„Wir haben noch ein paar Fragen an Miriam und wollen sie nicht lange aufhalten.“ Miriams Mutter verlor ihre Skepsis gleich wieder, ihre Tochter und sie glichen sich sehr stark, beide waren groß und schlank und hatten lange Haare, nur in ihrer Kleidung unterschieden sie sich, Miriam trug Jeans und T-Shirt, ihre Mutter Rock und Bluse. Die Beamten traten ins Haus und Miriam fragte:
„Möchten Sie eine Tasse Kaffee trinken?“, sie nahmen das Angebot dankbar an. Nachdem Miriam beiden eine Kaffeetasse hingestellt hatte, fragte KHK Kortner sie:
„Hat Annabelle nie etwas von einem Mann erzählt der sie angesprochen und aufgefordert hätte, ihm zu folgen?“
„Doch“, sagte Miriam, „Annabelle hat mir von solch einer Begegnung mit diesem Mann berichtet, es ist aber nie großartig darüber geredet worden, es ist bei der bloßen Erwähnung geblieben, der Mann hat Annabelle auf dem Marktplatz in Schüttbach angesprochen, so viel habe ich behalten.“ Miriam fragte ob der zweite Mord mit dem Mord an Annabelle zusammenhinge, und die Beamten antworteten, dass bei dem zweiten Mord ebenfalls ein ominöser Mann eine Rolle gespielt hätte, der Mareike Berenkötter auf dem Marktplatz in Schüttbach angesprochen hätte. Ob ihr sonst noch Dinge einfielen, die sie für erwähnenswert hielte, fragten die beiden Beamten das Mädchen und Miriam antwortete, dass Annabelle einmal für ganz kurze Zeit mit dem älteren Sohn von KHK Kortner liiert gewesen wäre, aber das wüsste er sicher schon.
„Annabelle fehlt mir unwahrscheinlich“, sagte Miriam, alle Freundinnen in der Schule dächten so, Annabelle hinterließ eine nicht zu schließende Lücke. Die beiden Polizisten tranken ihren Kaffee und bedankten sich bei Miriam für ihre Auskünfte, sie verabschiedeten sich von ihrer Mutter und ihr und fuhren nach Feldstadt ins Präsidium. Sie setzten sich eine Zeit lang in ihr Dienstzimmer und ließen ihren Beobachtungstag noch einmal Revue passieren. Am nächsten Tag wollten sie ihren starren Beobachtungsalltag aus dem Auto heraus aufgeben und auf dem Marktplatz herumlaufen, sie glaubten nicht, dass sie dadurch ihren möglichen Beobachtungsgegenstand aus den Augen verlören, wenn es ein Mann auf die beiden Mitarbeiterinnen der Gemeindeverwaltung abgesehen hätte, käme er ihnen zu Gesicht, sie würden die Tür zum Gemeindeamt immer im Auge behalten. Sie wollten einige CDs mitnehmen, damit sie während des Wartens wenigstens ein bisschen musikalische Ablenkung hätten, denn die Langeweile wäre fürchterlich. Am nächsten Morgen standen sie wieder auf ihrem Parkplatz, der Unterschied zum Vortag war, dass neben ihnen ein Obststand aufgebaut war, es war Wochenmarkt in Schüttbach und deshalb viel mehr los im Ort als am Vortag. Die Menschen kamen aus der ganzen Umgebung nach Schüttbach, um ihre Einkäufe auf dem Markt zu tätigen, vor allem kamen sie von den Bauernhöfen. KHK Kortner und KOK Schneider legten eine CD in den Player und beobachteten die Marktszene, es war ihnen ein wenig die Sicht auf die Tür zum Gemeindeamt versperrt, weil ein Blumenstand zwischen dem Gemeindeamt und ihrem Auto postiert war.
Deshalb verließ KOK Schneider den Wagen und stellte sich so hin, dass er den Überblick behielt, er würde KHK Kortner ein Zeichen geben, wenn es nötig wäre. Die Sonne schien an diesem Morgen vom Himmel und wärmte den Platz so richtig auf, es wehte kaum ein Windchen, das einen Luftaustausch herbeigeführt hätte und so wurde es im Auto schnell unerträglich, zumal der Wagen nicht im Schatten stand. Die beiden Gemeindemitarbeiterinnen waren längst im Gebäude verschwunden, die Tür war hinter ihnen zugeschwungen, als sich die beiden Beamten über den Markt bewegten, KHK Kortner hatte es nicht länger im Auto ausgehalten. Die Halfpipe lag eingekeilt zwischen einem Obst- und einem Fischstand und würde erst am Nachmittag wieder genutzt werden, wenn die Kinder aus der Schule gekommen und die Marktstände wieder abgebaut worden wären. An den Platzrändern standen Bänke, auf die sich die beiden Polizisten gesetzt hatten, sie saßen sich gegenüber, also etwa dreißig Meter voneinander entfernt und lasen im Feldstädter Anzeiger, den Blick gelegentlich auf die Tür zum Gemeindeamt gerichtet. Dickleibige Bauersfrauen mit einer vom Bluthochdruck herrührenden Röte im Gesicht durchstreiften die Marktstände und waren auf der Suche nach dem günstigsten Angebot für die Produkte, die sie suchten. Sie hatten große Einkaufstaschen am Arm hängen und schleppten diese über den Markt, es befanden sich schon Waren darin, die einiges wogen und ihre Tragarme lang werden ließen.
