»Keine Angst!«, knurrte er, »sie lebt und sie wird lange genug Zeit haben, ihre vorlauten Worte zu bereuen.«
Dietlinds Augen waren geschlossen, die hellblonden Haare und der Hals dunkel von Blut.
»Es ist nicht ihres!«, erklärte Brandolf. »Die Hündin hat um sich geschlagen wie eine Walküre und so manchen meiner Männer verletzt. Ich bin sicher, dass der eine oder andere sich gerne revanchieren wird.«
Aus dem Eingang stürzte eine Frau mit einem Speer in der Hand, die Haare aufgelöst, doch mit einem entschlossenen Ausdruck im Gesicht. Ihr Blick fiel auf sie. Drohend senkte sie die Speerspitze und instinktiv hob Farold sein Sax. An ihrer Schulter vorbei sah Farold in das Innere der Halle, wo die verbliebenen Frauen sich mit grimmigen Mienen gegen die Übermacht der Männer verteidigten und langsam zur hinteren Wand zurückwichen. Ihr Schicksal war unausweichlich, und sie wussten das.
»Das ist doch eine angemessene Gegnerin für dich, kleine Katze!«, brummte Brandolf. »Jetzt kannst du zeigen, ob du den Umgang mit der Waffe beherrscht.«
Als die Frau einen Schritt auf sie zu machte, bemerkte Farold, dass sie das linke Bein weniger belastete, und sah einen sich ausbreitenden Blutfleck knapp unter ihrer Hüfte, wo der Stoff des Kleides zerschnitten war.
Einen Augenblick sah sie ihm in die Augen, das bleiche Gesicht schweißglänzend, die zu einem Zopf gesteckten Haare, die sie als eine verheiratete Frau kennzeichneten, aufgelöst. Jung war sie nicht mehr, die Spuren des Alters hatten sich in ihr Gesicht gegraben und das braune Haar zeigte die eine und andere graue Strähne.
Im Hintergrund wurde eine der Frauen niedergehauen, ihr Todesschrei ließ die Frau die Augen zusammenkneifen. Sie wusste, dass sie mit ihrer Verletzung nicht entkommen konnte. Farold schüttelte unmerklich den Kopf, doch in diesem Augenblick ging sie zum Angriff über.
Die Spitze des Speeres verfehlte seine Brust nur knapp, als er etwas zu lange zögerte und erst im letzten Augenblick ihre Waffe zur Seite ablenkte. Die Schneide seines Saxes hieb eine Kerbe in das Holz, so dass sie Mühe hatte, den Speer zu halten. Von dem Schwung nach vorne getragen erlangte sie viel zu spät ihr Gleichgewicht wieder. Als sie den Speer ein weiteres Mal gegen ihn richten wollte, stand er neben ihr und schlug den Griff des Saxes gegen ihre Schläfe. Ohne ein Wort stürzte die Frau zu Boden.
Benommen starrte Farold auf die zu seinen Füßen liegende Frau, während Brandolf an seine Seite trat.
»Wir können keine Gefangenen gebrauchen!«, sagte er.
Bevor Farold der Sinn seiner Wörter klar wurde, zertrümmerte Brandolf ihr mit einem kräftigen Hieb seines Schwertes den Schädel.
»Du hast dich bewährt, fürs Erste!«, sagte der Räuberanführer und entfernte sich.
Mühsam wandte Farold den Blick von der Frau ab und schritt hinter Brandolf her, eine Leere in seinem Inneren spürend, wie er sie noch nie empfunden hatte.
Auf dem Gräberfeld
Kühler Wind jagte dunkle Wolken über den niedrigen Himmel und bog die Äste des umliegenden Waldes. Das Holz der knorrigen Bäume ächzte unter dem Sturm, und der Geruch nach Fäulnis lag in der Luft. Seit der Zeit ihrer Vorväter kamen die Sippen der nahen Höfe zu diesem Platz, um ihre Toten zu bestatten, und so hatte es auch Arbogast getan.
Erschöpft und grimmig stand er bei den beiden Holzgestellen, die die toten Körper von Isbert und Sarhild trugen. Seine Augen brannten von zu wenig Schlaf, doch er achtete nicht auf seinen müden Körper. Fredegard stand einsam am Rande des Gräberfeldes, sie hatte ihren blauen Umhang fest um ihre hagere Gestalt geschlungen und während der ganzen Vorbereitung kein Wort mit den anderen gewechselt. Der Wind peitschte ihr langes graues Haar.
