Ich erkannte sofort jede Menge Leute mit Schildern, die auf jemanden warteten, den sie offensichtlich nicht kannten. Der Anblick amüsierte mich, denn ich dachte eigentlich, dass es sowas nur in den Filmen gab. Ich kannte die Welt ja bisher auch nur von Filmen.
Ob mein Name wohl auch auf einem dieser Schilder stand?
Ich fand ihn nicht, setzte ich mich auf eine Bank, wartete und beobachtete die Menschen. Ich erinnerte mich bei Gott nicht an die Gesichter der Familie und hatte keinen Schimmer mehr, wie diese Leute überhaupt aussahen.
Ich konnte nur hoffen, dass sie mich erkannten, sobald sie mich sahen.
Was aber, wenn es sie gar nicht gab und es nur ein Scherz war, wenn es Entführer waren?
Ich vertraute so sehr auf meinen Schutzengel und mein Herz, die mich dorthin führten, wohin ich ankommen sollte, dass kein einziger negativer Gedanke es bisher geschafft hatte, zu mir durchzudringen. Ich musste weiterhin vertrauen, also tat ich das auch.
Ich weiß nicht, warum Hoffe nur auf ein Zeichen in deinen Augen Das mir sagt, Bleib
Und doch weiß ich, ich würde nicht bleiben
Sondern mich auf die Suche begeben
Immer suchend
aber zu blind um es zu sehen Du warst immer da, genau neben mir Ich gehe und sage auf Wiedersehen
ich werde es niemals vergessen ich glaube noch immer daran
dass eines Tages dieses Wunder geschieht
Wo kann ich hingehen, damit du mich findest Was muss ich tun, damit du mich fühlst
Was kann ich tun, um dich zu halten
So weit weg und doch so nah Und ich weiß, du bist bei mir
Du warst schon immer da Finde zu mir eines Tages
Wenn du bereit für ein Wunder bist
Warte ich auf dich Und wir
wir werden einen Weg finden
wenn unsere Zeit kommt
Eine halbe Stunde war bereits vergangen, noch immer beobachtete ich die Leute in der Hoffnung, ein bekanntes Gesicht zu erkennen, da sprach mich plötzlich ein Mann von der Seite an. Ja, das war der von dem Video!
Als ich ihn sah, fragte ich mich, wie ich diese Erscheinung vergessen konnte. Fernando, der Familienvater hatte graue lange Haare zu einem Zopf geflochten. Sein Aussehen erinnerte mich an einen alten Indianer, obwohl seine Hautfarbe eigentlich viel zu hell dafür war.
»Wie geht es dir? Wie war der Flug? Alles O.k.?«, fragte er, auf Englisch, da er als Mexikaner kein Deutsch und ich kein Spanisch verstand. Der sympathische Mann nahm mir meinen Rucksack ab und ich watschelte wie ein verlorenes Küken hinterher.
Als wir das Flughafengebäude verließen, kam eine Hitzewelle auf mich zu, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. Es war bereits 18:30 Uhr. Wie konnte es um diese Zeit noch so heiß sein? Diese Hitze empfand ich aber als so angenehm, dass ich schon wieder ein Lächeln im Gesicht hatte. Ja, hier könnte ich mich wohl fühlen.
Wir stiegen in sein Auto und fuhren los. Erst als ein kurzes Schweigen entstand, dachte ich wieder darüber nach, dass er auch ein Entführer sein konnte und alles nur gespielt war. Auch die deutsche Frau hätte eine von ihnen sein können, um europäische, hübsche und leichtgläubige Mädchen anzulocken. Sogar die Kinder, die im Video mit dabei waren, hätten sie nur als Tarnung dazu holen können. Verrückterweise dachte ich jetzt sogar, dass auch, wenn es so war, es ebenso sein sollte. Es machte mich nicht nervös, diese Gedanken zu denken, im Gegenteil, ich vertraute so sehr darauf, dass ich geführt wurde, und alles was geschah nur dazu diente, um endlich anzukommen.
Wir parkten vor einem Restaurant, in dem ich nun die ganze Familie kennenlernte. Natalie, seine achtjährige Tochter, Tobias, ein sechs jähriger Junge, Alma, das Baby, auf das ich hauptsächlich aufpassen würde und Anna, die Mutter, die ursprünglich aus Deutschland kam. Natalie sprach relativ gut Deutsch, jedoch mit Akzent, ihr kleiner Bruder beherrschte die Sprache, wie der Vater, gar nicht oder kaum.
