Allen war der Schrecken anzusehen, den ihnen die Frauenleiche bereitet hatte, niemand war davor gefeit, tief berührt zu werden, wenn er eine Leiche sah, auch nach langen Dienstjahren nicht. Die KTU war damit beschäftigt, Gipsabdrücke von den Fußspuren zu nehmen, die am Tatort zu finden waren, KHK Kortner und KOK Schneider hatten beim Betreten des Tatortes darauf geachtet, einen Bogen zu laufen, damit sie die Fußspuren nicht verwischten oder mit ihren eigenen Fußspuren vermengten. Sie entließen die beiden Ortspolizisten aus Schüttbach, die noch jung und offensichtlich Berufsanfänger waren und warteten, bis die KTU mit ihrer Arbeit fertig war. Das Feld gehörte noch zu Bauer Steffens landwirtschaftlicher Fläche und sie fuhren erneut zu ihm, um ihm von dem schrecklichen Mord zu berichten. Sie trafen ihn wieder vor seinem Wohnhaus an und als sie ihm erzählten, was in seinem Maisfeld zwischen Schüttbach und Selldorf vorgefallen wäre, hob er kurz den Kopf und sagte nur, dass in dieser Gegend seit Jahren nicht passiert wäre, und sich nun die Mordfälle zu häufen begännen.
„Wir wissen ja nicht, wann Sie die Maisernte einzufahren gedenken, aber wir würden bitten Sie, damit noch zwei, drei Tage zu warten, bis alle Spuren aufgenommen sind“, sagten die Beamten und fuhren wieder weg. Ihr Weg führte sie nach Gernsbach zu Mareikes Eltern, ihr Vater war noch auf dem Rathaus, nur ihre Mutter war zu Hause. KHK Kortner und KOK Schneider waren schon oft in der Situation, nahen Angehörigen von Mordopfern die Todesnachricht überbringen zu müssen und jedes Mal war es ein Angang, zu dem sie sich überwinden mussten, die Todesnachricht wurde immer unterschiedlich aufgenommen, es gab unter den Empfängern solcher Nachrichten ruhige Gefasstheit und Kollaps.
Als sich die beiden Polizisten Mareikes Mutter vorgestellt hatten, schwieg die Mutter, sie fragte nicht danach, in welcher Angelegenheit sie kämen, so als hätte sie eine dunkle Vorahnung, ihr Gesicht nahm einen verspannten Ausdruck an, und als KHK Kortner ihr den Tod ihrer Tochter mitteilte, musste er sie auffangen, sie hatte einen Kreislaufzusammenbruch erlitten und brach zusammen, er musste sie in einen Sessel setzen. KOK Schneider holte schnell ein Glas Wasser aus der Küche, Frau Berenkötter weinte bitterlich, die Beamten konnten nicht viel tun, sie sprachen Worte des Trostes aus. Niemals waren sie während ihrer Polizeiausbildung auf solche Situationen vorbereitet worden, man verließ sich einfach darauf, dass die Beamten wie Menschen handelten und ließ sie damit allein. Als sich die Haustür öffnete und ein junges Mädchen und ein mittelalter Mann ins Haus kamen, wusste KHK Kortner und KOK Schneider, dass Tochter und Vater nach Hause gekommen waren und als die Tochter ihre Mutter im Sessel weinen sah, schrie sie und fragte, was denn passiert wäre und die Beamten klärten sie über den Tod ihrer Schwester auf. Das Mädchen, es war vielleicht siebzehn Jahre alt, stand wie versteinert und KHK Kortner nahm sie und setzten sie in einen zweiten Sessel, um zu verhindern, dass sie kollabierte und fiel, sofort fing auch sie an zu weinen. KOK Schneider lief in die Küche und holte Küchenrolle, damit sich die beiden Frauen ihre Tränen abwischen konnten.
