„Wieso ‚hätte‘“, fragte Jennifer zurück.
„Er lebt nicht mehr!“, gab Hansen traurig zu. „Sein Herz machte nicht mehr mit – gerade als Sie mit Ihrem Experiment beschäftigt waren. Ich wollte Sie dabei nicht unterbrechen. Aber er war wirklich noch hier und hat sich in Ihrem Arbeitszimmer umgesehen. Er hatte eine Menge Fragen über Ihre Projekte, die ich ihm auch nicht beantworten konnte. Ich muss zugeben, ich kann Ihnen nicht mehr folgen. Es wird Zeit, dass ich abtrete.“
Jennifer hörte gar nicht mehr richtig zu. Alles rauschte in ihrem Kopf. Wie war das nur möglich? Ihr Freund und Förderer Friedrich Rupp war tot? Aber sie hatte doch gerade noch seine Stimme gehört!
Wie in Trance ging sie in ihr Zimmer zurück und ließ Hansen kopfschüttelnd zurück. Von seinen Plänen bezüglich der Geschäftsführung hatte sie nichts verinnerlicht.
Sie zog erneut die Schublade ihres Zeichentisches auf und nahm die beiden Oliven heraus. Sie waren bestimmt dort von Raupe deponiert worden. Aber welchen Zweck hatten sie?
„Hallo Jennifer!“, hörte sie Raupes Stimme erneut.
„Wo bist du?“, fragte sie laut und schaute sich erneut um.
„Ich bin Fritz und stecke in der durchsichtigen Olive, aber in Wirklichkeit bin ich in dir.“
„In mir?“ Jennifer hörte in sich hinein. Es stimmte. Die Stimme klang wie Raupe, doch sie schien überall zu sein. „Wie soll ich das verstehen?“, fragte sie laut.
„Du musst nicht sprechen“, sagte Raupe, „es reicht, wenn du denkst. Wir sind ab sofort gedanklich miteinander verbunden. Das ist ganz praktisch, damit andere nicht denken, du führst Selbstgespräche.“
„Aber ich verstehe nicht …“, begann Jennifer erneut.
„Dann werde ich es dir erklären! Setz dich hin, wir werden etwas Zeit brauchen.“
Jenny wollte sich setzen. „Muss ich etwas vorbereiten oder bereithalten?“, fragte sie. Sie war es gewohnt, praktisch zu handeln.
„Mach’s dir gemütlich, hol dir ein Getränk … oder soll ich das für dich machen?“
„Ja gerne“, dachte Jenny. Sie war gespannt, wie er das machen wollte.
Interessiert sah sie, wie der Kaffeespender plötzlich aktiv wurde, einen Becher auslöste und begann, ihn zu füllen: Kaffee mit Milch, ohne Zucker.
„Bitte schön!“, sagte Raupe. „Pass auf, er ist heiß!“
„Na gut, du hast mich überzeugt, was du alles kannst. Aber jetzt will ich endlich wissen, was hier vorgeht. Ich höre an deiner Stimme, dass du Raupe bist, und ich nenn dich seit Jahren so. Warum soll ich dich jetzt ‚Fritz‘ nennen?“
„Weil du mich so programmiert hast“, antwortete Fritz … oder Raupe … oder Friedrich Rupp, genannt Raupe … Jennifer war ganz durcheinander.
„Ich hab dich doch nicht programmiert!“, widersprach sie.
„Nun lass mich doch mal in Ruhe erklären und unterbrich mich nicht immer!“, sagte Fritz.
Jennifer lehnte sich mit dem Kaffeebecher in der Hand in ihrem Sessel zurück und hörte geduldig zu.
„Lass mich erklären. Wir einigen uns darauf, dass ich Fritz bin. Was ich dir zu sagen habe, verstehe ich auch nicht so genau, denn du bist mir inzwischen weit voraus. Ob du es glaubst oder nicht, das was hier mit uns beiden geschieht, ist von dir selbst entworfen, konstruiert und auch hergestellt. Schau dir die beiden Module an, die du in der Hand hältst. Wir haben sie immer als ‚Oliven‘ bezeichnet. Beide hast du selbst gebaut. Ich wäre dazu nicht in der Lage gewesen. Die durchsichtige stellt die Kommunikation zwischen uns her. Solange du sie bei dir trägst, können wir beide miteinander sprechen. Die undurchsichtige ist eine Zeitmaschine.“
„Eine Zeitmaschine?“, unterbrach Jennifer jetzt aber doch.
„Ja, ganz recht – eine Zeitmaschine, mit der du in die Vergangenheit reisen kannst. Aber vorsichtig: Das klappt nur in eine Richtung! Ohne Rückfahrkarte! Doch lass mich weitererklären. Wenn ich fertig bin, wirst du alles verstehen.
