Ich stieg die Pyramide hoch, ein Foto konnte die Schönheit der Landschaft nicht wiedergeben, die ich vor mir sah, als ich endlich oben ankam. Die Aussicht war wahnsinnig schön und man konnte die ganze Anlage sehen, aber aufgrund der Touristen war ich etwas genervt und es fiel mir schwer, die Magie zu fühlen. Vielleicht waren Pyramiden aber auch einfach nicht mein Ding, wenn ich mich an diese Glücksgefühle erinnerte, die ich in mir hatte, wenn ich nur in den Wäldern umherstreunte.
Wieder unten angekommen, schlenderte ich durch das Gelände und war schon gelangweilt von mir selbst, weil ich nur hierhergekommen war, um danach irgendwann einmal sagen zu können, dass ich hier war.
Ein dünner, dreckiger Hund folgte mir und bettelte um etwas Aufmerksamkeit, also setzte ich mich ein Weilchen zu ihm ins braune Gras. Ich war enttäuscht und wollte eigentlich nur wieder zurück. Es waren zu viele Menschen hier, es war so heiß und ich fühlte überhaupt nichts, außer Stress und die Sehnsucht nach meiner Einsamkeit, den Bergen in Chalma, das kühle, fast ausgetrocknete Flussbett hochzuklettern.
Doch dann hörte ich sie wieder. Ich hörte Trommelschläge. Mein Herz schlug sofort schneller, ich erhob mich, verabschiedete mich von dem knochigen Hund und folgte diesem unwiderstehlichen Geräusch. Erst am anderen Ende der Anlage erkannte ich fünf oder sechs aztekische Tänzer. Meine Füße konnten kaum noch stillhalten, aber ich kannte die Schrittfolge nicht und würde einfach wild mitspringen und mich austoben. Ich setzte mich also auf einen Stein und sah zu, aber es war auch schon ihr letzte Tanz und nach zehn Minuten packten sie ihre Sachen zusammen und gingen. Auch ich machte mich nun langsam auf den Weg Richtung Ausgang.
Beim Nachhause fahren wurde mir schlecht, obwohl ich doch extra meine Tabletten fürs Busfahren genommen hatte. Ich nahm noch eine, dann ging es. Zurück In Mexiko-Stadt, wusch ich mir schnell die Hände, bevor mich noch jemand so sah und Angst vor Bakterien bekam.
Ich wurde am Abend gebeten, den Bus nach Chalma zu nehmen, weil das Auto kaputt war und die Eltern mit den Kindern ein Taxi nehmen mussten, in dem aber nur Platz für fünf war. Sie waren ja schon fünf.
Ein Taxi für ganze zwei Stunden Fahrt? Ich fragte mich kurz, warum sie denn da an mir sparten, anstatt einfach ein größeres zu nehmen?
Aber eigentlich freute ich mich sogar darüber, etwas anderes kennenzulernen und noch ein bisschen alleine auf Erkundungstour zu gehen. Wieder bekam ich einen kleinen Zettel von Anna, wo draufstand, wohin ich gehen und was ich sagen musste, um ein Ticket zu bekommen.
Die Menschen hier fanden es immer sehr amüsant, wenn ich ihnen von einem Papier etwas vorlas, was ich selbst nicht verstand. Aber aufgrund ihrer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft musste ich überhaupt keine Angst davor haben, völlig Fremde um Hilfe zu bitten.
Draußen war es schon dunkel und außer mir saßen nur noch zwei weitere Personen im Bus. Ich hatte keine Ahnung, wo ich aussteigen musste, setzte mich nach vorne zum Fahrer und las ihm von meinem Zettel vor: »En la capillita de chalma por favor.«
Ich verstand selbst nicht, was ich da sagte und kam mir komisch dabei vor, weil meine Aussprache wahrscheinlich auch nicht richtig war, denn er verstand überhaupt nichts, bat mich zuerst lachend, es zu wiederholen und dann einfach, ihm den Zettel zu zeigen. »Si, Si, Yes!«
Er schien sich auszukennen...
Danach versuchten wir, in Englisch und mit den paar Wörtern Spanisch, die ich bereits kannte, zu kommunizieren und hatten sehr viel Spaß dabei.
Die Herzlichkeit und Offenheit der Menschen erfüllten mein Herz mit so viel Freude, dass ich am liebsten die ganze Zeit mit ihnen reden wollte, obwohl das normalerweise gar nicht meine Art war. Ich fühlte mich in meiner Zurückhaltung und Schüchternheit geheilt und erkannte mich mittlerweile selbst kaum wieder.
