„Spielst du oft mit diesen Kindern?“
„Nein, nur heute.“
„Hast du Eltern?“
„Nein“ sagte Kapago mit traurigen Augen.
„So wie du dreckig bist, sagst du die Wahrheit. Komm mit! Werde mein Schüler! Ich bringe dir bei, Köpfe zu rollen anstelle Murmeln! Vor allem armenische Köpfe.“
„Warum köpfen wir sie ab? Sind die Armenier schlecht?“ fragte Kapago, während er kniete und eine Murmel mit blau roten Adern hoch hob.
„Ein Bauer tötet doch seine Hühner auch! Oder? Wenn ein Bauer Fleisch braucht, geht er zu seinen Hühnern, sucht sich ein zwei oder drei Hühner und schlachtet sie ab. Wenn er mehr braucht auch mehr.
Wenn einige laut sind und abends seine Schlaf stören, dann tötet er diese zuerst. Wie ein Herr in diesem Haus, der zu viele Gedanken über die Zusammenarbeit der Gavurs hat und sie laut ausspricht. Das können unsere Herren nicht dulden! Er muss eine Lektion bekommen, damit die anderen wissen, was passiert, wenn sie seine Ideen aufgreifen. Er muss einfach schweigen.
Oft hat der Bauer keine Zeit, um selbst seine Hühner zu schlachten. Er schickt mal seine Kinder mal seine anderen Verwandten zu den Hühnern, damit sie sie töten und sich satt essen. So werden seine Kinder und seine Verwandten dem Bauer dankbar sein und ihm Gefallen schulden.
Wir sind wie die Verwandten der Bauer, der unsere Walis, Beys und Aghas sind.“
„Was sagt der Sultan dazu?“
„Der Sultan!? Er macht nichts anderes als wir.
Wenn wir Hühner jagen, dann liegt oft ein Befehl von oben vor. Wenn kein Befehl vorliegt, dann halte dich von den fettesten Hühnern fern. Begnüge dich mit den schwachen, armen Armeniern. Die reichen können zurückbeißen. Sie haben auch Beys und Aghas, die sie beschützen.
Der Sultan braucht keinen Befehl von oben. Über ihn steht niemand. Er braucht auch nicht zu jagen. Unter ihm sind die fettesten Hühner, die ihn freiwillig und immer ernähren.“
„Können wir auch Moslems wie die Armenier jagen?“
„Wozu die Mühe? Die Armenier sind doch viel reicher als die Moslems. Sie haben viel mehr Hab und Gut! Wozu die armen Schweine angreifen, wenn es reichere und gleichzeitig schutzlosere gibt?“
„Warum sind sie schutzlos?“
„Warum? Weil sie nicht Moslems sind. Wir, die Moslems sind eben immer die Bauer und die Gavurs unsere Hühner.“
„Warum töten wir sie nicht alle? Auf einmal!“
„Auch wenn sie schutzlos sind, sind sie doch nicht nutzlos! Ein Bauer tötet doch auch nicht all seine Hühner! Er muss ernährt werden. Wer soll ihn ernähren, wenn alle tot sind? Sie sollen arbeiten, wie die Sklaven. Immer, wenn wir wollen, schlachten wir, nach Bedarf, einige ab. Das ist auch gut für uns. Und die Hühner haben die Hoffnung, unter uns überleben zu können. So werden sie immer für uns arbeiten.
Wenn du Hab und Gut brauchst, finde einen Grund und nimm es von den Gavurs, das ist besser als von den Moslems.
Wenn du eine Frau brauchst, nimm es die schönsten Frauen der Gavurs. Wenn du sie entführst, gehören sie schon dir. Du brauchst nicht mal Brautpreis zu zahlen. Die schönsten und ohne Brautpreis! Was will man mehr?
Aber wer weiß. Vielleicht irgendwann mal werden wir alle abschlachten. Jaaaa! Wer weiß…“
„Seit wann ist das so?“
„Das war schon immer so. Schon unsere Väter, Urväter nahmen das, wann und was sie wollten.“
„Haben sie denn nie NEIN gesagt? Die Hühner, die Armenier, die Gavurs, meine ich.“
„Mein Vater erzählte, dass zu den Zeiten von Bedirkhan Bey viele Syrer sich erhoben, weil sie ihre Kopfsteuer zu hoch fanden. Es hat trotzdem nicht geholfen. Bedirkhan Bey war erbarmungslos. Viele Tausend ließ er töten.
Letztes Jahr in Diyarbekir beschwerten sich die Armenier, dass ihre Winterweiden von moslemischen Hirten benutzt wurden. Wir waren in Diyarbekir auch gnadenlos.
