Dankward war das Haupt einer alten Sippe eine Tagesreise östlich von hier. Seine Halle hatte Theodard häufig das Gastrecht gewährt und es herrschte seit vielen Jahren eine gute Beziehung zwischen ihren beiden Geschlechtern. Die vier jungen Männer in seinem Gefolge waren seine Söhne.
Dankward zügelte sein Pferd und sah zum Haupthaus hinüber, offenbar verwundert darüber, dass er von keinen Männern empfangen wurde. »Heil dir, Fredegard!«, sagte er und schwang sich aus dem Sattel.
Ein dichter grauer Bart bedeckte sein Gesicht, unter dem die Wulst einer Narbe zu erkennen war, wo eine fränkische Axt seine linke Gesichtshälfte aufgerissen hatte.
»Die Narbe ist nicht schöner geworden, was?«, sagte Dankward, der ihren Blick bemerkte. »Die Hand, die die Franziska führte, hängt immer noch in meiner Halle, direkt über meinem Hochstuhl. Und wenn mich die Narbe juckt, nehme ich sie von der Wand und kratze mich«. Sein dröhnendes Lachen schallte durch den Hof.
Seine Söhne stiegen ebenfalls von den Pferden, wie ihr Vater trugen sie buntbemalte Holzschilde auf dem Rücken und glänzende Hiebschwerter an ihrer Seite. Die langen Umhänge bauschten sich im Wind des frühen Morgens.
»Wohin seid ihr unterwegs?«, fragte Fredegard. Die Männer führten Proviant für mehrere Tage mit sich.
»Nach Marklohe«, antwortete Dankward. »Wir reiten zum Ding und brachen zeitig auf, um noch einigen Handel zu treiben.«
Die Stammesversammlung, dachte Fredegard, wir hatten sie beinahe vergessen. Vertreter aller Gaue ritten einmal im Jahr nach Marklohe an der Weser, um Rat abzuhalten und Recht zu sprechen.
Einige Gäste kamen aus der Halle und gingen gesenkten Blickes an ihnen vorbei. Die Augen Dankwards verengten sich, als er ihnen nachsah, wie sie eilig das Gehöft verließen.
»Ich erwartete, mehr Gäste anzutreffen«, sagte er.
Fredegard gebot ihnen mit einer Geste, ihr in die Halle zu folgen.
Arbogast erhob sich, als sie eintraten. Keine Freude erschien auf seinem Gesicht und er sah ihrer Ankunft nur gleichgültig entgegen. Rolant, der sich am Herdfeuer zu schaffen machte, blickte sich nicht einmal um.
Dankward runzelte die Stirn und wartete, bis Fredegard die Waffen der Männer entgegennahm und den Willkommenstrunk reichte.
»Trink wohl«, sagte Fredegard, aber sie spürte selbst, wie tot die Worte aus ihrem Mund kamen. Die Formen gaben den Lebenden halt, sie waren nichts für die bleichen Schatten von Menschen, die zwischen Ehre und Unehre schwebten.
Dankward führte den Becher an die Lippen und wartete, bis seine Söhne getrunken hatten. Er schnaufte, als würde er etwas wittern, dann trat er auf Arbogast zu, dessen Unhöflichkeit ignorierend.
»Groß bist du geworden!«, begrüßte Dankward ihn. »Und hässlich. Wie dein Vater.«
Erst jetzt bemerkte Dankward Isbert. Er trat an den Tisch und wurde ernst. Der Leichnam Isberts war im flackernden Licht des Feuers gespenstisch anzuschauen, er schien vor seiner Zeit verwesen zu wollen.
»Wer tat das, Arbogast?«, fragte Dankward.
Arbogast ließ sich auf die Bank sinken, als wäre alle Kraft aus ihn gewichen. »Es war Farold, so wird es gesagt. Er erschlug meinen Bruder.«
Fredegard konnte deutlich hören, wie die Söhne Dankwards die Luft einsogen.
»Farold!«, stieß Dankward hervor. »Das war doch der kleine schwarzhaarige Junge. Der Junge, den Theodard adoptierte.«
Arbogast nickte.
»Ein Gesippter hat euch das angetan!« Dankward fluchte und spuckte aus. »Warum sitzt du dann noch hier?«
Arbogast schüttelte den Kopf und sah seine Mutter an. Fredegard trat vor und sagte mit leiser Stimme: »Der Racheschwur ist noch nicht gesprochen worden.«
Fredegard sah deutlich, wie Dankward erbleichte und sich in der Halle umschaute. Die letzten Gäste waren gegangen und außer ihr, Arbogast, der alten Sassia und Rolant waren keine anderen Gesippten mehr anwesend. Sie saßen in ihren eigenen Häusern und starrten an die Wände, wie den ganzen vergangenen Tag über.
