Am nächsten Morgen fuhr ich wie immer adrett im Anzug mit Krawatte zur AEG. Dort erzählte ich den Kollegen vom Urlaub und flirtete mit meiner neuen Geliebten. Mit einem Vorgesetzten bekam ich Streit wegen der weiteren Vorgehensweise bei den Gleichrichtern. Wutentbrannt habe ich ihn aus meinem Büro geworfen und ihn verbal als Idioten bezeichnet. Mittlerweile hatte ich bei meinen Kollegen den Ruf eines schwierigen Cholerikers, der allerdings der AEG sehr viel Geld einbrachte. Am Feierabend fuhr ich nach Hause, stellte mein Auto in unsere gemietete Garage und ging die Treppen hinauf. Elisabeth empfing mich in der Wohnung mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck und hielt mir einen gebrauchten Damenschlüpfer vor die Nase. „Wem gehört der?“ fragte sie. „Keine Ahnung“, antwortete ich etwas dümmlich. „Diesen Schlüpfer habe ich beim Staubsaugen unterm Ehebett gefunden. Du warst in unserer Wohnung und hast dich in unserm Bett mit irgendeiner Schlampe amüsiert. Von wegen Sitzung, ich werde mich von dir scheiden lassen!“ schrie sie mich an. Schweigend verzog ich mich ins Wohnzimmer und begann unsere Tageszeitung zu lesen. Zuerst bekam sie 3 Tage lang Migräne, danach war sie wochenlang mit mir böse. Diese Geschichte hielt sie mir jahrelang vor.
1963 gab es auf dem Wannsee ein Segeltörn mit AEG-Managern einschließlich Anhang. Natürlich nahm ich Elisabeth und die Kinder mit, die froh waren dabei sein zu dürfen. Auch unsere Nachbarin, Frau H., mit ihrer hübschen Tochter, M., waren mit von der Partie. Meine Kollegen wussten, dass ich ein ausgezeichneter Skipper war, weil ich im Krieg eine Kapitänsausbildung absolviert hatte. Deswegen durfte ich zu meinem Glück das Kommando an Bord übernehmen. In der Kajüte gab es ausreichend alkoholische Getränke, die ich nicht verschmähte, obwohl ich der Skipper war. Der jüngste Junggeselle unter den AEG-Managern interessierte sich für M. und umwarb sie etwas plump. Natürlich hätte ich das als Frauenfachmann viel besser gemacht, aber nun war jemand anders an der Reihe. M. war offensichtlich von dem stattlichen Manager schwer beeindruckt. Auch ihre Mutter spielte mit und freute sich darüber, dass ihre Tochter einen interessanten Verehrer hatte. Elisabeth genoss ebenfalls den Segeltörn, auch wenn sie wie immer keine alkoholischen Getränke anrührte. Alle Menschen an Bord waren in Feierlaune, was typisch war für den Beginn der Wunderwirtschaftszeit. Konzentriert achtete ich darauf, dass niemand über Bord fiel, weil die meisten Segelgäste stinkbesoffen waren. Aus vollem Hals wurden schmutzige Lieder gesungen, die sicherlich auf dem Wasser weit zu hören waren. Das Dritte Reich war vergessen, auch wenn an Bord nach meinem Kenntnisstand noch einige Nazi-Größen und ein ehemaliger SS-Mann waren.
Als wir Stunden später im Yachthafen ankamen, übergaben wir das ziemlich verschmutzte Segelboot beim Vermieter ab. Viele betrunkene Segelgäste bestellten sich Taxis, um sich nach Hause kutschieren zu lassen. Ohne Furcht vor Polizeikontrollen stieg ich ziemlich alkoholisiert in mein Auto und nahm auf dem Heimweg in den Wolffring außer unserer Familie auch noch Frau H. einschließlich ihrer Tochter als Passagiere mit. Die Geschichte zwischen M. und ihrem AEG-Verehrer entwickelte sich in den folgenden Monaten zu einer richtigen Liebesgeschichte, die noch im Jahr 1963 zu einer Hochzeit führte.
