sitzt oder steht auf einem Sonnen- oder Mondkissen. Wir stellen uns vor, daß jedes von ihnen ein wirkliches Lebewesen ist, nicht leblos wie eine Statue oder ein Gemälde.
All die unzähligen Zufluchtsobjekte auf dem Thron vor uns sind in den Drei Juwelen, dem Buddha-Juwel, dem Dharma-Juwel und dem Sangha-Juwel, enthalten. All die Gurus, Yidams und Buddhas sind Buddha-Juwelen; all die Bodhisattvas, ausgestrahlten Feindzerstörer, Helden, Heldinnen und Dharma-Beschützer sind Sangha-Juwelen; und die Dharma-Bücher repräsentieren die Dharma-Juwelen. Wir sollten alle Zufluchtsobjekte zudem als Manifestationen unseres Wurzel-Gurus, Guru Vajradharma, betrachten. All die Sangha-Juwelen sind Manifestationen von Guru Vajradharmas Körper, all die Dharma-Juwelen sind Manifestationen seiner Rede, und all die Buddha-Juwelen sind Manifestationen seines Geistes.
Wir sollten nicht erwarten, daß wir die Zufluchtsversammlung am Anfang ganz klar visualisieren können. Zu Beginn genügt es, wenn wir uns einfach vorstellen, daß sie im Raume vor uns sind. Das Wichtigste ist, daß wir die feste Überzeugung haben, daß sie tatsächlich anwesend sind. Obwohl wir nicht fähig sind, sie zu sehen, können wir sicher sein, daß sie in subtilen Formen vor uns erscheinen und wir tatsächlich in ihrer Gegenwart sind. Allmählich werden wir fähig sein, uns ein grobes geistiges Bild der ganzen Versammlung in Erinnerung zu rufen, und wenn wir mit der Visualisierung vertrauter werden, werden wir auf natürliche Weise ein ausführlicheres Bild erlangen. Zu Beginn jedoch sollten wir nicht mit Einzelheiten beschäftigt sein. Wenn wir beispielsweise an einen Freund denken, erinnern wir uns einfach an ein generelles Bild von ihm; wir versuchen nicht, ein detailliertes Bild aller seiner Merkmale, wie seines Gesichtes, seiner Beine, seiner Arme usw., zu bekommen. Gleichermaßen sollten wir zu Beginn unserer Visualisierung der Zufluchtsversammlung mit einem generellen Bild der heiligen Wesen zufrieden sein und nicht versuchen alle ihre besonderen Einzelheiten zu sehen.
Wenn wir den Yoga des Aufwachens praktizieren, wachen wir mit dem göttlichen Stolz auf, daß wir Vajrayogini sind, aber wenn wir Zuflucht nehmen oder uns mit Übungen wie der Vajrasattva-Reinigung beschäftigen, sollten wir diesen göttlichen Stolz vorübergehend aufgeben und denken:
In Wirklichkeit muß ich erst Vajrayogini werden. Weil ich viele Verblendungen habe und weil mein Geist immer noch die Prägungen der negativen Handlungen in sich trägt, die ich seit anfangsloser Zeit angesammelt habe, werde ich weiterhin Leiden erfahren. Ich habe schon unzählige Male Schmerz und Tod erlitten. Jedesmal wenn ich starb, mußte ich meinen Körper verlassen. Wenn all das Blut und die Knochen meiner früheren Körner jetzt existieren würden, würde das Blut eine größere Ausdehnung als ein Ozean haben, und die Knochen würden die ganze Erde bedecken. Unzählige Male in der Vergangenheit mußte ich ohne jede Wahl das Leiden des Körperwechsels erfahren, und ich werde dies auch in der Zukunft unzählige Male erfahren müssen. In unzähligen früheren Leben wurde ich als Insekt geboren und lebte von Exkrementen. Wenn alle Exkremente, die ich in meinen Insektenwiedergeburten konsumiert habe, jetzt existieren würden, würden sie einen Haufen so groß wie ein Berg bilden. Wie wunderbar wäre es, wenn ich die Befreiung in diesem Leben erreichen könnte! Wenn ich es nicht kann, werde ich unzählige weitere Wiedergeburten annehmen und die Leiden von Geburt, Krankheit, Alter und Tod immer wieder erfahren müssen, und ich werde weiterhin, all die verschiedenen Leiden, wie die drei Leiden, die sechs Leiden und die acht Leiden, ertragen müssen.