Dankward sah Arbogast lange an, der starr neben seinem toten Bruder saß. Dann wandte er sich an Rolant, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte.
»So gibt es einen Zeugen für die Tat!«, sagte Dankward.
»Ja«, bestätigte Fredegard. »Rolant und ich sahen mit eigenen Augen, wie Farold unserem Gesippten das Sax in den Körper stieß.«
»Was geschah dann?«
Rolant meldete sich zu Wort, er stand immer noch regungslos an der Wand. »Ich verfolgte Farold, aber er entkam mir im Wald.«
»Der Töter Isberts lebt noch«, rief Dankward und fuhr sich durch den Bart. »Und ihr steht hier und verkriecht euch hinter dem Herdfeuer?« Fassungslosigkeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, dann wurden seine Augen kalt. »Es scheint mir besser, kein Gast mehr dieses Hauses zu sein.«
Ohne ein weiteres Wort schritt er zum Ausgang und ergriff seine Waffen und den Speer. Seine Söhne taten es ihm nach und folgten ihm geschlossen.
So weit ist es also schon gekommen, dachte Fredegard, deren Gesicht brannte. Ehrenvolle Männer meiden unsere Halle.
Von draußen erklang Hufgetrappel, das sich schnell entfernte. Alle im Gehöft schienen darauf zu lauschen, doch keiner sagte ein Wort.
Der Überfall
Bei Tagesanbruch brachen sie in aller Frühe auf. Während sie durch den Wald marschierten, sah sich Farold die Männer genauer an. Es schien sich bei ihnen um Sachsen, Franken und Chatten zu handeln, eine zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, die sich nicht um die kriegerischen Auseinandersetzungen ihrer Völker kümmerten. Mit dem Heil hatten sie auch den Sinn für ihr Volk verloren. Sie existierten nur für sich, entwurzelt und fern aller Formen. Das Bier war nur noch Bier, der Nebenmann nur noch ein Fremder, keine Ahnen standen ihnen bei. Und wenn sie dereinst starben, würden sie mit leeren Händen in das Reich der Toten einkehren, kein Platz erwartete sie unter ihren Vorfahren. Niemand würde sich ihrer Taten erinnern, keiner würde sie besingen. Sie lebten, kämpften und starben nur für sich.
Farold stolperte über eine Baumwurzel und fing sich nach einigen Schritten wieder, den Blick jetzt zu Boden gerichtet. Die Männer waren früh am Morgen noch schweigsam, aber er bemerkte ihre Anspannung, die mit dem anstehenden Überfall zu tun hatte. Keiner sagte ihm, was sie zu tun beabsichtigten, aber aus einigen Wortfetzen am Lagerfeuer vergangene Nacht setzte sich ein ungefähres Bild zusammen. Ein einsamer Hof, nicht weit entfernt, von dem die meisten wehrhaften Männer im Krieg gegen die Franken waren, versprach eine leichte Beute zu werden. Alte, Frauen und noch nicht wehrfähige Jungen würden ihnen nicht viel entgegenzusetzen haben. Es war ein Kampf ohne Ruhm, den kein Mann, der über einen Funken von Ehre verfügte, auch nur in Betracht ziehen würde.
Als jemand neben ihn trat, wurde er aus seinen Gedanken gerissen.
Ein schwarzhaariger, bärtiger Mann, der ein Schwert und ein Schild trug, musterte ihn von der Seite. »Gleich werden wir sehen, ob du deinen Worten auch Taten folgen lassen kannst. Solltest du fliehen, freut sich mein Schwert auf eine Bekanntschaft mit deinem Rücken. Ich werde dich erschlagen wie einen tollen Hund.«
Farold sah den Mann nur ruhig an, dieser lachte bösartig und entfernte sich wieder.
Es ist gegen meinen Willen, gemeinsam mit diesen Übeltätern zu plündern und zu zerstören, dachte er, und doch bleibe ich bei ihnen. Ich habe keine Macht mehr über mich.
In der Nacht hatte er Sarhild gesehen und beim Aufwachen blieb nichts als Wut in ihm zurück. Sollte sich der schwarzbärtige Mann ihm in den Weg stellen, würde er ihn erschlagen, es würde der Flamme Nahrung geben, die in ihm brannte.
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