Mit unfreundlichen Mienen der dort stehenden Mitarbeiter Bärs wurde er empfangen. Bruno Bär ging alleine ins Vernehmungszimmer, wusste aber seine Mitarbeiter hinter der Glasscheibe als Zeugen und nun auch John Etter.
Der junge Mann trug mittlerweile nicht mehr seine schwarze Kleidung, sondern an deren Stelle einen einfachen Gefängnisoverall. Er saß an einem kleinen Tisch, die Hände vor sich auf den Tisch gelegt in Handschellen.
Er blickte auf, als Bär hereinkam.
Bär ging auf ihn zu:
„Guten Tag. Ich bin Bruno Bär. Ich war gestern Abend bei der Festnahme am Schluss dabei.“
Er nahm einen Schlüssel aus der Tasche und löste die Fesseln. Der junge Mann ließ die Hände auf dem Tisch liegen, ohne die Handgelenke zu reiben, wie die meisten es tun würden. Er sah Bär ruhig an, sagte aber nichts. Als sie ihn gestern Abend noch erkennungsdienstlich erfassen wollten, machte er keine Angaben zu seiner Person. So wurden ihm lediglich die Fingerabdrücke abgenommen und er wurde mit neuer Kleidung eingedeckt in die Zelle verbracht.
Bär fragte:
„Und wie heißen Sie?“
„Stephan Meier,“ war die Antwort.
Bär schien überrascht. Er hatte gedacht, dass der Gefangene vielleicht auf eisernes Schweigen bauen würde, aber nein, er antwortete korrekt auf seine Fragen.
„Wo wohnen Sie?“
„Im Moment im Hotel Ochsen in Zug.“
Bär kannte das Hotel. Ein recht gutes Hotel, zentral gelegen.
„Seit wann wohnen Sie dort?“, fragte er weiter.
„Seit einer Woche ungefähr.“
„Und wo waren Sie vorher?“
„Ich bin mit der Bahn gereist.“
„Und von wo sind Sie gekommen?“
„Das kann ich nicht sagen. Ich war dort nicht gemeldet. Der Kondukteur hat mich schwarzfahren lassen, weil ich ihn bestochen habe, darum gibt es keine Unterlagen. Und ich will ihn nicht in Verlegenheit bringen.“
Nun wurde es schon interessanter. Es hätte Bär wohl auch gewundert, wenn ein Profi sich so einfach fangen lassen würde. „Und davor, was gemacht?“
„Alles, was einfaches Geld bringt. Ich habe auf dem Bau gearbeitet, als Gärtner, als Poolboy, als Kellner und dann meine besten Fähigkeiten entdeckt.“
„Irgendwelche Belege?“
„Nein. Immer nur bar bezahlt.“
„Haben Sie wenigstens einen Ausweis?“
„Nein.“
„Einen Führerschein?“
„Ich fahre kein Auto.“
Bär griff nach der Hand seines Gegenübers, die locker auf dem Tisch lag. Dieser ließ widerstandslos zu, dass Bär sie herumdrehte und die Handfläche ansah. Sie war mit Schwielen übersät.
Der Punkt ging an den jungen Mann. Natürlich konnten die Schwielen von harter körperlicher Arbeit stammen. Aber Schwielen würde er auch bei einem professionellen Fassadenkletterer erwarten.
Er fragte weiter:
„Sie haben einen leichten Akzent. Sind sie kein Schweizer?“
„Doch, das heißt, ich glaube schon. Aber ich habe schon überall gelebt. Dort, wo ich Arbeit finde, bleibe ich, bis es mich weiterzieht. Ich war vorher lange im Ausland.“
„Wo?“
„Das kann ich nicht sagen.“
„Wo und wann sind Sie geboren?“
„Ich weiß es nicht. Meine Jugend habe ich in Österreich verbracht.“
„Wie alt sind Sie?“
„25 Jahre, glaube ich.“
Bär wirkte leicht säuerlich. Er ließ den Jungen in seine Zelle zurückbringen und schickte seine Leute los ins Hotel, um weitere Erkundigungen einzuholen. Dort musste er sich ja anmelden.
Dann begrüßte er John Etter. „Hallo alter Kamerad, hast mal wieder unsere Arbeit gemacht.“
„Ja, wenn ihr sie nicht macht“, warf John Etter ihm zu. Sie betraten gemeinsam Bärs Büro und Etter musste den Abend Revue passieren lassen. Mit stoischer Ruhe sprach er alle Angaben ins Mikrofon und ging danach mit Bär in die Kantine. In der Zwischenzeit würde der Rapport getippt und er konnte ihn unterschreiben.
