Gabriel Galliker war Geschäftsführer der Etter-Distillerie und mit der Tochter des Inhabers verheiratet. Nach dem Besuch bei Galliker, der ergebnislos endete, da diesem weder vor, während, noch nach dem Anlass etwas aufgefallen war, fuhr er weiter zu Herbert Iten, der ein Reiseunternehmen leitet. Der war Ende fünfzig, mit einer wesentlich jüngeren Frau verheiratet und auch ihnen war nichts Verdächtiges aufgefallen. Danach machte er sich auf den Weg zu Leo Schmid. Bär hatte John Etter versprochen, ihn bei diesem letzten Besuch mitzunehmen, da er so wieder zu neuen Kunden kommen könnte. Eine Hand wäscht die Andere, so funktionierte ihre Freundschaft. Und die Familie Schmid war ein ganz großes Kaliber, die bestimmt mal seine Dienste in Anspruch nehmen konnte.
John Etter hatte über den Industriellen gelesen: Er besaß einen Familienbetrieb, der Spielzeuge herstellt und ihn erfolgreich in das einundzwanzigste Jahrhundert geführt hatte, indem er Tradition und Moderne kombiniert hatte. Etter setzte sich in Bärs Wagen und sie fuhren zu dem Stammsitz des Familienunternehmens. Von der modelmäßigen Rezeptionistin ließen sie sich bei der Geschäftsführung anmelden.
Man schickte sie mit einem Aufzug in den obersten Stock. Dort erwartete sie eine riesige Empfangshalle, ausgelegt mit dicken Teppichen, in denen ihre Schritte geräuschlos versickerten. Die Umgebung war wesentlich luxuriöser, als die der beiden anderen Unternehmer, wie Bär anerkennend feststellen musste.
Eine junge Frau hinter einem Büro lächelte sie an:
„Was kann ich für Sie tun?“
„Bruno Bär, Kantonspolizei! Und John Etter. Wir hätten gerne Herrn Leo Schmid gesprochen.” Es war nicht das erste Mal, dass er sich so vorstellte. Bär hatte sich daran gewohnt, im Vorstellungsprozess keinen Fehler zu machen. Die meisten überhörten die Feinheit und dachten sich, dass Etter ebenfalls zur Polizei gehörte. Und da Bär ihm schon einige Gefallen schuldig war, schien dieser Besuch eine gute Gelegenheit, die Waage etwas mehr auszugleichen.
Die Frau lächelte weiter:
„Es tut mir leid, aber Herr Schmid ist nicht im Haus. Vielleicht möchten Sie mit Alina Schmid sprechen, der Juniorchefin?“
John Etter erinnerte sich. Das musste die Tochter sein, die auch auf dem Empfang gewesen war.
„Ja, wenn das möglich wäre.“
Die Frau drückte eine Taste: „Frau Schmid, verzeihen Sie die Störung. Hier sind zwei Herren von der Kantonspolizei, die Herrn Schmid sprechen wollen. Könnten Sie sie empfangen?“
Sie horchte auf die Antwort und sagte dann:
„Gehen Sie bitte durch die Tür da vorne. Frau Schmid erwartet Sie.“
Beide sanken knöcheltief in den Teppich ein, während sie auf die Tür zugingen. Bär klopfte und sie traten ein.
Das Büro dahinter war ähnlich ausgestattet und hinter dem Schreibtisch saß eine junge blonde Frau mit langen Haaren, die in einem strengen Knoten am Hinterkopf zusammengehalten wurden.
Die Frau erhob sich und kam auf sie zu. Sie war groß, mittelschlank und steckte in einem engen Businesskostüm, das ihre Formen aufs vorteilhafteste betonte, ohne aber aufdringlich zu wirken.
Sie hielt ihnen eine Hand entgegen und lächelte sie an:
„Guten Tag. Ich bin Alina Schmid. Kann ich helfen?“
Etter blieb die Luft weg, als sie ihn mit meerblauen Augen ansah. Sie war das liebreizendste Wesen, das er seit Langem gesehen hatte. Nur mit Mühe antwortete er:
„John Etter!“
Sie lächelte schelmisch: „Was hat mein Vater wieder angestellt? Hat er schon wieder ein Ticket wegen falschen Parkens bekommen?“
Bär übernahm. „Wegen falschen Parkens kommt die Kantonspolizei nicht. Sie waren gestern Abend auf der Gala im großen Zelt in Zug?“
Sie zeigte auf eine Sitzgruppe.
„Setzen sie sich bitte. Ja, ich war mit meinem Vater auf einem Empfang der internationalen Unternehmergesellschaft. Warum fragen Sie?“
„Wir überprüfen alle Anwesenden, da in der Zeit im Hotel ein Dieb unterwegs war.“
„Oh!“
Ihr Mund wurde ganz rund.
