„Ich habe mir die Fasern vom Tatort Mareike Berenkötters gar nicht so genau angesehen, erst der Vergleich mit den in Blattenberg gefundenen Fasern hat mich veranlasst, genauer hinzusehen und ich habe festgestellt, dass es sich bei ihnen um ein technisch sehr hochentwickeltes Produkt handelt.“ Soweit wie er wüsste, entwickelte man solche Fasern in der Rüstungsindustrie, man stellte aus ihnen schusssichere Anzüge her, die noch dazu sehr leicht wären und unter der Kleidung getragen würden, sie böten den Soldaten ein Höchstmaß an Schutz. KHK Kortner und KOK Schneider hörten Jo Leinert gebannt zu, was er sagte, warf ein ganz anderes Licht auf ihre Mordfälle, die Mörder entstammten einem Milieu, in dem man den Umgang mit hochspezialisierter Technik kannte, darauf hätten sie sich einzustellen und das würde die Aufklärung der Mordfälle noch komplizierter machen. Die beiden Beamten fragte den KTU-Mann, wo denn in Deutschland solche Anzüge hergestellt würden und Jo Leinert antwortete, dass er nur von einer Firma in New York wüsste, die sich mit der Verarbeitung von solchen Fasern beschäftigte, der Name der Firma wäre High Tech Clothing und sie säße in Haarlem in einer Querstraße zur 125 thAvenue.
„Das gibt den Morden einen internationalen Anstrich“, sagte KHK Kortner und er fragte Jo Leinert:
„Wie kann man in Deutschland in den Besitz eines solchen Schutzanzuges kommen?“ Jo antwortete:
„Es gibt bei uns noch keine Vertriebsagentur für die Produkte von High Tech Clothing, man muss sich die Anzüge direkt über das Internet in New York bestellen und von dort schicken lassen.“ Damit hätten sie einen Anhaltspunkt, sagte KHK Kortner, man müsste in New York in Erfahrung bringen, an welche Adresse die High Tech Clothing die bestellten Produkte geschickt hatte und käme so vielleicht den Mördern auf die Spur. Völlig unklar blieb, warum sich die Mörder in Deutschland solche Schutzanzüge angezogen hatten, aber das würden sie schon noch ermitteln. Jo erzählte weiter:
„Ich habe Schmutzspuren aufgenommen, die auch an den Tatorten von Annabelle Memmert und Mareike Berenkötter gefunden worden sind, bei Annabelle Memmert habe ich auch die Fasern sichergestellt, bei Steffens bin ich mir noch nicht sicher, meine Leute und ich müssen noch weiter auswerten, ich kann mir aber gut vorstellen, dass ich auch bei diesen fündig werde und sowohl die Fasern als auch den Schmutz sicherstellen kann.“ KHK Kortner und KOK Schneider verließen Jo Leinerts Büro wieder und gingen in ihr Dienstzimmer, sie überlegten ihre weitere Vorgehensweise. Sie müssten die High Tech Clothing in New York kontaktieren und versuchen, über die Firma an die Adresse in Deutschland zu kommen, an die sie ihre High-Tech-Anzüge geschickt hätte. Sie riefen die Internetadresse der Firma auf und kamen so an ihre Telefonnummer in New York, es war zu diesem Zeitpunkt noch Nacht in New York und man würde niemanden dort erreichen, sie müssten bis zum Nachmittag warten. Wenn sie am Telefon nicht weiterkämen, müssten sie wohl die New Yorker Polizei um Amtshilfe bitten und wenn das nicht helfen würde, müssten sie nach New York reisen.
Die Schmutzspuren, die Jo Leinert in Blattenberg gefunden hatte, mikroskopisch kleine Krümel, stammten von der Umgebung des Tatortes von Annabelle Memmert, er lag an den Birken, an denen der Draht befestigt worden war. Damit wäre erwiesen, dass zumindest in den beiden Mordfällen der jungen Frauen die gleichen Täter am Werk gewesen waren. In der Kantine trafen sie am Mittag wieder ihren Kollegen Schlottkämper und setzten sich zu ihm an den Tisch. Sie erzählten ihm von den Spuren, die sie hatten, und dass sie auf der Suche nach der Verwendung einer High-Tech-Faser in Deutschland wären, die die KTU an den Tatorten gefunden hätte.
„Sie wird von einer Firma in New York hergestellt und von dort als Schutzanzug an die Abnehmer geschickt, der Anzug ist leicht und absolut kugelsicher.“ Sie aßen an diesem Tag Schnitzel mit Kartoffeln und Salat und holte sich danach einen Cappuccino.
„Was ist denn aus dem Mercedes geworden“, fragte der alte Kollege, und die beiden antworteten:
„Wir haben ihn dem Besitzer übergeben, der Wagen ist bei allen Morden, die wir untersuchten, im Einsatz gewesen.“ Kollege Schlottkämper grinste über alle Backen, als er hörte, dass er seinen jungen Kollegen hatte helfen können.