1963 war der US-Präsident John F. Kennedy in West-Berlin. Schon im Vorfeld wurde über den Besuch permanent im Radio und Fernsehen geredet. Viele Berliner Straßen waren bereits Stunden vorher wegen der nachher passierenden Präsidentenlimousine abgesperrt. Wir hatten in der Zeitung gelesen, dass er auf dem Flugplatz Tempelhof im amerikanischen Sektor landen und über die Dudenstraße und Kolonnenstraße zum Rathaus Schöneberg fahren wird, um dort den Regierenden Bürgermeister Willy Brandt zu treffen. Mit Kind und Kegel liefen wir deswegen zur Dudenstraße und hatten eine kleine Stehleiter dabei, um besser sehen zu können. Erwartungsgemäß war die Straße abgesperrt und wahre Menschenmassen warteten bereits auf den Präsidenten. Ich klappte die Leiter auf und lies die Kinder die Stufen nach oben krabbeln, während ich sie gleichzeitig stabilisierte. Elisabeth und ich waren richtig euphorisch den Superstar Kennedy zu sehen. Der junge, lockere und sympathische US-Präsident war der mächtigste Mann in der Welt. Die Amerikaner waren bereit, West-Berlin gegen die Russen im Notfall mittels Krieg zu verteidigen. Jedem war damals bewusst, dass dieses Szenario dann der dritte Weltkrieg mit Atomwaffen sein würde. Plötzlich passierte die US-Staatslimousine unsere Position. Wir jubelten mit allen anderen Anwesenden, als ob ein Popstar vorbeigefahren war. Wir hatten ihn tatsächlich durch das offene Wagenfenster gesehen. Wie viele andere West-Berliner war ich von ihm schwer beeindruckt. Seine Aufgabe war, die Freiheit der Stadt zu verteidigen, denn das erwarteten die Leute von ihm. Die meisten West-Berliner waren damals überzeugt, dass nur Kennedy ihnen Schutz vorm Reich des Bösen im Osten garantieren konnte. Wir gingen mit unserer Leiter nach Hause und schauten uns im Fernsehen die Rede des Präsidenten an. Den begeisterten Berlinern versprach er die Freiheit der Stadt auch zukünftig mit allen Mitteln zu verteidigen und endete seine Rede mit dem berühmten Satz: „Ich bin ein Berliner!“
1964 kaufte ich einen neuen Ford 17 M, der damals im Volksmund „Badewanne“ genannt wurde. Das moderne, große Auto hatte eine extravagante Form, die einer Badewanne ähnelte. Ich achtete penibel darauf, dass die Kinder beim Essen auf der hinteren Sitzbank die Polster nicht verschmutzten. Wenn so ein Missgeschick passiert war, bekam ich jedes mal einen Wutanfall und schrie die Kinder böse an. Wegen meiner Marinezeit war mir die Reinlichkeit meines Körpers, meiner Kleidung und meines Umfeldes sehr wichtig. Besonders hasste ich es auch, wenn das Auto innen oder außen verschmutzt war. Deswegen wusch ich es häufig und putzte anschließend akribisch den Innenraum. Wolf half mir dabei öfters, aber ich war stets äußerst ungehalten, wenn er etwas falsch machte.
Im Sommer 1964 fuhren wir erstmals nach Baltrum, das ist eine kleine ostfriesische Insel in der Nordsee. Im Vorfeld hatten wir zwei Doppelzimmer in der Pension Knurrhahn gebucht. Auf der Insel gab es keine Autos, sondern nur Bollerwagen und Fahrräder. Deswegen stellten wir unseren Wagen in Norddeich am Festland ab und reisten danach bei Flut mit dem Schiff weiter zur Insel. Als wir im Hafen ankamen, nahmen wir einen Knurrhahn-Bollerwagen und beluden ihn mit unserem gesamten Gepäck. Nach getaner Arbeit liefen wir zu unserer Pension, die Dank guter Beschilderung leicht zu finden war. Mir gefiel die Nordsee-Atmosphäre, da mich alles sehr an die Zeit bei der Kriegsmarine erinnerte. Auch von den beachtlichen, unterschiedlichen Wasserständen bei Flut und Ebbe war ich absolut begeistert. In den insgesamt 4 Urlaubswochen erzählte ich meinen Söhnen viele Geschichten, die ich bei der Marine erlebt hatte. Mit großen Augen lauschten sie interessiert meinen Erzählungen, waren schwer beeindruckt und fragten mir Löcher in den Bauch.
Unsere Pension war wie alle Häuser auf der Insel aus Klinkersteinen gebaut. Das Ambiente war schlicht, aber für unsere Anforderungen ausreichend. Es gab einen Frühstückssaal, der abends in einen Tanzsaal umgewandelt wurde. Die anderen Gäste waren Familien mit Kindern, die nun endlich Geld für den Urlaub hatten. Am Abend gab es häufig Veranstaltungen für Kinder und etwas später für Erwachsene wie Tanz und Tombola. Natürlich tranken die Gäste reichlich Alkohol und rauchten wie die Schlote. Ich fühlte mich ausgesprochen wohl, denn in Gesellschaft blühte ich in der Regel ziemlich auf. Bei schönem Wetter waren wir tagsüber am riesigen Sandstrand in unserm Strandkorb, der von einer hohen Sandburg umgeben war, die den meistens starken Wind abhalten sollte. Wir nahmen am Inselwettbewerb „Wer hat die schönste Strandburg?“ teil und belegten den dritten Platz. Zuvor hatte Elisabeth mit Muscheln und Steinen unsere Burg tagelang verschönert, so wie sie es professionell an der Kunsthochschule gelernt hatte. Nur bei Flut durfte man in einem mit Eisenstangen markierten Strandbereich ins Wasser gehen. Ein Bademeister auf einem hölzernen Wachturm achtete genau darauf, dass niemand in den Fluten verschwand. Manchmal war die Brandung so hoch, dass die Kinder nicht ins Wasser durften. Leider tauchten ab und zu riesige Quallen auf, die uns den Badespaß reichlich verdarben.
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