„Ich sorge mich um meine Tochter und überlege, ihr das Ausgehen am Abend zu verbieten, ich weiß nicht, ob ich damit nicht überreagiere, will aber auf Nummer sicher gehen.“ Frau Kortner erwiderte:
„Ich kann Dich in Deiner Angst um Deine Tochter verstehen und vermutlich würde ich ähnlich reagieren, wenn ich eine Tochter hätte.“ Herr Kortner warf ein:
„Ich bin mir gar nicht so sicher, dass die Taten sexuell motiviert waren, man muss zuerst die Untersuchungsergebnisse abwarten, klar ist aber, dass im Fall Annabelle Memmert keine sexuelle Handlung vorliegt, man weiß noch nicht genau, wo das Motiv für den Mord an ihr zu suchen ist und schließt eine Art Rachetat nicht aus.“ Bevor sie sich weiter in Mutmaßungen ergingen, wechselten sie das Gesprächsthema und sprachen über die Zukunft der Kinder. Der Weg ihrer Jungen läge fest, sagte die Kortners, der eine wollte Maschinenbau und der andere Biologie studieren. Ob sie denn schon wüssten, wie es bei ihrer Tochter weiterginge, fragten sie die Schneiders und die antworteten:
„Unsere Tochter hat sich noch nicht festgelegt, sie weiß noch gar nicht, ob sie überhaupt studieren will. Sie ist ja auch erst in der zehnten Klasse und hat mit ihrer Entscheidung noch viel Zeit, sie hat einmal anklingen lassen, dass sie sich für den sozialen Bereich interessiert, aber da gibt es mittlerweile so viele Ausbildungsgänge, dass man sich erst einmal einen Überblick verschaffen muss. Unsere Tochter ist noch sehr jung vielleicht kommt für sie ein freiwilliges soziales Jahr in Betracht“. Schneiders hielten diese Einrichtung für eine sehr gute Lebensschule.
„Die Kinder sind von Zuhause weg, weit weg im Ausland, lernen dort, selbstständig zu werden und leisten darüber hinaus auch noch eine sinnvolle soziale Arbeit, sie bekommen auch noch Geld dafür, das in jedem Falle reicht, den Lebensunterhalt in dem betreffenden Land zu bestreiten.“ Am nächsten Tag bekamen KHK Kortner und KOK Schneider die Ergebnisse der forensischen Untersuchungen in ihr Dienstzimmer, sie erhielten gegen 10.00 h einen Anruf aus Mensingen, man hätte die Leiche von Mareike Berenkötter noch am Vortag untersucht und festgestellt, dass sie durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand vor den Kopf, vielleicht einer Eisenstange, zu Tode gekommen wäre.
Sie wäre wiederholt vergewaltigt worden, die Täter hätten Kondome benutzt, sodass man keine Spermaspuren gefunden hätte, sie hätten aber unter Mareikes Fingernägeln Hautreste entdeckt, die von dem oder den Tätern stammen müssten und an die Mareike durch Kratzen gekommen wäre, es wäre noch nicht sicher, aber vielleicht reichten die Hautreste aus, um ein DNA-Profil zu erstellen. Der schriftliche Untersuchungsbericht ginge ihnen noch zu, teilten die Leute aus Mensingen mit, sie wollten diese Informationen nur schon einmal vorab übermitteln. Die beiden Kommissare mailten den Mitarbeitern der Forensik in Mensingen ihren Dank für ihre prompte Arbeit:
„Wir kommen im Laufe des Tages mit Mareikes Mutter zur Identifizierung vorbei und können danach den Bericht mitnehmen.“ Woher sie denn in Mensingen wüssten, dass Mareike mehrfach vergewaltigt worden wäre, wenn sie doch gar keine Spermaspuren gefunden hätten, fragte KOK Schneider und KHK Kortner antwortete:
„Das weiß ich auch nicht so genau, aber schon das äußere Erscheinungsbild der Leiche legt die Vermutung nahe, sie werden das aber in Mensingen in Erfahrung bringen.“
Sie fuhren noch am Vormittag nach Gernsbach und suchten Frau Berenkötter auf, ihr Mann war auf dem Rathaus und ihre Tochter in der Schule, Frau Berenkötter trug Schwarz, sie war in tiefer Trauer. KHK Kortner und KOK Schneider baten sie, sie nach Mensingen zu begleiten, um ihre Tochter zu identifizieren.