Wortlos umstanden die Männer und Frauen die beiden Leichname, sie alle waren schweigsam angesichts der Nähe der Ahnen, denen Isbert und Sarhild bald begegnen würden, und des düsteren Todes, der ihnen beschieden gewesen war.
Aleke, die ein weißes Kleid trug, hatte ihre Haare mit hellen Bändern geschmückt. Sie trat vor und legte die Hand auf einen der Pfosten. Tränen rannen über ihr Gesicht, aber sie hatte darauf bestanden, das Feuer zu entzünden. Eckarts Miene war versteinert, er stützte sich schwer auf seinen Stock. Wäre er jünger gewesen, er hätte den Töter seiner Tochter selbst verfolgt, dessen war sich Arbogast sicher.
Mit einem Ruck ergriff Arbogast die Fackel und hielt sie in den Holzstapel unter Isberts Leichnam. Sein Bruder trug seine beste Tunika, dunkelgrüner Stoff unter weißen Haaren. Arbogast sah Isbert ein letztes Mal an, während die ersten Flammen züngelten. Ohne den Blick von seinem toten Bruder zu nehmen, reichte er Aleke die Fackel. Sie senkte sie einmal in jede Himmelsrichtung, bevor sie sie in den Holzstoß unter ihrer toten Tochter warf.
»Wir schweben zwischen Heil und Unheil, bis die Tat gerächt wurde und der Töter von Sarhild und Isbert erschlagen ist«, sagte Eckart in den kalten Wind hinein.
Die Flammen fanden in dem Holz dankbare Nahrung und fraßen sich zügig in die Höhe. Bald erfüllte der Geruch von Qualm den Platz. Arbogast erinnerte sich an die Feuer der Sommersonnenwende, als sie noch alle beisammen gewesen waren. Hatte nicht Sarhild vor kurzem um die Feuer getanzt, die nun ihren Körper verzehrten? Seine Hand senkte sich auf das Hiebschwert an seiner Seite, das in einer Scheide aus gestärktem Leder steckte. Die Flammen fraßen sich immer höher und verbargen die beiden Toten vor den Blicken der Anwesenden. Arbogast fühlte die Hitze auf seinem Gesicht und blinzelte gegen den Qualm an, der in seinen Augen brannte. Als sie Theodard vor vielen Sommern hier beisetzten, war er noch ein Junge gewesen, der kaum ein Sax zu halten in der Lage war, Stolz und Bewunderung hatten seine Brust erfüllt. Es war ein Tod gewesen, wie ihn ein Mann sich nicht besser wünschen konnte, und der Name Theodard war über das Gau hinaus ein Begriff für den Widerstand gegen die Franken geworden. Doch hier, an diesem Tag, fühlte er nur Trauer und Scham, und er fragte sich, ob dieses Gefühl mit dem Tod Farolds nachlassen würde.
»So viele Worte ungesprochen,
so viele Taten ungetan,
so viele Geschichten unerzählt!«
Arbogasts Worte gingen im Knacken des Feuers beinahe unter. Fehild trat nach vorne und griff in einen Beutel, den sie an ihrem Gürtel an der Seite trug. Dann warf sie etwas in einem weiten Bogen in die Flammen und Wohlgeruch erfüllte die Luft.
»Grüß die Ahnen von uns, Sarhild!«, sagte die junge Frau. Sie blieb neben Aleke stehen und sah dem Rauch nach, der vom Wind über den Baumkronen getragen wurde.
Sie war in den letzten Jahren die engste Vertraute von Sarhild geworden und beide waren viel zusammen gewesen. Fehild hatte zwar nicht die Begabung Sarhilds oder Alekes, die Sprache des Waldes zu verstehen und die Macht der Runen zu nutzen, doch wuchs ihr Wissen über den Umgang mit Kräutern und Pilzen beständig. Auch Krankheiten konnte sie schon erfolgreich besprechen.
»Seht!«, rief Fehild und zeigte auf den Waldrand.
Vier Gestalten kamen aus dem Wald auf sie zu. Ein hünenhafter schwarzhaariger Krieger ging der Schar voran, der ein riesiges Pferd am Zügel führte. Hinter ihm ritten zwei bewaffnete und gerüstete Männer, deren Schilder aus glänzendem Metall waren. Neben dem Anführer ging ein schlanker Mann in dunkler Kutte, der ein Holzsymbol seines Gottes an einer einfachen Schnur um den Hals trug.
»Franken!«, sagte Rolant und trat an die Seite von Arbogast. Die anderen Männer legten ihre Hände auf die Waffen. Sassia flüsterte einige Worte, die im Unwetter untergingen.
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