Die meisten dieser Frauen, die oft nur einen Haushaltskittel trugen, waren mit dem Fahrrad gekommen und würden die Taschen an die Lenkstange hängen oder auf den Gepäckträger setzen, wenn sie wieder nach Hause fuhren. Es gab aber auch elegant gekleidete Frauen unter den Marktbesucherinnen, die aus Schüttbach, Gernsbach oder auch Selldorf stammten, die kauften meistens Obst oder standen an einem Fleischstand an. Am späten Vormittag war der Markt brechend voll, es war heiß und die Menschen schwitzten, als sie sich durch die engen Durchgänge zwischen den Ständen zwängten. Es stand an diesem Morgen nichts über die Morde im Feldstädter Anzeiger, was die beiden Beamten doch wunderte, es hatte aber auch nichts gegeben, worüber es sich zu schreiben gelohnt hätte. Um die Mittagszeit hatte sich eine dermaßen starke Hitze entwickelt, dass die Markthändler in ihren Ständen stöhnten und, wenn irgend möglich, im Schatten standen, was den Marktbesuchern natürlich nicht immer möglich war, sie begaben sich zum Ausruhen in den Schatten der Hauswände und hielten ein Quätschchen. KHK Kortner und KOK Schneider wechselten ihre Bänke und nahmen welche, die wenigstens für kurze Zeit im Schatten lagen, denn das Sitzen war in der Sonne nicht auszuhalten. Am Mittag ebbte der Marktbesuch ein wenig ab, das war eine völlig normale Erscheinung, die Hauptgeschäfte waren auf dem Markt getätigt und man würde gegen 13.00 h mit dem Abbau der Stände beginnen.
Wie gern hätte man bei Erben seine Kunden auf dem Platz bedient und ihnen Kaffee und Kuchen herausgebracht, aber man wartete noch auf die Errichtungsgenehmigung für den Außenbetrieb. Die beiden Polizisten hatten sich in der Bäckerei etwas zu essen und zu trinken für ihre Mittagspause geholt, setzten sich wieder auf ihre Bänke und als sie mit ihrem Mittagsmahl fertig waren, begannen die Markthändler mit dem Abbau ihrer Stände. PKWs mit Hänger kamen auf den Platz gefahren und die Hänger wurden mit dem Standmaterial beladen. Manche Händler hatten Klappstände, die nur zusammengelegt und an den PKW gehängt werden mussten. Der Markt war innerhalb einer Dreiviertelstunde wieder geräumt und wurde gleich im Anschluss von städtischen Kehrmaschinen gereinigt, gegen 14.30 h war der Platz wieder zum Parken freigegeben. Es dauerte nicht lange und der Platz war wieder mit Autos vollgestellt, alle, die vorher ihre Autos wegen des Marktes in die Seitenstraßen gestellt hatten, holten diese wieder auf den Marktplatz und Parkten an den angestammten Orten. Der Blick war wieder frei, KHK Kortner und KOK Schneider waren aber in der Beobachtung der Szenerie längst nicht mehr so aufmerksam wie am ersten Tag, die Hitze nahm ihnen die Konzentrationsfähigkeit.
In der Mittagspause herrschte bis 15.00 h eine wärmebedingte Ruhe, die wohltat nach dem hektischen Marktvormittag und als um 15.00 h wieder die Geschäfte geöffnet wurden, waren längst wieder die Kinder und Jugendlichen auf dem Platz und übten an der Halfpipe. Die zwei Stunden bis zum Ende ihres Beobachtungstages verbrachten die beiden Polizisten auf ihren Bänken, das Auto stand die ganze Zeit in der prallen Sonne und wäre sicher kein angenehmer Aufenthaltsort gewesen. An diesem Tag hatten das Ärztehaus und die Apotheke am Nachmittag geschlossen, weshalb diese Platzseite sehr ruhig blieb und nicht von den Patienten mit Beschlag belegt wurde. Es gab Geschäfte, in denen Dauerbetrieb herrschte, zu diesen gehörte Aldi, und wenn am nächsten Tag die im Flyer angekündigten Produkte angeboten würden, kämen noch mehr Kunden. Es gäbe am Donnerstag, dem nächsten Tag also, Flachbildfernseher mit zweiunddreißig Zoll Bildschirmdiagonale und damit Geräte, die nach Maßstäben, die heute galten, nicht mehr als groß bezeichnet werden konnte, was aber früher durchaus respektvoll gewesen wäre. Die Kunden würden sich bei Aldi wieder die Klinke in die Hand geben und die Flachbildfernseher herausschleppen. Es war bei einer Verkaufsaktion bei Aldi, bei der es um Computer gegangen war, vor einigen Jahren in Süddeutschland zu Schießereien gekommen, als jemand einem anderen den letzten Computer vor der Nase wegschnappen wollte.
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