„Wir werden am besten gemeinsam dorthin gehen und vorhandene Spuren ansehen. Die Höllgrotten werden zur Zeit von Beamten der Spurensicherung untersucht. Aber vielleicht dürfen wir trotzdem rein.“ Gabriel Galliker war ein selbstsicherer Mann, der wusste, von was er sprach. Ein Mann, wie er John Etter gefiel. Geradeaus auf den Punkt. Einer, der sowohl den Vertrag gleichzeitig überfliegen konnte und seine Fragen beantwortete. Gabriel Galliker unterschrieb den Vertrag, behielt seine Kopie und gab das Original zurück.
John Etter unterbrach Galliker. „Darf ich schnell meinem Büro ein paar Aufträge in diesem Fall durchgeben?“ Ohne die Antwort abzuwarten, zupfte er das Handy hervor. „Hallo Susanne. Recherchieren Sie über Erpressungen in letzter Zeit im Bereich Lebensmittel in der Schweiz. Dann noch über die Besitzverhältnisse der Höllgrotten. Allfällige Ungereimtheiten et cetera und pipapo. Verstanden?“
Er steckte das Handy wieder ein. Das per Sie sein war seine Art, seinen Kunden am Telefon zu zeigen, wie respektvoll er mit seinen Mitarbeitern umging. Susanne lachte immer, wenn er ihr Sie sagte. Ab und zu fragte sie ihn, wenn er wieder im Büro war, ob sie wieder Brüderschaft mit ihm trinken müsse, damit sie ihm wieder du sagen durfte.
„Über den Besitzer der Höllgrotten kann ich noch einiges sagen, da wir ja eine geschäftliche Beziehung haben.“
John Etter setzte sich erst jetzt hin und hörte Galliker zu, was er zu berichten hatte.
Nachdem Galliker ihm über die Besitzverhältnisse und die Menschen, die dort arbeiten berichtet hatte, konnte er die Menschen von den Toppositionen der Verdächtigen streichen. Dies hieß jedoch bei John nie, dass sie nicht doch in Frage kommen würden. Er würde sich sein eigenes Bild machen.
„Gut, für mich reichen diese Angaben fürs Erste und wenn wir jetzt gemeinsam noch schnell die Höllgrotten aufsuchen können und vielleicht auch noch in Erfahrung bringen können, was die Polizei bereits herausgefunden hat, dann kann ich mit meiner Arbeit beginnen.“
„Die Polizei gibt Ihnen diese Angaben heraus?“, fragte Galliker erstaunt nach.
„Ja, wissen Sie, mal mach ich was für die und mal machen die was für mich. Das passt schon. Ich war selbst lange genug bei diesem Verein. Und das meine ich nicht abschätzig! Haben Sie etwas über ein verschwundenes Liebespaar gehört, die auch in der Umgebung der Höllgrotten verschwunden sind?“
„Nein, leider nicht. Erst kürzlich?“
„Ja, ist erst gerade aufgenommen worden.“
„Eine Frage noch, Herr Etter. Kommen solche Erpressungen häufig vor?“
John lehnte sich nochmals in seinem Stuhl zurück und holte etwas aus.
„Jein. Die meisten Erpressungsversuche kommen nicht an die Öffentlichkeit, weil sich Erpresser und Unternehmen einigen können und viele werden von der Polizei oder Detekteien wie meiner gelöst. Es ist schon seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer wieder zu aufsehenerregenden Fällen gekommen. Sobald Verbrecher, anders kann ich sie nicht nennen, ankündigen, Lebensmittel, Spirituosen oder Zigaretten zu vergiften, Sprengsätze in Elektrogeräten zu platzieren, Kosmetika mit Pflanzenschutzmitteln zu versetzen, Glassplitter unter Babynahrung zu rühren oder komplette Produktlinien zu sabotieren, herrscht in Unternehmen Alarmstufe. Vielleicht erinnern Sie sich an den Thomy-Erpresser, der 1998 vergiftete Nestlé-Produkte in Supermärkten verteilte, auf einem Kinderspielplatz deponierte und per Post verschickte. Das, kostete das Unternehmen durch die Beseitigung und den Austausch von 30.000 Produkten knapp 20 Millionen Euro. Die Lösegeldforderung lag bei 13 Millionen Euro. Vor allem der Schaden, der aus einem Imageverlust resultiert, ist nicht so einfach mess- und kalkulierbar. Die Rückgewinnung des Vertrauens der Verbraucher erfordert Geduld und zielgerichtete Maßnahmen, die viel Geld kosten. Problem ist auch das mögliche Auftreten von Trittbrettfahrern, die animiert durch die Meldungen in den Medien, ebenfalls Erpressungsversuche starten.
