Der Tote im Luisenhain
Karl Sander ermittelt
Ein Köpenick – Krimi
Wer auf Rache sinnt, der reißt seine eigenen Wunden auf. Sie würden heilen, wenn er es nicht täte.
(Francis Bacon)
Inhaltsverzeichnis
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
Nachwort und Dankeschön
Karl Sander liebte seinen Balkon, egal zu welcher Jahreszeit. Seit 1983 lebte er hier im Allendeviertel am Müggelschlösschenweg, erst bei den Eltern und dann nach dem Studium in einer eigenen kleinen Zweizimmerwohnung im Hochhaus an der Kämmerheide mit Blick auf den Müggelsee. Anfangs fuhr er als Unterleutnant der Kriminalpolizei mit dem Fahrrad zum Dienst ins Revier in die Karlstraße. Aber das ist lange her.
Karl Sander leitet seit nun zehn Jahren als 1. Hauptkommissar eine Ermittlungsgruppe beim LKA 1 in der Keithstraße. Er ist also bei der Mordkommission, die seit geraumer Zeit „Delikte am Menschen“ – LKA 11 heißt. Jetzt ist der Arbeitsweg länger, vor allem wenn man bedenkt, dass Karl Sander kein Auto besitzt, also mit Bus und Bahn unterwegs ist. Immer wieder wurden ihm Wohnungen in Charlottenburg angeboten, aber Sander blieb stur. Er war alleine und es war völlig egal, wann und ob er überhaupt nach Hause kam. Außer seinem Balkon mit dem traumhaften Ausblick wartete niemand auf ihn. Da gab es immer wieder mal Mädchen und Frauen, mit denen er sich ein Leben hätte vorstellen können, aber es hat nicht sollen sein. Er war und blieb mit seinem Job verheiratet, die Kollegen waren die Familie.
Dieses Wochenende war völlig frei, keine Bereitschaft, nichts, Sander genoss diese Tage. Entweder auf seinem kleinen Balkon in der siebzehnten Etage oder bei einer ausgiebigen Radtour am See, auch mal bis nach Erkner. Da er gestern bei seinem Freund Peter im „Anker“, der urigen Seemannsbar in der Altstadt, vorbeigeschaut hatte und es doch nicht bei einem Glas Bier geblieben war, würde es heute nur der Balkon sein. Langsam begann alles zu grünen. Der Frühling legte sich richtig ins Zeug. Die Sonne schien direkt auf seinen Liegestuhl und so blieb er einfach hier. Genau in diesem Moment meldet sich sein Smartphone.
„Nein – da gehe ich jetzt nicht ran.“
Als er aber dann aufs Display schaute stutzte er, es war sein Chef Kriminalrat Winter persönlich, der ihn eigentlich nur zweimal im Jahr anrief, zum Geburtstag und an Weihnachten, wenn er Dienst hatte. Beide kannten sich schon lange, Winter hatte ihn damals 1992 zum LKA geholt als Ermittler. Seitdem gingen beide den gleichen Weg. Sander wurde 1. Hauptkommissar und Winter Kriminalrat und Leiter der Mordkommission.
„Frank, ich habe frei, das erste Mal seit Wochen. Was ist los?“ Sander war sauer.
„Karl, in zehn Minuten holt dich Tarek Nuri ab. Eine Leiche in Köpenick, warte mal, wo ist das – Luisenhain!“
Sander wurde noch ungehaltener: „Wenn nächstens in Friedrichshagen ein Hund wegläuft, holt Ihr mich dann auch? Wir haben hier in Köpenick eine Polizeiwache. Die 66 mit Abschnittskommissariat, wo sind die?“ Jetzt war Sanders Laune auf dem absoluten Tiefpunkt angekommen.
Kriminalrat Winter blieb ruhig: „Die sind schon vor Ort. Wenn ich dir jetzt den Namen des Toten nenne, klingelt da was bei dir? – Willi Kreibig oder auch Genosse Oberst Willi Kreibig?“
Karl Sander wurde heiß und kalt. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. In seinem Kopf liefen blitzartig viele Bilder ab, Ereignisse, schlimme, längst verdrängte, so glaubte er jedenfalls, bis ins Persönliche hinein.
„Karl, bist du noch da? Fahrt da jetzt hin. Wir werden alles andere morgen besprechen. Gerichtsmedizin ist vor Ort, Professor Weinert `wetzt` schon die Messer und wartet auf die Leiche in der Charité. Ach noch was Karl. Deine neue Kollegin Britta Fuchs, Hauptkommissarin aus Nürnberg ist da. Habe sie gleich vor Ort geschickt. Sei nett zu ihr.“
„Ja, du kennst mich doch!“ Sander schien wieder etwas ruhiger.
