„Stimmt! Du bist echt die Beste, Schwesterchen! Aber nenn´ ihn bitte nicht Gläubiger. Er versucht unsere Firma zu retten“.
„Ich weiß“, sagte diese und drückte Josh an sich. „Aber warte erst mal ab was die Anwälte und so sagen, ob das geht wie ich mir das vorstelle“.
„Super! Komm ich lade dich zum Essen ein“, sagte Josh und Nora schnappte sich ihre Tasche und folgte ihm. Hmm, klasse … wahrscheinlich wieder Pizza bei Antonio. Denn dorthin verschlug es die beiden meistens. Vor allem dann, wenn Joshua mal wieder knapp bei Kasse war! Und das war er meistens!
Chris öffnete am anderen Morgen die Augen als die ersten Sonnenstrahlen, ihn in seinem Gesicht kitzelten. Er drehte nur leicht den Kopf um einen Blick auf den Wecker, der neben seinem Bett stand, zu werfen, als er auch schon den stechenden Schmerz in seinem Kopf verspürte. Oh Mann! Chris versuchte sich langsam aufzurichten, um die Uhrzeit auf seiner Uhr besser sehen zu können. Ja! sagte er sich im Stillen es war noch viel zu früh. Wenn er noch ein wenig liegen bleiben würde, würde dann vielleicht auch das Hämmern in seinem Kopf verschwinden. Doch da hatte er die Rechnung ohne seine Kinder gemacht! Denn als er sich halb im Bett gedreht hatte, wurde auch schon die Tür aufgestoßen und Fix und Foxi, so nannte er seine Zwillinge liebevoll, kamen ins Zimmer gerannt und krabbelten auf ihn.
„Daddy, Daddy … die Sonne scheint. Dürfen wir raus zum Spielen?“
„Oh ihr Mäuse. Es ist doch noch so früh. Könnt ihr nicht noch warten?“
„Biiiitttteee!“
„Na schön …“, gab sich Chris geschlagen. Er konnte seinen Zwillingen eben nichts abschlagen, wenn sie ihm so lieb mit ihren Kulleraugen ansahen. „Hey! Aber zuerst müssen wir Zähne putzen und vor allem anziehen“.
„Priiimmmaaa“, riefen die beiden, wobei Chris Kopf extrem hämmerte, rannten wieder nach draußen und kamen auch schon wenige Minuten später mit ihren Kleidern, die absolut nicht zueinanderpassten, angelaufen.
„Wir haben schon rausgeholt was wir brauchen“, sagte Fina zu Chris und lächelte ihn schelmisch an. Chris belächelte nur, stand auf und ging in das Kinderzimmer gegenüber. Was er da sah, traf ihn wie einen Schlag. Die Kinder hatten den kompletten Schrank ausgeräumt, alles auf den Boden geworfen und sich das Beste raus gesucht. Stöhnend zog er den Kindern die Sachen an die sie raus gesucht hatten, denn im Moment hatte er weder zum selber suchen noch zu schimpfen einen Nerv, und schickte sie dann ins Bad. Während die Zwillinge sich die Zähne putzten, sah er nach dem Baby.
„Guten Morgen, meine Süße“.
Emily quiekte und Chris drückte den kleinen warmen Körper an seine Brust. So klein und hilflos! Nachdem er die Kleinste im Bunde gewickelt und gefüttert hatte, und auch die beiden anderen gefrühstückt hatten, schickte er sie nach draußen, während er und Emily sich ans Aufräumen machten. Mit einem Tuch um den Bauch, indem das Baby gluckste, manchmal auch schlief, machte Chris nun schon Wochen lang den Haushalt. Zwar hatte er Angst das Baby könnte herausfallen, doch sie schlief ganz fest an seiner Brust. Gerade als er fertig war und das Zimmer verlassen wollte, bekam er wieder einen Sentimentalitätsanfall. So sah sein Leben nun aus, dachte er sich, Hausmann und Vollzeitdaddy. Danielle war nun seit vier Wochen nicht mehr da und Chris hatte sich stets im Griff. Doch wenn er dann die Kleine im Arm hielt überkam es ihn einfach. Danielle wollte Emily nicht, das wusste Chris, und sie machte ihm in den neun Monaten der Schwangerschaft immer wieder Vorwürfe dass das Kondom, das er benutzt hatte gerissen war. Sie machte ihm sogar den Vorwurf es manipuliert zu haben, nur um sie an ihn zu binden. Sie wollte damals die Scheidung und Chris hatte ihr gesagt, dass er nie im Leben in eine Scheidung einwilligen würde. Im Nachhinein wäre es aber das Beste gewesen – für beide! Und die Kinder hätten ihre Mutter noch! Worte wie du verdammter Scheißkerl! waren an der Tagesordnung, und doch hatte er sie geliebt. Kurz nach Emilys Geburt, hatte Danielle jegliches Interesse an der Familie verloren. Auch um die Zwillinge kümmerte sie sich nicht mehr. Man kam einfach nicht an sie ran, wenn sie dann mal zu Hause war. Und nur wenige Tage später fuhr Danielle dann mit ihrem Auto auf der Schnellstraße in den Gegenverkehr. Sie war sofort tot. Für Chris brach eine Welt zusammen. Nicht weil er sie verloren hatte, denn sie waren schon seit Langem kein richtiges Paar mehr. Nein, die Welt brach zusammen, weil er nie im Leben daran gedacht hätte, dass seine Frau selbstmordgefährdet war. Danielle wurde eingeäschert, und ihre Asche auf den Weiten des Ozeans verstreut. Da wollte sie hin. In die Freiheit. Chris war deswegen extra an den Pazifik geflogen, auf ein Schiff gegangen, nur um Danielles Asche in die Freiheit zu entlassen. Das alles natürlich nicht, ohne vorher noch auf sämtlichen Ämtern die Erlaubnis dafür zu holen. Chris packte das Tuch, indem Emily schlief fester und begab sich in die Küche. Vielleicht würde ja ein Kaffee sein Kopfweh lindern. Er hatte gerade eine Tasse aus dem Schrank geholt, als es klingelte. Es war zwar nur ein kurzes Klingeln, doch in seinem Kopf läutete es nach. Chris begab sich an die Tür und öffnete.