„Wie weit bist Du denn mit Deiner Autoschieberbande?“, fragten sie ihn und er antwortete:
„Inzwischen wird international ermittelt und wir haben Schwierigkeiten mit Ländern, mit denen es kein Auslieferungsabkommen gibt, da entsteht ein kompliziertes Vorgehen, bei dem die höchsten politischen Stellen eingeschaltet werden müssen.“ Sie wünschten sich gegenseitig viel Erfolg bei ihrer Arbeit und trennten sich wieder, um in ihre Dienstzimmer zu gehen, KHK Kortner und KOK Schneider wollten versuchen, jemanden in New York zu erreichen. Sie überlegten beide, ob sie so gut Englisch sprächen, dass sie sich mit den Leuten unterhalten konnten und wollten es erst einmal versuchen. Sie warteten noch bis 15.00 h, in New York wäre es zu diesem Zeitpunkt 9.00 h morgens, eine Zeit, zu der die Läden eigentlich geöffnet haben müssten. KHK Kortner nahm den Hörer ab und wählte die lange New Yorker Telefonnummer, es dauerte eine Zeit und er erhielt ein Besetztzeichen. Er wählte nach einem Moment des Wartens noch einmal und hörte ein Freizeichen, und als sein Gegenüber nach dem Abnehmen in einen dermaßen unverständlichen Slang verfiel, dass KHK Kortner völlig überfordert war, entschuldigte er sich und legte wieder auf. Sie müssten einen Dolmetscher anfordern, sagte er zu KOK Schneider und ihm fiel da nur die Kollegin Corinna Humpert ein, die in solchen Fällen immer ansprechbar war, sie arbeitete in der Diebstahlabteilung und war einfach eine sehr gute Englisch-Dolmetscherin.
KHK Kortner entschloss sich, persönlich bei ihr vorbeizugehen und sie um ihre Hilfe zu bitten. Die Abteilung Diebstahl lag ganz am anderen Ende des Präsidiums eine Etage höher. Er machte sich also auf den Weg und lief im Treppenhaus zunächst nach oben, er traf unterwegs viele bekannte Gesichter und kam aus dem Grüßen nicht mehr heraus. Er lief in dem Stockwerk über seinem Büro den Gang ganz bis zu seinem Ende und stand vor dem Dienstzimmer von Corinna Humpert, er klopfte und trat ein. Corinna Humpert war eine sehr hübsche Mitdreißigerin und viele Kollegen hatten ein Auge auf sie geworfen, sie gab sich aber immer abweisend, sodass man sie schon für lesbisch hielt. Es war aber ganz einfach so, dass Corinna sich in festen Händen befand und kein Techtelmechtel mit Kollegen beginnen wollte. Corinna stand auf und ging KHK Kortner entgegen, sie gab ihm die Hand und sagte ihm:
„Ich freue mich, Dich zu sehen, und wie ich Dich kenne, soll ich doch bestimmt Dolmetscherdienste für Dich leisten.“
„Da liegst Du richtig!“, antwortete KHK Kortner, „ich brauche Deine Hilfe in einem Fall, in dem ich mit New York sprechen muss, ich habe schon selbst einen Versuch unternommen, bin aber völlig gescheitert, nachdem die andere Seite in einen solchen Slang verfallen ist, dass ich mit meinem Schulenglisch keine Chance gehabt habe.“ Corinna sagte:
„Die Amerikaner sprechen, je nachdem, woher sie kommen, manchmal ein völlig unverständliches Englisch, am schlimmsten sind die Texaner.“ Sie sagte, dass sie um ihretwegen gehen könnten und schloss ihr Dienstzimmer ab, sie hängte ein Schild mit der Aufschrift „Bin gleich wieder da“ vor die Tür. Sie liefen wieder zurück zum Dienstzimmer von KHK Kortner und KOK Schneider und Corinna begrüßte KOK Schneider per Handschlag und der lächelte, weil ein weibliches Wesen in seinem Büro eine Bereicherung war. Sofort bot er Corinna seinen Platz hinter seinem Schreibtisch an und setzte sich selbst auf den Besucherstuhl. Er und sein Kollege schilderten den Fall, und was sie in New York in Erfahrung bringen wollten. Corinna machte sich ein paar Notizen bezüglich dessen, was sie fragen sollte, sie nahm den Hörer hoch und wählte die New Yorker Nummer, nach einer Zeit war die Verbindung hergestellt und sie parlierte in bestem Englisch mit ihrem Gesprächspartner. Die beiden Beamten hatten den Lautsprecher laut gestellt und konnten das Gespräch mithören, verstanden aber nur bruchstückhaft, worüber geredet wurde. Nachdem Corinna ihr Anliegen vorgetragen hatte, gab man sich in New York sehr zugeknöpft und wollte mit der Sprache nicht heraus, und als Corinna nicht weiterkam, beendete sie das Gespräch wieder.
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