Nein! Das hat nicht geholfen. Gar nicht. Sie wurden dafür bestraft. Es ist auch gut so! Die Hühner dürfen nicht nein sagen. Sie müssen immer alles über sich ergehen lassen…“
„Aber es waren doch ihre Winterweiden! Warum sollen sie ihr eigenes Gut nicht verteidigen?“
„Nichts gehört den Ungläubigen! Gar nichts! …Du stellst Fragen, Junge! Das ist nicht gut! Zu viele Fragen können gefährlich werden.
Ja! Die Armenier, die Gavurs sind sehr schlechte Menschen! Sie sind keine Moslems.“
Kapago verließ an der Seite von Abdülbaro den Hof, als er ihn „…aber vor allem sind sie Reich. Und sie werden uns Reich machen“ sagen hörte.
Auf der Straße drehte sich Abdülbaro zu den drei Männern hinter ihm.
„Verbreitet in der Gegend, dass diese Gavurs einen gläubigen Moslem umgebracht haben! Der laute Herr in diesem Haus soll so seine Lektion bekommen.“
Fünf Straßen weiter durchdrangen „Allah u Akbar“ Schreie die Stille der Mittagshitze.
Die Mittagssonne folgte still den Schreien von Mardin.
An diesem Tag, beim Sonnenuntergang, schwiegen die Glocken wie auch die Minaretten.
Über die Nacht leckten die Armenier ihre Wunden. Die Toten gehörten der Vergangenheit an. Mit dem neuen Tag ging das Leben für die lebenden weiter. Viele blickten ängstlich zurück und sahen die dicken Narben. Viele Nachbarn streckten still ihre Hand und halfen den Verbliebenen. Wenige erhoben ihre ängstlich stille Stimme. Viele tadelten laut die Menschen, um weitere Narben zu verhindern.
Erst mit dem neuen Tag hörte Kapago die Gebetsrufe der Moslems und der Christen.
An diesem Tag spielte er alleine in dem kleinen Zimmer von Abdülbaro, der sein Lehrer wurde. Er ließ sich von den blau-roten Adern des runden Steins verzaubern.
Meryem verteilte den Kaffee erst an die Gäste dann an ihren alten Vater und ihren Onkel, den Vater von Yawsef.
Der wohlhabende Gast, ein Onkel aus Hisni Kifo lud auf einem weiß-grauen Maulesel mehrere große Melonen aus Diyarbekir, mehrere volle Walnuss-, Mandeln- und Pistaziensäcke auf und kam mit seinen Freunden und Bekannte von seinen Bekannten, nach Enhil. Er schlürfte an seinem warmen Kaffee und erläuterte sein Anliegen.
Ziyane aus der Familie Antar erzählte an ihre Schwester, die in Midyat verheiratet war, wie fleißig Meryem sei. Die Schwester empfahl Meryem an Bekannte aus Hisni Kifo, die auf der Suche nach einer Braut für ihren Sohn, Habib, waren. Weswegen er und seine Freunde und deren Bekannte, die die Eltern von Meryem kannten, sich hier zusammenfanden.
Er saß mit einem sehr ernsten Gesicht und bat für seinen Sohn, Habib, um die Hand von Meryem.
Der Vater von Meryem schaute erst zu seinem Bruder dann zu den Bekannten von Anwerbern, die aus Enhil stammten, rüber.
„Was sagen die jungen, ledigen Leute? Sind sie einverstanden, wenn unsere Tochter das Dorf verlässt, um einen Jungen, aus einem anderen Dorf, zu heiraten?“
Als der Vater sah, dass die beiden Männer nickten, drehte er sich zu den Gästen.
„Bringt eine Diyarbekir-Melone. Wir wollen es zusammen essen und unsere Verwandtschaft besiegeln!“ sagte der alte Vater von Meryem laut, so dass auch alle, die außerhalb des Zimmers waren, es auch hören konnten.
Unter dem „lilililili“-Freudenschrei der Frauen, die sich außerhalb des Zimmers aufhielten, aßen alle Gäste die große Melone, die der Onkel aus Hisni Kifo, als Zeichen der Wertschätzung der Gast-Familie, mitbrachte.
Am Nachmittag verließen die Männer das Dorf, um in einer Woche zurückzukehren, um Meryem als Braut für Habib abzuholen.
Vor Sonnenuntergang träumte Meryem von ihrem schönsten Tag, der auf sie wartete, und ihrem zukünftigen Mann, den sie noch nicht sah, als die Stimmen auf der Straße immer lauter wurden.
Am Dorfplatz standen viele aufgebrachte Männer, um einen mit blutender Nase auf dem Boden liegenden Mann, der ängstlich um sich schaute und nach einer Fluchtmöglichkeit suchte.
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