Du hast richtig erkannt, dass ich eigentlich Friedrich Rupp, der Erfinder des Rupp-Generators bin. Du hast mich ja bei der öffentlichen Vorstellung meines Erlkönigs im Bettkasten begleitet. Ich freue mich, dass ich mich in dir nicht getäuscht habe, als ich beschloss, dir etwas auf die Sprünge zu helfen. Ich bin richtig stolz auf dich! Damals ahnte ich aber noch nicht, dass der Rupp-Generator eigentlich von dir erfunden wurde.“
Jenny wollte schon wieder protestieren, doch Fritz wehrte sofort ab: „Glaub mir, ich habe das nie richtig begriffen, aber ich will dir die Geschichte aus meiner Sicht erzählen. Wie du weißt, hat mir Frau Emma Heldenreich, die damals älteste Frau Deutschlands, nach ihrem Tode die Hälfte ihres nicht unerheblichen Vermögens vererbt, in Verbindung mit dem Tante-Emma-Laden in Dorpamarsch, wo ich bis zu meinem Tode lebte. Ich gehe mal davon aus, dass ich inzwischen verstorben bin. Die beiden Oliven sind mein Vermächtnis an dich. Niemand sonst weiß etwas davon.
Doch kehren wir zu meinem Leben zurück. Ich lebte mit meiner Frau Rieke recht zufrieden mit dem Tante-Emma-Laden, der allerdings hauptsächlich von ihr betrieben wurde. Ich pflegte dagegen meine technischen Interessen. Durch einen merkwürdigen Glücksumstand fand ich die fertigen Konstruktionspläne für ein neuartiges Motorrad, das dann bei der Firma Public Mobile Group gebaut wurde. Ich habe nie herausbekommen, wer die Maschine eigentlich konstruiert hat. Die Pläne waren einfach da. Ich habe mit meinem Beratervertrag eine Menge Geld verdient.
Dann passierte etwas Merkwürdiges: Rieke hatte eine Geistererscheinung in unserem Gewölbekeller. Ein alter Mann machte sie auf einen vergrabenen Schatz aufmerksam. Das schlug mächtig hohe Wellen, denn an der angegebenen Stelle fanden wir wirklich drei Goldstücke aus dem Eigentum der drei Heldenreich-Schwestern Emma, Berta und Dora. Sogar eine Urkunde des Kaisers war dabei, so dass die Goldstücke dem Erbe der Emma Heldenreich zugeordnet werden konnten. Sie befinden sich noch immer in dem Tante-Emma-Laden in Dorpamarsch, der ja inzwischen als Weltkulturerbe eingetragen ist.
Was die Öffentlichkeit aber nicht erfuhr: Ich konnte anschließend noch eine uralte Metallkassette bergen, in dem sich unter anderem die beiden Oliven befanden. Diese waren sozusagen aus der Vergangenheit zu mir geschickt worden, doch es waren Relikte aus der Zukunft, was in sich eigentlich ein Widerspruch ist. Die durchsichtige Olive stellte sich als gewaltiger Datenspeicher heraus, der unter anderem das Kommunikationsprogramm mit ‚Fritz‘ enthielt. Von da an stand er mir jederzeit mit Rat zur Verfügung. Aber er wusste nicht alles, zum Beispiel auch nicht, wer ihn erschaffen hatte. Das blieb mir Jahrzehntelang ein Rätsel.
In dem Datenspeicher befanden sich aber auch die Baupläne für einen sensationellen Generator, der die Energietechnik komplett auf den Kopf stellte. Er wurde nach mir – dem vermeintlichen Erfinder – Rupp-Generator genannt. Die weitere Entwicklung kennst du. Du warst ja von Anfang an dabei. Wenn auch zunächst nur im Bettkasten.
Für mich war es lange Zeit unklar, wer denn den Generator wirklich erfunden hatte. Ich war es jedenfalls nicht.
Da bekam ich heraus, dass der alte Mann, der meiner Rieke im Keller erschienen war, ein Zeitreisender war. Als ich das einmal akzeptiert hatte, war die Erklärung plötzlich ganz einfach. Der Alte kam aus meiner Zukunft und hatte die Technik in die Vergangenheit befördert, damit ich sie zur rechten Zeit finden konnte. Damit ich sie auch wirklich fand, machte er Rieke darauf aufmerksam. Die Frage blieb aber: Wer war der alte Mann?
Auch das bekam ich heraus. Der Alte war ein gewisser Friedrich Torfstecher, der sich als Jude zwei Jahre lang in Emmas Gewölbe versteckt gehalten hat, gemeinsam mit drei Familien. Aber wie kam er in die Zukunft? Er war ja zu diesem Zeitpunkt seit vielen Jahren tot.
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