Der Vater, bislang völlig ruhig, fragte:
„Wie ist meine Tochter zu Tode gekommen?“ und die beiden Polizisten nahmen ihn zur Seite und sagte ihm:
„Sie ist in einem Feld zwischen Schüttbach und Selldorf vergewaltigt und ermordet worden.“ Herr Berenkötter hatte Schwierigkeiten, seine Fassung zu wahren und KOK Schneider suchte einen Schnaps, er fand eine Flasche Weinbrand und schenkte Herrn Berenkötter ein Gläschen ein. Dieser nahm das Glas und kippte den Schnaps in einem Zug in sich hinein, er hatte seine Krawatte gelockert und stierte zum Küchenfenster hinaus, sichtlich von der Todesnachricht getroffen. Die beiden Beamten gossen sich auch einen Weinbrand ein, obwohl es strikt gegen die Vorschrift verstieß, während des Dienstes Alkohol zu sich zu nehmen, aber sie pfiffen in diesem Moment auf die Dienstvorschrift. Sie hatten es mit einem brutalen Mord zu tun, einem Mord an einer jungen Frau, die einem völlig fehlgeleiteten Täter zum Opfer gefallen war, wahrscheinlich waren es sogar mehrere Täter. Mareike muss mit einem Auto zum Tatort gebracht worden sein, denn ein Fahrrad hatten sie weit und breit nicht gefunden. Nachdem die Beamten festgestellt hatten, dass sich Familie Berenkötter ganz langsam wieder gefangen hatte, gab KHK Kortner Frau Berenkötter ebenfalls einen Weinbrand und fragte auch die Tochter:
„Möchtest Du auch einen?“, sie schüttelte aber ihren Kopf und lehnte einen Schnaps ab. Die Polizisten ließen sich die Telefonnummern von engen Angehörigen aus der Nähe geben, riefen sie an und baten sie, zu Berenkötters zu kommen und als Herrn Berenkötters Schwester mit ihrem Mann und ihren Kindern aus Mensingen eintrafen, berichteten die Beamten von dem schrecklichen Tod Mareikes. Die Verwandten hielten sich vor Ergriffenheit die Hände vor ihre Münder und setzten sich, die Beamten überzeugten sich davon, dass die Verwandten in diesem Moment der Familie eine Stütze sein könnten und verabschiedeten sich fürs Erste, sie wollten am nächsten Tag noch einmal wiederkommen. KHK Kortner und KOK Schneider machten für diesen Tag Feierabend, sie fuhren nach Feldstadt ins Präsidium und setzten sich noch einmal kurz in ihr Dienstzimmer, sie überlegten, ob es eine Verbindung zwischen dem Mord an Annabelle und dem an Mareike geben könnte, konnten in diesem Moment aber keine finden. Sie standen auf und liefen vor das Präsidium, wo sie ihre Fahrräder nahmen, um mit ihnen nach Hause zu fahren. Sie wollten an diesem Abend gemeinsam mit ihren Frauen in die Stadt zum Essen fahren, sie hatten schon vor Längerem besprochen, einmal wieder zum Chinesen zu gehen. Zum Chinesen ging man nicht gerne allzu oft, aber ab und zu überkam es sie, und es musste eben chinesisch gegessen werden. Sie trafen sich am Anfang der Reihenhaussiedlung und wollten mit den Rädern in die Stadt fahren, alle freuten sich auf das Essen, in diesem Moment war bei den Männern die Schrecknis der Polizeiarbeit vergessen.
Als sie beim „Goldenen Drachen“ ankamen, war zu ihrem Glück noch nicht viel los im Restaurant, sie nahmen draußen einen Tisch im Schatten, denn es war sehr warm. Sie bestellten sich erst einmal Wein und Bier und prosteten sich zu, nach einem kurzen Überfliegen der Speisekarte entschieden sich die vier für die Peking Ente, die sehr kross geraten war und zu der es viele Gemüsebeilagen gab, ihr ganzer Tisch stand voll mit kleinen Schüsselchen, in denen Reis und geraspeltes Gemüse aller Art serviert worden waren. Sie bestellten sich noch ein zweites Bier und ließen sich ihr Essen schmecken, als die Frauen plötzlich das Gespräch auf die Ermittlungen der Männer brachten und nach dem Fortschritt ihrer Arbeit fragten, Herrn Kortner und Herrn Schneider war eigentlich gar nicht danach zumute, in ihrer Freizeit über dienstliche Belange zu reden, aber ihre Frauen hatten damit angefangen und ihnen war aufgefallen, dass unter Frauen generell ein Interesse geweckt worden war, die beiden Morde aufgeklärt zu wissen. Herr Kortner und Herr Schneider standen aber ja selbst erst am Anfang ihrer Ermittlungsarbeit und konnten deshalb auch gar nicht so viel darüber berichten. Sie erwähnten zwar, dass ihnen der neue Fall, Mareike Berenkötter, besonders nahegegangen war, weil er so brutal gewesen war, Mareike war vermutlich mehrere Male vergewaltigt worden, Genaues würden sie aber erst noch erfahren, wenn die Ergebnisse aus der Forensik vorlägen.
Wenn man solche Kerle erwischte und sie der Öffentlichkeit überließe, würden sie an der nächsten Laterne aufgehängt, sagte Frau Kortner und Frau Schneider gab ihr Recht. Auch die Männer stimmten ihr zu, ergänzten aber:
„Es ist für solche Fälle doch gut, dass es eine unabhängige Justiz gibt.“ Die Frauen meinten, dass sie sich unsicher wären, ob für solche Taten nicht die Todesstrafe angemessen wäre, sie wollten im Restaurant aber keine Diskussion über die Todesstrafe aufkommen lassen. Nach zwei Stunden zahlten sie und fuhren zu Kortners, um gemeinsam noch Bier zu trinken. Sie sprachen über ihre Kinder und Frau Schneider meinte:
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