„Ein Dieb? Meine Juwelen sind aber alle noch da! Gott sei Dank, denn ich trug ein Diadem, das meiner Mutter gehört hat und nur schwer zu ersetzen gewesen wäre. Was ist denn weggekommen?“
„Nichts, wir haben den Dieb auf frischer Tat ertappt.“
„Ach, das ist interessant. Ja, ich erinnere mich, dass die Polizei uns angehalten hat, um unsere Personalien aufzunehmen. Aber ich wusste nicht, warum.“
„Ja, ich wollte wissen, ob Sie oder ihr Vater etwas bemerkt haben.“
Sie dachte nach. „Wann, während der Veranstaltung, oder danach?“
„Davor, danach, während. Haben Sie vielleicht jemanden bemerkt, der sich ungewöhnlich verhielt. Oder ein auffälliges Fahrzeug?“
Sie schüttelte bedauernd den Kopf und eine bezaubernde kleine Haarsträhne löste sich aus ihrem Knoten:
„Nein, aber ich war auch sehr mit meinem Vater beschäftigt. Sie wissen vielleicht, dass er im Rollstuhl sitzt und es benötigt immer eine gewisse Logistik, die mich ganz in Anspruch nimmt. Wir sind gestern Abend gegen acht Uhr hingefahren, mein Vater und ich. Mein Vater geht gerne auf diese Veranstaltungen, aber es ist zu mühsam, wenn sie in einer anderen Stadt sind. Also gehen wir nur, wenn es mit dem Auto erreichbar ist und so nahe wie gestern.“
Bär sah sich um. „Scheint gut zu gehen, Ihr Unternehmen.“
Sie lächelte wieder. „Ja, unsere Spielzeuge gehen gut im Moment. Vor allem, was elektronisch gesteuert werden kann.“
Etter hatte sich endlich wieder gefasst und konnte den Blick von ihr lassen. Dann deutete er auf ein Porträt, das hinter ihrem Schreibtisch hing. Es zeigte einen gut aussehenden, älteren Mann sitzend und hinter ihm standen ein junger Mann und ein Mädchen. Das Mädchen hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Alina, obwohl es mindestens 15 Jahre jünger war.
„Ist das Ihr Vater?“
„Ja, ist gut gelungen das Bild, aber ich denke, Sie erkennen mich.“
„Ja. Und Ihr Bruder war gestern nicht auf dem Empfang?“
Sie schüttelte immer noch lächelnd den Kopf. Der junge Mann auf dem Bild hatte blonde Haare wie sie und einen Bart. Er schien mindestens fünf Jahre jünger zu sein.
„Mein Bruder Daniel leitet unsere Filiale in Hongkong, wo er auch lebt. Er kommt selten, leider. Sie wissen, heutzutage werden die meisten Spielzeuge aus Kostengründen in Asien angefertigt. Wir mussten mitziehen, wenn wir überleben wollten, auch wenn ich gerne die Produktion hierbehalten hätte. Jetzt lassen wir die Rohprodukte in Hongkong herstellen und hier ist nur noch eine Fabrik, die alles zusammensetzt und drauf schreibt: „Made hier vor Ort. So ist es leider.“
„Ist das legal?“, fragte John Etter, auch wenn die junge Frau ihm mehr gefiel als ihn die Antwort interessierte. Sie hatte Klasse und Charme.
„Ja, das ist es, solange der letzte Arbeitsschritt hier stattfindet und der Teuerste ist. Warum, wollen Sie mich festnehmen?“
Sie hielt ihm ihre Hände demonstrativ entgegen, so als sollte er Handschellen darumlegen. Er nahm die Gelegenheit wahr und nahm ihre Hände in seine:
„Vielleicht sollte ich das, dann kann ich Sie wiedersehen.“
Sie entzog ihm ihre Hände und sagte: „Das können Sie auch so. Sie dürfen mich heute Abend zum Essen einladen und dann erzählen Sie mir alles über Ihren Bösewicht. Denn jetzt muss ich leider weg, ich habe eine Besprechung. Holen Sie mich um zwanzig Uhr ab, dann kann ich Ihnen auch meinen Vater vorstellen. Aber ich versichere Ihnen schon jetzt, dass er nicht in der Lage ist, irgendwo einzusteigen, um etwas zu stehlen, es sei denn, jemand hebt ihn herein.“
Sie neckte ihn und es gefiel John Etter. Bär verfolgte das Geschehen mit perplexem Blick. Aber ein solches Date würde ihm vielleicht auch weitere Erkenntnisse bringen und so mischte er sich nicht weiter ein.
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