Wenn wir auf diese Weise über die Leiden von wiederholter Geburt, Tod und Wiedergeburt nachdenken, werden wir eine tiefe Abscheu vor Samsara entwickeln. Solange wir in Samsara bleiben, sind Leiden unvermeidbar. Die schmerzlichen Gefühle, die wir gelegentlich empfinden, dauern nur eine kurze Zeit an, aber wenn wir an die Leiden von zukünftigen Leben und an Samsara im allgemeinen denken, werden wir realisieren, daß die Not, die wir erfahren müssen, ohne Ende ist, falls wir nicht Befreiung erlangen. Wir sitzen gerade bequem und lesen dieses Buch, aber unser Tod kann jeden Augenblick eintreten. Wenn wir heute sterben, wo werden wir dann nächste Woche sein? Wir alle leiden unter der Ungewißheit, nicht zu wissen, wann wir sterben oder wo wir wiedergeboren werden. Das einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, daß wir irgendeine Form von Leiden erfahren werden, wo auch immer wir unsere nächste Wiedergeburt erlangen. Wenn wir als menschliches Wesen wiedergeboren werden, werden wir die Leiden, im Mutterleib zu sein und den Mutterleib zu verlassen, erfahren müssen. Wir werden das gesamte Wissen, das wir uns in diesem Leben angeeignet haben, vergessen haben, und wir werden uns unsere Bildung von neuem erarbeiten müssen. Was auch immer unser sozialer Status sein mag, wir alle tragen im Augenblick ein Gefühl von Stolz auf uns selbst in uns, aber nach dem Tod wird unser Körper in der Erde begraben oder in einem Feuer zu Asche verbrannt werden. Die Natur von Samsara ist Unbeständigkeit und Elend.
Wenn wir alle diese Punkte sorgfältig betrachten, werden wir anfangen, uns bei dem Gedanken, daß wir in Samsara bleiben müssen, sehr unbehaglich zu fühlen. Diese Unbehaglichkeit wird uns zu Entsagung führen, dem Wunsch, Samsara zu entfliehen.
Als nächstes betrachten wir die Leiden aller anderen Lebewesen. Wir denken:
Ich bin nicht das einzige Wesen, das Leiden erfahren muß. Es gibt unzählige fühlende Wesen, die alle ähnliche Erfahrungen und Probleme wie ich haben; wie kann ich also daran denken, nur für meine eigene Befreiung zu arbeiten? Jedes Lebewesen ist zu irgendeiner Zeit in der Vergangenheit meine geliebte Mutter gewesen. Immer wieder mußte jedes von ihnen die Leiden von Krankheit, Altern und Tod erfahren, sie mußten das verlassen, was sie liebten, ertragen, was sie nicht mochten, und suchten vergeblich nach der Erfüllung ihrer Wünsche. Irgendwann einmal müssen alle Hunger, Durst, Konflikt, Ungewißheit, den wiederholten Verlust von Status und Gefährten ertragen. Bis heute konnten sie keine Sicherheit oder Zufriedenheit finden und wurden gezwungen, einen Körper nach dem anderen aufzugeben und immer wieder von neuem eine Wiedergeburt anzunehmen. Ich kann die Not aller dieser Wesen, die im Ozean Samsaras ertrinken, nicht ertragen; jedes von ihnen hat keine Wahl, sondern muß unermeßliches Leiden erfahren. Ich muß dafür arbeiten, sie alle zu befreien.
Читать дальше