Falo ist ein sehr schnelllebiger Mensch. Eine Stunde dauert für ihn höchstens fünfzig Minuten. Dieses Mal sprudelt er nur ganz kurz und macht dann eine erwartungsvolle Pause, damit ich ja sagen kann.
"Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nicht abkömmlich bin. Sally fliegt für zwei Wochen nach Los Angeles. Sie wird sicher mal bei dir vorbeischauen. Ich muss Harry Gesellschaft leisten. Es geht nicht, Falo, und damit basta. Frag doch mal bei ...."
Ich muss gestehen, mir fällt kein Kollege ein, den ich an meiner Stelle empfehlen könnte. Und er hört sowieso kaum zu.
"Bring Harry mit, John! Er kriegt seine eigene Suite im Hotel und eine Studentin, die ihn vierundzwanzig Stunden am Tag Gassi führt. Filetsteak, täglich frisch eingeflogen aus Argentinien und garantiert frei von Rinderwahn!"
Jeder Heiratsschwindler könnte bei Falo in die Lehre gehen, und sogar viele Politiker. Schon wieder kommt er mit dem Angebot, mir irgend jemandes Privatjet zu schicken. Das muss ihm besonders verlockend erscheinen, er selber besitzt keinen, soviel weiß ich. Aber dass er auch für Harrys Bedürfnisse sorgen will, stimmt mich wirklich nachgiebig.
"Ich weiß wirklich nicht, warum ich das tun soll, Falo. Aber gut, ich komme dir zu Hilfe. Eine Woche, keinen Tag mehr. Und wie du weißt, fliegt Harry nicht gern. Jetzt schlafe ich mich erst mal aus, und morgen, im Lauf des Vormittags, fahren wir los. Wenn wir an der Grenze nicht allzu lange warten müssen, sind wir Samstag Abend da, und du kannst für Sonntag schon die ersten Termine ansetzen. Ich werde sehen, ob Sallys Kongresshotel noch was frei hat – und ob Harry rein darf."
Er sagt einige Augenblicke nichts. Wahrscheinlich ist er selber überrascht, dass sein Flehen erhört wurde. Soll ich mein Angebot wieder zurücknehmen? "Hallo, Falo, bist du noch da?"
"John?" Das klingt alles andere als jubilierend. Zögernd, unsicher, kleinlaut. Als hätte ihm in einem SchickeriaRestaurant der Obersommelier gerade eröffnet, hier würde zu Forelle blau kein Rotwein serviert, Monsieur.
"John ....."
"Ja?"
"John, ich bin noch da, und mir ist soeben ein Felsen vom Herzen gefallen. Aber ..."
"Aber was?"
"Ihr könnt nicht mit dem Auto kommen." – Pause – "Das geht leider nicht, John ..." – Pause – "Du hast mir nicht richtig zugehört, wir sind gar nicht in Hollywood. Wir sind in Italien, in Neapel. La Bella Napoli erwartet dich, John Watson, Capri, Sorrento, der Vesuv. Du wirst es genießen, du wirst es lieben, und wir lieben dich. Ciao, John!"
Er lässt mir keine Chance, doch noch schnell Nein zu sagen. Sally seufzt: "Ich wusste es" und zieht sich wieder zu ihren Vortragstexten zurück. Harry und ich sitzen noch lang am Fenster, genießen den immer dunkler werdenden Himmel und die immer heller werdenden Lichter rund um die Bucht. Ich hätte es mir denken können. Es ist erst ein paar Monate her, dass wir hier nächtelang sein neuestes Projekt diskutiert haben, Falo mit seinem geliebten kalifornischen Rotwein, ich mit meiner scheinbar bodenlosen Kaffeekanne, aus der man, wie der Zauberer auf offener Bühne, nach jeder Nummer wieder eine neue Tasse nachschenken kann.
Das mit Air Force One war natürlich ein leeres Versprechen von Falo. Genau gesagt hat er es auch gar nicht versprochen, ich habe es mir nur ausgemalt. Andererseits, wenn Falo Schöndorff so viel Macht besäße, das Flugzeug des Präsidenten über die Welt zu schicken, brauchte er nicht mich verzweifelt um Hilfe anzuflehen, denn jeder abgestandene Ersatzschauspieler, auch Colin Aberthau, würde ihm bedingungslos aus der Hand fressen, auch den letzten noch nicht gedachten Wunsch von den Augen ablesen und ihn vorauseilend erfüllen.
