Allerdings ist das Erreichen von Hellsicht und Wunderkräften oder eine Wiedergeburt als Gott in den oberen Bereichen nicht von vorrangiger Bedeutung. Das Hauptziel der Meditation über ruhiges Verweilen ist, dauerhafte Befreiung von den Leiden Samsaras und die Glückseligkeit der Buddhaschaft für uns selbst und andere zu erlangen.
Es ist besonders wichtig zu wissen, dass wir in der Mahamudra Praxis das ruhige Verweilen vollenden, indem wir unseren eigenen sehr subtilen Geist beobachten. Der Grund dafür ist der: Wenn wir die Konzentration des vierten geistigen Verweilens erlangen, die unseren eigenen sehr subtilen Geist beobachtet, können wir abhängig von der Praxis des Yoga des Schlafens unser klares Licht des Schlafes erkennen und in das endgültige beispielklare Licht umwandeln, und dann allmählich in das sinnklare Licht. Dann ist es sicher, dass wir die Vereinigung der erleuchteten Buddhaschaft sehr schnell erlangen. Daraus können wir ersehen, dass die Art und Weise, ruhiges Verweilen entsprechend der Mahamudra Praxis zu vollenden, eine sehr tiefgründige und geschickte Methode ist.
Die Zweige des ruhigen Verweilens (oder äußeren und inneren Bedingungen, um ruhiges Verweilen zu erlangen) werden ausführlich in den Büchern Freudvoller Weg und Leitfaden für die Lebensweise eines Bodhisattva erklärt. Wenn wir diese Erklärungen genau verstanden haben, ist es sehr wichtig, die äußeren und inneren Bedingungen für die Erlangung des ruhigen Verweilens aufrechtzuerhalten. Dann wird es nicht schwierig sein, ruhiges Verweilen zu erlangen, auch wenn die Menschen heutzutage sehr abgelenkt sind.
Sind wir in der Meditation über das ruhige Verweilen gemäß den Mahamudra Lehren qualifiziert und erlangen dann die Konzentration des vierten geistigen Verweilens, die unseren sehr subtilen Geist beobachtet, hat diese Konzentration die gleiche Funktion wie das eigentliche ruhige Verweilen, das in den Sutra Lehren erklärt wird. Das liegt daran, dass sowohl die Kraft der Segnungen der Anleitungen über ruhiges Verweilen, wie sie in den Mahamudra Lehren erklärt werden, als auch die Art zu meditieren, anderen Methoden überlegen ist. Deshalb müssen wir uns sehr bemühen, bis wir die Konzentration des vierten geistigen Verweilens, die den sehr subtilen Geist beobachtet, erlangt haben.
WIE WIR UNS IN DER MEDITATION DES RUHIGEN VERWEILENS SCHULEN, DAS DEN SEHR SUBTILEN GEIST BEOBACHTET
Wir erinnern uns an unsere frühere Erfahrung, als sich unser Geist mit Guru Herukas Geist der großen Glückseligkeit mischte, und entwickeln ein Gefühl großer Freude. Dann denken wir:
Wie ist mein sehr subtiler Geist?
Wir erinnern uns an die Anleitungen, wie wir unseren Geist identifizieren und wie wir Klarheit verstehen. Dann wenden wir diese Anleitungen an, um unseren eigenen sehr subtilen Geist zu identifizieren. Wir überlegen:
Mein sehr subtiler Geist ist Klarheit, weil er Geist ist. Er ist also etwas, das leer wie Raum ist, das nie Form haben kann und das die Grundlage ist, um Objekte wahrzunehmen.
Darüber denken wir immer wieder nach, ohne uns ablenken zu lassen. Wenn wir dadurch unseren sehr subtilen Geist deutlich als etwas wahrnehmen, das leer wie Raum ist, das nie Form haben kann und das die Grundlage ist, um Objekte wahrzunehmen, dann haben wir unseren eigenen sehr subtilen Geist identifiziert, das Objekt des ruhigen Verweilens, das unseren eigenen sehr subtilen Geist beobachtet. Wir halten diesen sehr subtilen Geist, ohne ihn zu vergessen, und meditieren für kurze Zeit einsgerichtet darüber. Vergessen wir das Objekt der Meditation, dann sollten wir es uns erneut vergegenwärtigen und darüber meditieren.