Später am Nachmittag berichtete Bär ihm telefonisch, dass die Geschichte soweit zu stimmen schien. Er hatte ein Zimmer im Ochsen. Dort waren seine Sachen deponiert: ein Koffer mit zwei verblichenen Jeans, ein paar T-Shirts, zwei Pullovern, einer Jacke, Unterwäsche. Aber keine Papiere. Jedoch ein großes Bündel Geld, was aus einem Bruch stammen könnte. Die Papiere, die noch an der Rezeption lagen, waren offensichtlich nicht seine und wäre er nicht so spät am Abend angekommen, wäre dies auch aufgefallen. Er legte gleich fünf Zweihunderter auf den Tisch und faselte etwas von geklauter Brieftasche und dass er keine Kreditkarte habe und sich bald darum kümmern würde. Außerdem hatten sie in der Stadt herumgefragt. Der junge Mann war vor einer Woche angekommen und hatte sich in der ganzen Stadt herumgetrieben. Danach ließ er seine Leute den jungen Mann verhören und er sah hinter der Glasscheibe zu. Stephan Meier erklärte, dass er in einer Bar von einem Mann angesprochen worden war, der ihm Geld geboten hätte, wenn er in dieses Hotelzimmer einsteigen würde. Und er hatte ihm erklärt, wie er den Safe würde öffnen können.
Bär habe ihn genau beobachtet. Er sah seine leichte Unsicherheit, gespielt oder echt? Er wurde das Gefühl nicht los, dass ihn der Junge komplett an der Nase herumführte.
Später habe er seine Leute mit Aufträgen eingedeckt: „Ich will wissen, wer er ist. Alle Datenbanken durchsuchen, die wir haben: Fingerabdrücke, DNA, Führerscheine, Einwanderungsbehörde! Er muss doch irgendwann einmal aktenkundig geworden sein. Und ich will, dass ihr allen seinen Aussagen nachgeht. Und dann will ich, dass das Hotel des Einbruchs und die angrenzenden Gebäude überprüft werden. Vielleicht hatte er selbst auch ein Zimmer im Hotel oder einer seiner Komplizen. Oder in der Nachbarschaft. Hat ein Auto auf ihn gewartet? Worauf wartet ihr! Ich will Antworten!“
Dieser Stephan Meier war scheinbar wirklich ein unbeschriebenes Blatt. Es schien, dass er keine Vergangenheit hatte, und nie existierte, bis vor einer Woche, als er ins Hotel Ochsen eingezogen war. Niemand erinnerte sich an einen Fremden, der mit ihm gesehen worden sein könnte.
Die Erkundigungen über das Hotel und die Personen anlässlich des Einbruchs waren schwieriger. Am Abend hatte es eine große Gala gegeben mit einer großen Anzahl hochkarätiger Gäste. Es war eine Veranstaltung des internationalen Unternehmerverbandes gewesen mit vielen auswärtigen Gästen. Diese waren nur teilweise im Hotel gebucht. Dazu waren noch einige wenige lokale Produzenten, die nur abends an der Gala-Veranstaltung erschienen, anwesend.
Auch wenn er sich nicht viel davon erhoffte, ließ Bär sie doch alle überprüfen. Und jetzt kam John Etter wieder ins Spiel. Bär und Etter waren einmal Kollegen und auch heute noch ein gutes Team. Geben und nehmen war für beide eine gute Devise. Sie waren auch privat schon seit ewigen Zeiten gute Freunde.
„Du kennst doch einige der Leute, die auf dem Empfang waren. Kannst du mir ein paar Tipps geben. Du kennst alle, die in unserem Kanton Rang und Namen haben.“
John Etters Stunde schlug. Er konnte wieder mit seinem Wissen über die Menschen auftrumpfen und hatte bei Bär wieder einen Stein im Brett.
„Wer war denn dabei?“
Bruno Bär las eine Liste vor und John murmelte immer wieder: „OK, OK, OK - OK.“ Als die Liste durch war, klärte er Bär über die kantonale Prominenz auf. Viele auf der Liste kannte auch er nicht, handelte es sich doch um einen internationalen Anlass. Aber die Namen, die im Kanton verwurzelt waren, waren ihm alle ein Begriff. Und einige von nationaler Bedeutung kannte er auch.
Bruno Bär konnte so auf der Liste die Spreu vom Weizen trennen und schickte seine Leute zur Spreu.
Er besuchte nur die wichtigen lokalen Größen: Herbert Iten und Frau, Gabriel Galliker und Frau sowie Leo Schmid, der mit seiner Tochter an der Veranstaltung teilgenommen hatte.
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