„Na, eben drum.“ Winter legte auf. Im selben Moment klingelte es. Tarek war vorgefahren.
… 12 Stunden zuvor:
Willi Kreibig war immer noch eine stattliche Erscheinung: ein fast zwei Meter Mann mit einem Stiernacken, der ihm etwas Brutales verlieh. Obwohl er mittlerweile fast fünfundsiebzig Jahre alt war, sah man ihm an, dass er es gewohnt war Befehle zu erteilen, keinen Widerspruch duldete und ganz sicher nie aufgab, wenn er ein Ziel verfolgte. Bis 1989 galt er als einer der gefürchtetsten Männer in Köpenick. Als Leiter der Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wirkte er im Verborgenen und jeder, der mal mit ihm zu tun hatte, vergaß es nie. Zerstörte Familien, Zwangsadoptionen, Erpressung, Manipulationen und selbst vor zielgerichteten Tötungen schreckten er und seine Genossen nicht zurück. Das Beste - man ging ihm aus dem Weg, bis heute. Keiner wusste, was er nach 1989 gemacht hatte. Nachdem sich seine Frau 1993 unter mysteriösen Umständen das Leben genommen hatte, gab es niemanden mehr in seiner Nähe. Seine kleine Wohnung im Katzengraben kann man eher als bescheiden bezeichnen und auch der Bungalow in Gosen „Am Zwiebusch“ war eher unscheinbar. Hier lebte er im Sommer, aber jetzt war Frühling und Kreibig noch in der Stadt. Eine seiner Gewohnheiten bestand darin, jeden Abend, fast zur gleichen Stunde bei jedem Wetter eine Runde durch die Altstadt zu laufen. Er nannte es seine Revierrunde, die ihn auch an der Promenade am Luisenhain entlangführte. Es erkannten ihn immer weniger Köpenicker, aber auch Fremde gingen eher zur Seite wenn er kam, da er jeden auffällig musterte und angrinste.
Er war heute den ganzen Tag draußen in seinem Bungalow gewesen, um alles für die Sommerzeit vorzubereiten und herzurichten. Es entging ihm natürlich nicht, dass der alte Bunker K 81 wieder in Stand gesetzt wurde und ab diesem Sommer für Führungen öffnen sollte. Aber Kreibig wäre ja nicht Oberst Kreibig, wenn er nicht für diesen Fall vorgesorgt hätte. Sein Mann beim Bunker war „Bunker Charly“, ein ehemaliger Wachsoldat, der im Sommer draußen im Wald hauste und im Winter Kreibigs Bunker bewachte und sich im Schuppen eingerichtet hatte. Lange unterhielten sich beide bei einer Flasche Wodka.
„Das muss bis zum Herbst reichen, Charly.“ Kreibig war zufrieden mit dem Gespräch und steckte Charly fünfhundert Euro und noch eine Flasche Wodka zu.
„Allet klar, Genosse Oberst, die haben keene Ahnung und Schacht zwee is wida totale dicht.“ Sprachs und mit einem Schluck war das letzte Glas Wodka geleert.
„Pass trotzdem weiter auf!“ Kreibig nahm die Schlüssel und verschwand wieder in Richtung Köpenick.
Darüber dachte jetzt Kreibig nach, als ihm auf der Höhe des griechischen Restaurants ein älterer Mann entgegen kam. Er ging direkt auf ihn zu: „Herr Kreibig, Genosse Oberst Kreibig?“
„Ja…?“ Kreibig erschrak. Er glaubte für einen kurzen Moment, den Mann zu erkennen oder zu erahnen wer ihn da ansprach. Er wollte noch etwas sagen, aber dann sah er es blitzen im Licht der Uferbeleuchtung. Es war das Letzte was er in seinem Leben zu sehen bekam. „Sie … Du…?“ Es wurde für immer dunkel um den ehemals mächtigen Oberst Kreibig.
Als Tarek und sein Chef Karl Sander am Tatort ankamen, waren bereits alle vor Ort. Der Tote war abgedeckt, die Uferpromenade gesperrt. Man hatte ihn noch nicht bewegt. Das Zelt der Spurensicherung stand auf der Wiese neben dem Toten. Er lag am Rand der Promenade, neben dem griechischen Restaurant unter einem Strauch.
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