Durch die Kraft, jeden Tag immer wieder so zu üben, werden wir eine stabile Vertrautheit damit erlangen, unseren eigenen sehr subtilen Geist wahrzunehmen. Mit dieser Vertrautheit konzentrieren wir unseren Geist einsgerichtet auf unseren sehr subtilen Geist und meditieren darüber. Diese Meditation ist das erste geistige Verweilen und wird «Verweilen des Geistes» genannt.
Wir meditieren dann kontinuierlich mit der Konzentration des ersten geistigen Verweilens. Wann immer wir das Objekt der Meditation vergessen, erinnern wir uns daran und meditieren darüber. Indem wir jeden Tag wiederholt in dieser Weise üben, werden wir, wann immer wir diese Meditation üben, unsere Meditation über unseren eigenen sehr subtilen Geist mindestens fünf Minuten halten können, ohne ihn zu vergessen. Diese Meditation ist das zweite geistige Verweilen und wird «kontinuierliches Verweilen» genannt.
Dann meditieren wir kontinuierlich mit der Konzentration des zweiten geistigen Verweilens. Jedes Mal, wenn der Geist wandert und wir das Objekt der Meditation, unseren sehr subtilen Geist, vergessen, erinnern wir uns erneut daran und meditieren darüber. Indem wir jeden Tag wiederholt in dieser Weise üben, werden wir allmählich kraft unserer Vertrautheit eine Konzentration erlangen, die das Objekt der Meditation sogleich wieder ins Gedächtnis rufen kann, wann immer wir es vergessen. Diese Konzentration ist das dritte geistige Verweilen und wird «Wiederverweilen» genannt.
Dann meditieren wir kontinuierlich mit der Konzentration des dritten geistigen Verweilens. Da diese Konzentration das Objekt der Meditation sogleich wieder ins Gedächtnis rufen kann, wann immer wir es vergessen, werden wir, indem wir jeden Tag immer wieder mit dieser Konzentration meditieren, allmählich durch die Kraft der Vertrautheit eine Konzentration erlangen, die während der ganzen Sitzung das Objekt der Meditation nie vergisst. Diese Konzentration ist das vierte geistige Verweilen und wird «nahes Verweilen» genannt.
Sobald wir die Konzentration des vierten geistigen Verweilens, das den sehr subtilen Geist beobachtet, erreicht haben, gibt es hinsichtlich des Ziels, die höheren Pfade zu erreichen, nahezu keinen Unterschied mehr zur Erlangung des eigentlichen ruhigen Verweilens, weil zu diesem Zeitpunkt unsere Konzentration sehr stabil und unsere Achtsamkeit sehr stark ist. Deshalb können wir von diesem Zustand aus die zweite Stufe der eigentlichen Mahamudra Praxis üben – über höheres Sehen meditieren, nachdem wir Leerheit verwirklicht haben.
Je Phabongkhapa
ÜBER HÖHERES SEHEN MEDITIEREN, NACHDEM WIR LEERHEIT VERWIRKLICHT HABEN
Die Praxis der zweiten Stufe hat zwei Teile: Leerheit erkennen und über höheres Sehen meditieren. Im Urtext des Mahamudra heißt es:
Diesbezüglich gibt es daher zwei Systeme:
Auf der Grundlage der richtigen Sicht die Meditation suchen
Und auf der Grundlage der Meditation die richtige Sicht suchen.
Hier folgen wir dem zweiten System.
Die Art und Weise, auf der Grundlage der Meditation die richtige Sicht zu suchen, ist, zuerst die Konzentration des ruhigen Verweilens zu erlangen oder zumindest die Konzentration des vierten geistigen Verweilens, und dann auf der Grundlage dieser Meditation Leerheit zu verwirklichen.
Wie verwirklichen wir Leerheit? Im Allgemeinen lehrte Buddha, den unterschiedlichen Auffassungsgaben der Menschen entsprechend, viele unterschiedliche Ebenen der Bedeutung der Leerheit. Es waren Nagarjuna und sein Schüler Chandrakirti, die Buddhas eigentliche Absicht erläuterten, und es war Je Tsongkhapa, der sie unmissverständlich verdeutlichte.
Die Praxis des Mahamudra ist die Anleitung der mündlichen Überlieferungslinie. Sie umfasst viele Anleitungen, die anderen besonders überlegen sind, zum Beispiel:
• Wie man das Objekt der Verneinung der Leerheit identifiziert und wie man über seine Verneinung, Leerheit, meditiert
• Wie man als Vorbereitung auf den Pfad des Sehens, der Leerheit direkt verwirklicht, über höheres Sehen meditiert
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