Das Fenster hinter dem Bischof schloss leise. Das Blatt in der Mitte des Tisches rührte sich nicht mehr.
„Amen!“ „Amen!“, „Amen!“ Rufe hörte der Mönch.
Der Mönch schloss seine Augen und horchte dem kratzenden Geräusch der Schreibfeder auf dem Papier. Es war alles gesagt dachte er. Ohne ein weiteres Wort unterschrieben Pfarrer Mensur, Griechisch-Katholischer Pfarrer Ilyas, Armenisch-Orthodoxer Pfarrer Aras und zum Schluss Vertreter der Lateinisch Katholischen Kirche, Pfarrer Stephan, das Papier.
Zwei Monate später, bei der Beerdigung des Lateinisch Katholischen Pfarrers, erinnerte er sich an diesen Tag. Er fragte sich, ob sein Tod mit seiner Unterschrift von heute, am 17. Juni zusammenhing.
Auf dem Weg zu der Filiale der „Post und Telegraf“ war es schwül-warm wie an jedem Sommertag in Adana. Der blaue Himmel war wolkenlos. Die schwarze Kutte des Mönches streifte den Staub auf der trockenen Erde.
Vor der Filiale angekommen, zogen einige Wolken vorbei.
Als er das Schreiben an dem Beamten gab, sah der Mönch durch die offene Tür Tropfen eines Sommergewitters auf die trocken heiße Erde fallen. Gleichgültig liefen die Menschen weiter.
Rechts von ihm unterhielten sich zwei Menschen leise. Der erste, ein Europäer, dessen Gesicht er sehen konnte, erkannte er. Der Konsul des Deutschen Reiches in Mersina, Christmann, stand vor ihm. Ihn hatte er schon mal beim Bischof der Armenisch-Katholischen Kirche gesehen.
„Ja! Das Schreiben ist schon in Topkapi-Palast! Nein! er wisse aber nicht, wann es die zuständigen erreicht“, sagte der Beamte.
Als der Mann neben dem Konsul den Namen „Topkapi-Palast“ hörte, hob er seinen Kopf und schaute zu dem Mönch.
„Schwarze Kapuze mit zwölf weiß gestrickten Kreuzen, getrennt durch den geraden Weg, der zu dem Herren, führt! Süryani-Kadim – Alt Syrer-?“ sagte der Mann und streckte seine Hand. „Abgeordneter Babikyan!“
Als der Mönch die Hand des Abgeordneten in der Hand hielt, umhüllte ihn eine Freude, die er an dem Tag nicht erklären konnte. Umso trauriger war er, als er 3 Monate später die Nachricht vom Ableben des Abgeordneten bekam. Dass der Abgeordnete kurz vor der Veröffentlichung seines eigenen Untersuchungsberichtes zu den Vorgängen in Adana starb, hatte den Bischof Bagos fassungslos gemacht. Unter „Verschwörung!“ Schreie des Bischofs versuchte sich der Mönch an diesem Tag und an diesen kleinen Mann zu erinnern. Der Bischof hatte gehofft, dass der Untersuchungsbericht in Istanbul veröffentlicht würde.
Diese Hoffnung erlosch so, wie auch der Tropfen auf dem heißen Boden keine Chance hatte zu existieren. Der Untersuchungsbericht wurde nie veröffentlicht.
An der Tür angekommen „Man darf es nicht unversucht lassen!“ sagte der Abgeordnete laut.
„Wir müssen es versuchen“ flüsterte er leise, als er auch zur Tür ging. Der Mönch schaute hinter dem Abgeordneten her, der die Vorfälle in Adana des Jahres 1909 untersuchte. Er behielt sie im Auge, bis sie hinter dem Gebäude verschwanden.
Draußen gab es keine Spur mehr von dem Regen. Es wurde von der staubig trockenen Erde sanft verschluckt.
Er nahm Erde in seine große Hand. Mit seinem Daumen durchwühlte er die gelbliche Erde. „Kein Leben“ dachte er und streute sie in die Luft.
Der Gedanke „Unser Telegraf ist auch ein Tropfen auf einem heißen Stein. Ein Stiller Schrei, der unerhört bleiben wird“ ging die ganze Zeit durch seinen Kopf, als er auf dem Rückweg durch die kleinen, wirren Gassen war.