An der Capillita- oder kleinen Kapelle- von Chalma angekommen, musste ich noch durchs ganze, angrenzende, kleinere Dorf Chalmita gehen. Es gab keine Wegbeleuchtung auf den gepflasterten und erdigen Straßen, doch dieser besondere Spaziergang machte mich überglücklich, denn er war purer Luxus für mein abenteuerlustiges Wesen.
Links von mir befanden sich kleine Hütten und Häuser und rechts streckten sich gigantische Berge in die Höhe.
Obwohl ich sie in der Dunkelheit kaum erkennen konnte, wusste ich doch, dass sie da waren.
Ich konnte mich erinnern, dass auf der Spitze eines fast jeden Berges, diese festlich geschmückten Kreuze standen und fragte mich, wann dieses aztekische Tanzfest hier in Chalma endlich stattfand. Der Gedanken daran löste schon wieder ein wunderschönes Kribbeln in meinem Bauch aus.
Ich habe nach Freiheit gesucht ich habe solange gesucht
Es wird Morgen und wieder hörbar zwei Seelen in meinem Körper und am Tag kann ich nicht leugnen was mich in die Nächte treibt Es gibt keinen Weg zurück Ich stehe im Auge des Orkans Wenn die Stille dann bricht
Und dann höre ich wieder die Trommeln
Trommeln in meinem Herzen laut und unbändig
Wild und frei
Ich folge meinem Herzen
Mein Herz folgt der Trommel
Die Trommel schlägt in meinem Herzen sobald die Nacht anbricht Ich bleibe nicht stehen
Damit die Schatten mich nicht sehen
Sonst wird es wieder geschehen Deshalb muss weitergehen Und ich will rennen
Den Trommeln folgend
Und irgendwie die Nacht überstehen
Tonantzins Bewährungsprobe
An einem sonnigen Tag erkundete ich zusammen mit Alma weiter die Umgebung. Ich hatte sie mit einer Tragetasche auf den Rücken geschnallt, damit sie einschlief. Leider brachte ich sie sonst mittags nicht zum Einschlafen, was meine Freizeit verkürzte.
Schon allein das Gelände innerhalb der Ranch war so groß, dass man sich drin verirren konnte, da ich aber bereits alles hier ganz genau erkundet hatte, wollte ich einen anderen Weg ausprobieren. Einige Jungs vom Dorf spielten auf der großen Wiese Fußball. Ich ging mit Alma vorbei, wurde von allen angestarrt und der Ball flog dann auch noch zufällig in meine Richtung, während einige mir hinterherpfiffen und andere unter sich lachen und tuscheln.
Diese pubertierenden Jungs interessierten mich nicht, trotzdem konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Als ich mich von dem Feld entfernte und den erdigen Weg am Bach entlang ging, kam einer von ihnen mit einem weißen Pferd hinter mir her geritten und versuchte, mit mir zu sprechen, aber es war hoffnungslos. Ich freute mich natürlich über die Gesellschaft, doch versuchte ihm mit Händen und Füßen zu erklären, dass es sinnlos war, mit mir auf Spanisch zu reden.
Der Junge sah meine Freundlichkeit wohl als Anmache, denn er stieg plötzlich von seinem Pferd ab, stellte sich mir in den Weg und versuchte dann, mich zu begrapschen.
Das kam völlig unerwartet und ohne nachzudenken, trat ich mit einem Bein nach vorne und traf ihn unabsichtlich genau zwischen die Beine, worauf er schnell zurück auf sein Pferd stieg und weggaloppierte. Es tat mir fast leid, das musste ziemlich weh getan haben.
Sofort drehe ich um und ging zurück zur Ranch, bevor er noch auf die Idee kam, mit seinen Freunden zurückzukommen.
Ich fragte mich, ob ich es jemandem erzählen sollte, aber Anna bemerkte sofort mein ernstes Gesicht, als ich ihr die schlafende Alma übergab und sie fragte, was los war, also erzählte ich ihr von dem Vorfall. Anna war geschockt. Und das auch noch mit ihrem schlafenden Baby auf dem Rücken! Sie erzählte es sofort Fernando und der fuhr mit seinem Wagen runter ins Dorf. Durch meine Beschreibung wussten sie schon, wer es war.
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