Alles schien eigentlich ziemlich normal. Die Familie war freundlich und echt, das erkannte ich sofort. Obwohl sie auch eine echte Familie sein konnten, die ein Spiel spielten. Ich versuchte, diese dummen Gedanken innerlich, darüber lächelnd, wegzudrängen und das Abendessen zu genießen, obwohl ich überhaupt keinen Hunger hatte und nur noch ins Bett wollte.
Wir übernachteten in der Wohnung von Fernandos Eltern in Mexiko City, da wir morgen früh für ein paar Tage nach Acapulco an den Strand fahren würden und es von hier aus näher war. Man hörte noch immer die Polizeisirenen. Außerdem war die restliche Lautstärke auf der Straße keinesfalls mit der Stille in meinem Dorf zu vergleichen.
Auf dem Weg in die Wohnung erfuhr ich, dass die Polizei die Lichter und Sirenen die ganze Zeit über eingeschaltet lassen durfte, nur um auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Ich dachte schon, es gäbe die ganze Zeit Einsätze, und schon erinnere ich mich auch an einige naive Aussagen von Bekannten, dass Mexiko gefährlich war. Das einzige, was ich als gefährlich betrachtete, war in der Routine des langweiligen Lebens, das sie alle lebten, überleben zu müssen.
Noch immer zweifelte ich nicht daran, dass die Entscheidung, hierherzukommen, die richtige war und langsam schlief ich ruhig und zufrieden im leisen Wiegenlied der Polizeisirenen ein.
Zum Frühstück fand ich die Familie und einen vollgedeckten Tisch, mit allen möglichen Köstlichkeiten vor. Es gab sogar einen Angestellten, der uns alles brachte, sich um alle Arbeiten und den Haushalt kümmerte. Ein echter Diener, ich dachte, sowas gabs auch nur in den Filmen.
Die lange Fahrt zum Strand war wie ein interessanter Kinofilm für mich. Ich betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Mal durchquerten wir Wüstengebiete, dann wurde es wieder tropischer. Auf den Straßen standen Leute, die etwas verkauften, neben einigen knochigen Straßenhunden, gab es sogar Esel, Pferde und Kühe, die einfach so über die Straßen spazierten, als würden sie niemandem gehören.
Jedes Mal, wenn ich das Fenster runterließ, strömte diese angenehme Hitze wieder auf meinen Körper. Ich liebte diese Wärme. Schade nur, dass die anderen die Kälte im Auto bevorzugten und mir aufgrund der übertrieben kalten Klimaanlage schon wieder die Nase lief.
Wir blieben nach ca. einer Stunde Fahrt vor einer großen Halle stehen. Ich wusste nicht, was wir dort machten, aber folgte den anderen einfach. In der Halle gab es viele Heurigen- Tische und Bänke. Es roch nach Essen. Es war wohl eine Art Gasthaus.
Wir wurden von den Leuten angestarrt, als wir einen leeren Tisch suchten und uns dann setzten. Ich wusste nicht, was ich bestellen sollte, weil ich nichts, was auf der Speisekarte stand, kannte oder verstand.
Ich überließ Anna die Entscheidung. Sie bestellte mehrere verschiedene Speisen für alle zusammen. Wir mussten uns aber, bevor wir aßen, die Hände desinfizieren. Obwohl ich kein Sauberkeitsfanatiker war, ließ ich mich von den Kindern zum Waschbecken führen. Ich wollte nicht die Schuld einer Diskussion sein, in welcher die Kinder ihren Eltern mitteilten, dass es mir nicht wichtig war, und ihnen deshalb auch nicht mehr.
Ich freute mich darauf, neue Geschmäcker auszuprobieren, aber von dem, was auf dem Tisch landete, schmeckte mir nichts, weil es irgendwie alles nach Nichts schmeckte und ich aß nur widerwillig, weil ich irgendetwas essen musste.
Die Leute glotzten schon seit wir die Halle betreten hatten, ohne Scham die ganze Zeit zu uns rüber. Musste wohl an den langen hellbraunen Haaren von Anna und Natalie, an dem blonden Baby und uns allen liegen, die wir sehr hellhäutig im Vergleich zu den ganzen dunkelhäutigen Mexikanern waren. Irgendwie wirkten wir sogar schick angezogen, wenn ich die Menschen um mich herum betrachtete. Einige hatten Löcher in ihrer Kleidung, andere sahen so aus, als hätten sie sich schon ewig nicht mehr gewaschen. Ich fühlte mich etwas unwohl, wenn ich daran dachte, dass sie dachten, wir würden denken, dass wir etwas Besseres waren, als sie. Immerhin hatten wir uns auch als einzige unsere Hände desinfiziert.
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