Beinahe ebenso gut wie mit der Präsidentenmaschine ist uns aber der Flug mit Transcosmic International bekommen, dieser kleinen Fluglinie für Teuerflieger, die nie überbucht ist, wo man nie ein weniger als halb volles Champagnerglas neben sich stehen hat (wenn man denn überhaupt Champagner mag, ich bleibe bei Kaffee), wo man auch während des Fluges per Handy telefonieren kann (wenn's denn unbedingt sein muss), und wo Hunde n einen Platz in der Kabine buchen können und mit Futter der Marke Canis Voluptus in fünf Geschmacksrichtungen verwöhnt werden. Für mich allein hätte ich Falo nur ein Touristenticket in Rechnung gestellt, aber schließlich kann ich Harry nicht zumuten, in diesen engen Sitzen zu reisen, mit Hühnerbeinen und Fahrrädern um und über sich. Oder gar in einem Plastikkäfig im Laderaum. Grässlich!
Transcosmic fliegt nicht nach Neapel aber immerhin nach Rom, und da haben wir, auf Falos Kosten, einen Leihwagen vorbestellt. Das war schwieriger als erwartet, denn wer Transcosmic fliegt, der fährt Mercedes und keinen Mini. Irgendwie haben wir es aber doch geschafft, und so kann Harry gemütlich von seinem speziell für den Mini konstruierten Hundesitz (kein Zuschlag für Sperrgepäck bei Transcosmic!) die Welt betrachten. Er hätte nie im Leben gedacht, dass er noch ein zweites Mal nach Europa kommt. Ich auch nicht. Aber es gefällt uns hier, denn Hunde, Katzen, Papageien, Goldfische und andere Mitbewohner dieser Erde genießen im Alten Europa wesentlich größere Rechte und Freiheiten als in der Neuen Welt.
So trundeln wir die Autostrada in Richtung Süden hinab. Wir möchten unbedingt noch bei Tageslicht ankommen, denn in der Dunkelheit verlieren selbst alteingesessene Neapolitaner außerhalb ihres Viertels die Orientierung. In der Ewigen Stadt haben wir uns nicht mit Besichtigungen aufgehalten, mit Rücksicht auf Falo, der wartet schon seit Stunden händeringend in der Hotelhalle in Neapel. Aber auf dem Heimweg möchten wir unbedingt ein paar Tage Urlaub in Rom machen. Ich muss Harry doch den Vatikan zeigen! Das wird sicherlich interessant für ihn. Er ist zwar nicht katholisch, aber man muss ja auch kein Filmstar sein, wenn man sich in Hollywood umsehen will. Und danach gibt's einen Kaffee an der Piazza Navona! Die Fontana di Trevi werden wir uns schenken, da gehen nur die Touristen hin, um ihr Kleingeld einzuwerfen, aber wir sind keine Touristen, wir sind Reisende. Bis jetzt bin ich mir auch nicht sicher, ob wir das Kolosseum besichtigen sollten. Ich kenne es schon, und ich weiß nicht, ob ich Harry die schrecklichen Geschichten zumuten kann, die sich dort abgespielt haben, mit Löwen, Gladiatoren und Märtyrern. Er ist doch sehr sensibel.
Nach einer Stunde wird es Harry langweilig. Vielleicht kann er auch mit der italienischen Landschaft nicht viel anfangen, ein Hund hat in dieser Beziehung doch andere Maßstäbe als wir. Er windet sich zwischen den Sessellehnen nach vorn und nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Das Navigationsgerät habe ich ausgeschaltet, denn diese tonlose Frauenstimme nervt ihn, und er bellt dann ganz ungehemmt und ausdauernd zurück. Zu unserer Linken ragt ein Berg in den Himmel, nicht ganz in den Himmel, aber doch so hoch, dass vor weit über tausend Jahren dort schon ein Kloster entstand, weil die Mönche ihrem Herrn so nahe wie möglich sein wollten.
"Das ist ein historischer Ort, Harry, den du dir merken solltest. Er heißt Monte Cassino und war im zweiten Weltkrieg Schauplatz einer mörderischen Schlacht. Dreißigtausend Soldaten sollen hier umgekommen sein, und das wundervolle, historische Kloster war nur noch ein tiefer Krater im Berg. Zum Glück haben die Deutschen damals die Kunstschätze rechtzeitig in Sicherheit gebracht, und das Kloster ist später wieder aufgebaut worden."
Harry starrt angespannt und mit einem leisen, bedauernden Fiepen auf die andere Seite, wo sich gerade ein Schwarm großer Vögel niederlässt. So ist er nun mal. Ich erwarte ja auch gar nicht, dass ihn meine Geschichten interessieren. Aber statt nur "Setz dich oder "Braver Harry" zu sagen, kann ich ihm doch genauso gut erzählen, was mir gerade durch den Kopf geht.
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