Das rote Licht der Abenddämmerung strömte in die dunkle Kirche, als der Pfarrer Stephan die Tür der katholischen Kirche aufmachte. Er blickte nach hinten. Das Licht wurde immer schwächer. Der Dämmerungsschein sank immer tiefer. Die Linie des Horizonts vermischte sich langsam mit der Dunkelheit, die auch die Stadt umhüllte. Die ersten Sterne wurden sichtbar. Er trat in die Kirche ein. Die Tür ließ er offen und ging zum Altar, vor dem er langsam zu Knie ging. Er schloss seine Augen. Seine Hände schloss er zusammen. Seine Gedanken wanderten von den Toten im April zu dem Brief vom 17. Juni, der unbeantwortet blieb und Gelehrten Alkuin, als er mit dem Gebet anfing.
„Deinen Frieden, Herr, gib uns vom Himmel, und dein Friede bleibe in unsern Herzen. Lass uns schlafen in Frieden und wachen in dir, auf dass wir vor keinem Grauen der Nacht uns fürchten.“
Der Pfarrer ließ seine Augen geschlossen! Er fühlte eine Kälte um ihn. Schatten bewegten sich in der Dunkelheit. Mit dem Schmerz an seinem Hinterkopf öffnete er seine Augen und sah, wie das Licht von zwei auf ihn gerichteten Augen verschlungen wurde. „ Finster! “ ging durch seinen Kopf.
Es wurde kalt und dunkel.
„Die Finsternis darf nicht meine Seele ergreifen“ dachte der Pfarrer, als er zu sich kam und die Kälte langsam anfing von ihm besitz zu ergreifen. Er war nicht mehr in der Kirche.
„Vater unser, der Du bist im Himmel,…“
„ Ein Licht vom Weiten, ganz nah
es ist kalt
ein Donner im klaren Himmel
ich bin regungslos
ein Mensch vor mir, verschwitzt
kalter Atem
ich fühle seine Knie, Fäuste
hinterlassene Spuren, überall auf meinem Körper
lande atemlos auf dem kalten Boden.“
„…geheiligt werde Dein Name;“
„ Kalt und finster
Eine weiße Rose verworfen auf dem alten Holztisch
keine Vase, halb vertrocknet
Wer brachte die Rose hierhin?
Wer tauschte sein warmes Zimmer mit diesem kalten Ort?
Wer tauschte das Licht mit der Dunkelheit?
Das Gitter vor dem kleinen Fenster verrostet
so nah an meinem Gesicht
ein Baumtrieb, draußen, an der Wand
10 cm hoch
widersteht der Unmenschlichkeit im Trockenen
„… zu uns komme Dein Reich;“
verschleppt durch die Tür
dicke, kahle Wände um mich“
„… Dein Wille geschehe,“
„ Geschrei füllt den langen, dunklen Flur.
Ein Kopf schlägt gegen eine Metall-Tür
Zwei zarte, blutige Finger
im Licht eines verblassten Sterns
schauen durch die verrostete Öffnung am Boden
Verbranntes Haar, verbrannte Haut in der Luft“
„… wie im Himmel, also auch auf Erden!“
„ Halb Tod auf einem Feld
Ein paar Tropfen Blut stillen die Erde
ein Löwenzahn ganz weit, einsam
ein Löwenzahn vor dem Vollmond, neben mir
Ein Schrei im Dunkeln.
Barfuß, Mondlicht in Tränen.
Wärme im Atem über mich
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?“
„… Unser tägliches Brot gib uns heute;“
„ Es ist die Mutter?
Fürchte mich nicht,
Du bist mit mir;
Stärke mich
Halte mich durch die rechte Hand deiner Gerechtigkeit
Halte mich fest mit den Händen deiner Liebe
Greif unter meine Arme
hebe mich hoch
gib mir Kraft
lass mich nicht allein
lass mich nicht zurück
werde Leben im Dunkeln
werde meine Faust, nein! meine Hand, zum Streicheln des Kindes
das weint unter dem Baum,
da, da drüben.
Werde meine Faust
Nein! meine Hand, zum festhalten meiner Kinder
werde meine Stimme in den kalten Wintermonaten, wenn es draußen verschneit ist
um ihnen ein Märchen -die Geschichte des Löwenzahns aus der Ferne- zu erzählen,
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