Viele solcher Erpressungen gelangen nicht in die Presse. Egal, ob bezahlt wurde oder nicht. Man will Trittbrettfahrer soweit wie möglich vermeiden. Bei Erpressungen in der Lebensmittelbranche ist in erster Linie Sensibilität gefragt, damit bei den Verbrauchern keine Panik ausbricht. Zudem muss die Krisensituation möglichst schnell und nachhaltig gemeistert werden. Selbst bei vielen Trittbrettfahrern sollte grundsätzlich jede Erpressung ernst genommen werden, um unnötige Risiken zu vermeiden. Ein gut funktionierendes Risikomanagement ist daher unabdingbar. Dazu gehören die Erstellung eines Krisenplans und die Etablierung eines speziell ausgebildeten und trainierten Krisenstabs.
Sie können darauf zählen, dass sowohl die Kantonspolizei mit ihren Leuten wie auch ich solche Fälle kennen. Wesentlicher Bestandteil eines präventiven Risikomanagements ist die Situations- und Risikoanalyse. Fragen wie „Welche Produkte sind aufgrund ihrer Umsatzstärke und Bekanntheit besonders gefährdet?“, „Sind wir von einem/wenigen Produkten abhängig oder stark diversifiziert?“, „Wie angreifbar sind wir von innen und außen?“, „Wie einfach ist eine Manipulation der Produkte oder wird diese durch eine Versiegelung wirksam verhindert?“, brauchen klare Antworten. Gerade bei Letztgenanntem ist die Optimierung der Produktsicherheit wichtig. Maßnahmen wie Siegel, Folierung oder Vakuumverschlüsse haben die Sicherheit für die Verbraucher und für die Unternehmen nachhaltig erhöht.
In Ihrem Fall, Herr Galliker, scheint es einfach zu sein, eine verschmutzte Flasche zu erkennen, muss das Mittel, welches verwendet würde, irgendwie in eine originalverschlossene Flasche gebracht werden.“
„Nun, das beruhigt mich nur zu einem Teil. Meinen Sie, dass es sich hier um Profis handelt?“, fragte Gabriel Galliker nach.
„Das ist im Moment noch schwer zu sagen. Die Spezialisten der Polizei haben bisher ja nur den Brief. Die Wortwahl scheint nicht viel herzugeben und es scheint sich auch um einen Nullachtfünfzehn-Drucker zu handeln, mit dem er gedruckt wurde. Vielleicht haben wir Glück und sie finden DNA auf dem Papier oder dem Kuvert. Und mit noch etwas mehr Glück ist dieses Profil schon einmal auffällig geworden. Aber bei diesen Aussagen ist viel vielleicht mit dabei.“
„Haben Sie selbst schon einmal an einem Fall mitgearbeitet?“, fragte Galliker nach.
„Ja, das kam schon vor. Aber wir konnten sowohl den Fall frühzeitig lösen wie auch die Öffentlichkeit außen vor lassen.“
„Gibt es Beispiele dafür, dass es für die Unternehmen im Ernstfall sehr schmerzhaft werden kann?“ Galliker schien besorgt um den tadellosen Ruf der Firma, was John sehr gut nachvollziehen konnte.“
„Nun ja, es gab zu meinen Polizeizeiten einen deutschen Erdnussbutter-Hersteller. Der wurde damit erpresst, dass gezielt Lieferungen mit Salmonellen kontaminiert werden. Im Falle einer Lösegeldzahlung in Höhe von fünf Millionen Euro würde die Drohung nicht wahr gemacht werden. Das Unternehmen ignorierte die Ankündigung und führte die Produktion unverändert fort. Wochen später erkrankten in mehreren Ländern nach dem Verzehr der Erdnussbutter rund 600 Menschen. Auch in der Schweiz. Wir konnten den Täter stellen. Die spezielle Versicherung übernahm die angefallenen Kosten und kam für den entstandenen finanziellen Schaden auf. In einem anderen Fall wurde der Geschäftsführer eines Fleischverarbeiters aufgrund seiner Tierhaltungsbedingungen per E-Mail bedroht. Er sollte nachbessern oder die Produktion umgehend einstellen, sonst würden seine Fleischprodukte manipuliert. Der Täter hat seine Drohungen nicht wahr gemacht, sodass es zu keinen weiteren Vorkommnissen kommen konnte. Sie sehen, Herr Galliker, wir kennen solche Fälle und ich kann Ihnen versichern, die Zusammenarbeit mit der Polizei war auf alle Fälle eine richtige Entscheidung.“
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