„Hallo! Mein Name ist Nora. Ich war gestern schon mal hier und wollte mich um die Stelle als Kindermädchen bewerben“.
Warum schrie diese Frau denn so? dachte er sich und hielt sich den Kopf um den Schmerz festzuhalten.
„Ah ja! Ich erinnere mich. Kommen Sie doch rein“, sagte Chris und trat beiseite, dass Nora ins Haus konnte. Hmm! Ihre Stimme mochte ja laut sein, aber ihr Duft war himmlisch. Chris schob seine schmerzenden Gedanken beiseite und schloss die Tür hinter Nora. WOW! Ein tolles Haus, - ging es Nora durch den Kopf, als sie eingetreten war. Im Flur gingen weiße Stufen nach oben und nach unten. Die Geländer waren aus Holz und traten so ein wenig hervor. Die Wände waren ebenso weiß. Das Haus wirkte leer, aber doch gemütlich und freundlich. Nora war hin und weg!
„Ich habe gerade Kaffee gemacht, möchten Sie auch einen, Frau …?“
„Nennen Sie mich einfach Nora. Ja, ich nehme gern eine Tasse“.
„Setzen Sie sich“, sagte Chris, als sie die Küche betreten hatten und bemerkte, wie Nora sich umsah.
„Die Kinder sind im Garten und spielen. Wir können später gern zu ihnen raus, aber vorher trinken wir erst mal den Kaffee und unterhalten uns ein wenig.“
Nora brachte nur ein verlegenes Lächeln zustande und nickte, bevor sie sich auf einen der vier Barhocker setzte. Chris stellte Nora einen großen Becher Kaffee hin und setzte sich dann ihr gegenüber hin. Wobei Nora auffiel, dass er sich den Kopf hielt.
„Kopfschmerzen?“, fragte sie und nahm einen kleinen Schluck aus ihrer Tasse.
„Ja leider, aber es geht auch wieder weg … wenn nicht nehme ich eine Tablette und gut“.
„Probieren Sie es mal mit Dunkelheit. Legen Sie sich ins Bett, einen kühlen Waschlappen aufs Gesicht und leise entspannende Musik. Also mir hilft´s“, antwortete Nora und lächelte ihn über den Becherrand hinweg an.
„Danke für den Tipp! Ich werde es versuchen – wenn ich die Zeit dazu finden sollte!“
Und während sie so Kaffee tranken, stellte Chris ihr noch ein paar Fragen und Nora erzählte ihm von ihrem alten Job, ihrer Familie und was er sonst noch so wissen wollte. Sie selber stellte aber keine Fragen. Für Nora war es selbstverständlich, nie nach etwas zu fragen, obwohl sie schon als Kind immer sehr neugierig gewesen war. Nora konnte auch nie abwarten, bis die Erwachsenen fertig waren mit ihrer Unterhaltung. Ständig musste sie dazwischen quasseln, und bekam so schon manche Ohrfeige von ihrer Mutter. Junges Fräulein, man unterbricht Erwachsene nicht, wenn sie sich unterhalten. Habe ich dir so wenig Anstand beigebracht? Ständig immer das Gleiche. Blabla hier und Blabla da. Und wenn ihrer Mutter irgendwas nicht passte, bekam Nora es ab. Joshua sagte zwar immer, dass er auch die Hucke voll bekäme, aber davon hatte sie noch nichts gemerkt. Nora liebte ihre Familie sehr, bis auf eine Person - ihre Mutter. Diese hasste sie, wie die Pest. Alles fing damals an, als ihr Vater immer später oder manchmal auch gar nicht nach Hause kam. Ihre Mutter fing an zu trinken, und jedes Mal wenn sie dann genug hatte ließ sie die Wut, die sie auf ihren Mann hatte, an den Kindern aus. Sie warf Gegenstände an die Wand und holte auch aus und schlug die Kinder, wenn sie ihr grade in die Quere kamen, während ihr Mann sich mit seiner Freundin traf. Aber nicht so, dass man es sah, nein! Das wäre ja zu offensichtlich gewesen und ihr Mann hätte gemerkt, dass sie wusste wo er sich herumtrieb. Oft war nachts auch der Streit ihrer Eltern zu hören. Und Tag für Tag dachte sich Nora, dass es besser werden würde, doch weit gefehlt. Bis zu dem Tag, als ihr Vater ums Leben kam. Gloria van Ladbar, Noras Mutter, war danach wie ausgewechselt. Sie machte eine Therapie und war wieder fast die Alte. Mit dem kleinen Unterschied, dass Nora immer noch nicht mit ihr klarkam. Die Wunden waren zu tief gewesen um alles zu vergessen was gewesen war.
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