„Wir wissen, dass das hart für Sie ist, es lässt sich aber nicht umgehen.“ Frau Berenkötter gab ihr Einverständnis, sie nahm eine Jacke und ihre Handtasche und folgte den Beamten zu deren Auto, sie blickte zu Boden, als sie vor die Tür trat, sie wollte nichts und niemanden sehen. Wortlos fuhren sie nach Mensingen, die Beamten kannten den Weg nach Mensingen, sie waren ihn schon x-mal gefahren und sie parkten ihren Wagen vor dem roten Backsteingebäude, KOK Schneider sprang aus dem Wagen und hielt Frau Berenkötter die Autotür auf. KHK Kortner griff ins Handschuhfach und nahm eine Packung Tempotaschentücher heraus, sie gingen geradewegs in die Untersuchungsabteilung und trafen dort auf ihren alten Kollegen Dr. Schulz. Er arbeitete schon seit mindestens dreißig Jahren dort und war verantwortlich für die Sektion der zu untersuchenden Leichen. Er verfuhr dabei immer auf die gleiche Art, nahm eine äußere Sichtung aller Körperregionen vor und untersuchte diese auf Spuren, dabei kam es auf sehr genaues Arbeiten an, wie leicht konnte man zum Beispiel Einstichstellen von Spritzen übersehen, mit denen dem Opfer vielleicht Gift verabreicht worden war.
Nach der eingehenden äußerlichen Inaugenscheinnahme der Leiche wurde ein Y-Schnitt an der Brust vollzogen und so eine Körperöffnung durchgeführt, der Arzt untersuchte die inneren Organe und den Mageninhalt. Er verschloss im Anschluss die große Schnittstelle wieder mit ein paar Nadelstichen. Als sie den Raum betraten, in dem Mareike aufgebahrt war, mussten KHK Kortner und KOK Schneider Frau Berenkötter stützen, und als Dr. Schulz das Tuch, das Mareikes Kopf bedeckte, etwas zurückzog und so den Blick auf ihr Gesicht freigab, fing Frau Berenkötter laut zu weinen an, sie wollte sich auf ihre tote Tochter werfen und sie umarmen, aber KHK Kortner hielt sie zurück. Die beiden Beamten hatten ihrer dienstlichen Pflicht Genüge getan, eine Opferidentifizierung hatte stattgefunden. Was ihnen aber menschlich abverlangt wurde, dazu hatte es während ihrer Ausbildung nicht auch nur eine Minute Unterricht gegeben, da waren sie ganz auf sich gestellt. KHK Kortner gab Frau Berenkötter eins von seinen mitgebrachten Tempotaschentüchern und sie wischte sich die Tränen ab und schnäuzte sich die Nase, längst hatten sie den Untersuchungsraum wieder verlassen und saßen davor auf einer Bank, KOK Schneider hatte für jeden eine Tasse Kaffee aus dem Automaten geholt und Frau Berenkötter nippte daran, sie war völlig apathisch und musste von den beide Beamten regelrecht betreut werden.
Wie oft hatten die beiden die Situation schon miterlebt, wie oft hatten sie die Opfermütter wieder aufrichten und ihnen Mut zusprechen müssen? Als Frau Berenkötter wieder ein wenig gefasster geworden war, standen sie auf und liefen zu ihrem Wagen. KOK Schneider hatte sich den Untersuchungsbericht geben lassen und Dr. Schulz gefragt, woher er wüsste, dass Mareike mehrfach vergewaltigt worden wäre, wo er doch keine Spermaspuren gefunden hätte. Dr. Schulz antwortete, dass dieser Schluss sich einfach wegen des völlig in Mitleidenschaft gezogenen Äußeren von Mareike Berenkötter aufdrängte. Mehr wollte KOK Schneider nicht wissen, bedankte sich bei Dr. Schulz und ging zum Wagen, sie fuhren nach Gernsbach zurück und brachten Frau Berenkötter nach Hause. Als sie die Tür öffneten, kam ihnen deren Tochter entgegen, KHK Kortner und KOK Schneider begrüßten sie und sagten:
„Wir sind mit Deiner Mutter in Mensingen gewesen, damit sie dort in der Forensik Deine Schwester identifizierte.“ Die Tochter nahm ihre Mutter in ihrem Arm und führte sie zu einem Sessel, in den sie sie setzte. Sie hätte Kaffee gekocht, ob sie alle eine Tasse Kaffee wollten, und die Beamten waren nicht abgeneigt, sie nahmen Platz und ließen sich eine Tasse Kaffee bringen. Als sie sich vergewissert hatten, dass Frau Berenkötter so weit wieder auf dem Damm war, und ihre Tochter ihr eine Stütze sein konnte, standen die Beamten wieder auf und verabschiedeten sich.
Sie fuhren nach Schüttbach zu Lise Memmert, der Tante von Annabelle. Die beiden schwiegen während der kurzen Fahrt, ihr Besuch in Mensingen und auch die Begegnung mit Frau Berenkötter hatten sie doch sehr mitgenommen. Sie schellten bei Frau Memmert und als sich ihre Haustür öffnete, erschien eine freundliche ältere Dame, die noch sehr gut aussah und sie beide ins Haus bat, sie bot ihnen einen Platz an und fragte gleich nach dem Stand ihrer Ermittlungen.KHK Kortner und KOK Schneider antworteten:
Читать дальше