Senacht-en-Re Ah-mose machte ein Gesicht, das Tetischeri nur allzu gut kannte. Es zeigte ihr, dass er wieder einmal kein Wort von dem verstanden hatte, was sie gerade gesagt hatte.
„Komm her“, sie klopfte auf ihr Bett, damit er sich setzte. „Du und ich, wir können unseren Sohn rufen wie es uns beliebt. Aber der Rest der Welt muss ihn bei einem Namen kennen, der sofort zeigt, wer er ist.“
„Und wer ist er?“
„Der wiedergeborene Mond, den Re mutig macht: Seqen-en-Re Ah-mose.“
„Aha“, staunte Senacht-en-Re. „Aber irgendwo habe ich den Namen schon einmal gehört …“
„Nur fast“, Teti-scheri zwinkerte listig. „Der Fremdherrscher in Avaris heißt so ähnlich: Aaqen-en-Re Apopi - Apopi, den Re stark macht. Was meinst du, wie viel Gift und Galle er spucken wird, wenn er den Namen unseres Sohnes hört.“
„Meinst du nicht, mein Herz“, gab Senacht-en-Re zu bedenken, „dass es zu weit geht, unserem Kind nur deswegen diesen Namen zu geben, um einen bösen Mann in Avaris zu ärgern?“
„Ach wo! Apopis Galle ist ja nur die Dreingabe. Die Hauptsache wird sein, dass das Volk den Namen als Aufruf versteht: Hier kommt ein ebenbürtiger Gegner des asiatischen Usurpators. Der Süden wagt es, dem Norden die Stirn zu bieten. Der übernächste Pharao wird den Mut haben, den Mond wieder über ganz Kemet aufgehen zu lassen.“
„Ist das nicht ein wenig zu kriegerisch?“, wandte Senacht-en-Re erschrocken ein. „Ich werde jedenfalls die Position meines Vaters einhalten, wenn ich auf dem Thron sitze. Ich mag keinen Krieg. Er bringt nur alles durcheinander. Außerdem sind wir noch lange nicht stark genug, um uns auf einen Kampf einzulassen.“
„Mein Liebling“, sagte Teti-scheri mit ruhiger Stimme. „Dein Sohn wird einmal dein Nachfolger. Und du mögest leben eine Million mal eine Millionen Jahre. Aber bis dahin sollen die Heqa-Chasut nie aus den Augen verlieren, was ihnen einst widerfahren wird. Der Mut des Re wird unseren Sohn leiten, wenn es soweit ist.“
Tage später wurde König Apopi in Avaris, die Nachricht überbracht, dass die Hauptfrau des Thronfolgers von Waset einem gesunden Jungen das Leben geschenkt hatte.
„Das sieht der Hexe Teti-scheri ähnlich“, fluchte Apopi. „Das erste Kind und gleich ein Sohn. Und dann auch noch ein gesunder und kräftiger. Wie hat man beliebt, das göttliche Kind zu nennen?“
Die Wut Apopis soll einem Gewittersturm gleich gekommen sein. War ihm doch augenblicklich klar, dass jeder im Lande, ob im Norden oder im Süden, wegen des Namens über ihn lachen würde. Frech hatte man ihn vorgeführt und alle Welt wissen lassen, dass man seiner gottgegebenen Stärke den ebenso gottgegebenen Mut des übernächsten Pharaos des Südens entgegensetzte. Ganze drei Mal musste der Spion aus Avaris seinen Bericht wiederholen, so sehr freute sich Teti-scheri darüber.
Sobald sie wieder auf den Beinen war, überredete Teti-scheri ihren Mann, sie nach Gebtu zu begleiten, wo tags zuvor eine Karawane aus Tjaou eingetroffen war. Seltene Speisen, Früchte und Gewürze soll sie mitgebracht haben, berichtete man. Teti-scheris wahre Absicht war jedoch, ihren neugeborenen Sohn den königlichen Truppen vorzustellen und zwar vor allen anderen Stützen des Reiches, wie den Priestern, Gaufürsten oder auch hohen Beamten. Darüber hinaus wollte sie dies in Begleitung ihres Mannes tun, des zukünftigen Guten Gottes. Der Jubel war unbeschreiblich. Denn jedem der Soldaten war es, als wäre es sein Sohn, den man ihm zeigte.
„Er kennt eure Stimmen bereits“, rief Teti-scheri begeistert. „Seht ihr, wie sehr er sich freut?“ Als ob er in den Jubel der Soldaten mit einfallen wollte, krakeelte das Neugeborene und wedelte mit den Armen.
Senacht-en-Re hatte sich seit der Geburt seines Sohnes verändert. Auf einmal gab es etwas in seinem Leben, das ihn wahrhaft interessierte: sein Kind. Die zahllosen Ammen, Kindermädchen, Trockenlegerinnen und Sängerinnen waren völlig verwirrt, weil der Thronfolger ständig einen Vorwand suchte, um bei seinem Sohn zu sein und sie damit bei der Ausübung ihren Aufgaben störte. Teti-scheri war vollkommen verzückt von der Vaterliebe ihres Gemahls und liebte ihn dafür nur noch umso mehr. Andererseits überließ er, das Kind umsorgend, seiner Frau die meisten der täglichen Geschäfte, was ihr deren ungestörte Erledigung erleichterte.
Pharao Nub-cheper-Re Anjotef war glücklich, zu sehen, wie der Mond des Südens wieder an Strahlkraft gewann. Er hatte sich die Mühe gemacht und war eigens nach Sedjefa-taui gereist, um die junge Familie zu besuchen. Teti-scheri hatte jedoch das Gefühl, dass ihr Schwiegervater auch gekommen war, um noch ein paar Dinge in Ordnung zu bringen. Er bat sie, bei seinem Sohn ein gutes Wort einzulegen. Ihn plagte nämlich der Gedanke, was aus seiner Tochter, der vernachlässigten Sat-anjotef, werden sollte, wenn er einmal zu Osiris geworden wäre. Jetzt war sie Gottestochter, was bedeutete, dass sie ein Recht auf eigene Dienerschaft sowie ein Wohn- und Verköstigungsrecht im königlichen Palast hatte. Wenn er eines Tages nicht mehr sein würde, wäre sie zwar noch immer Gottesschwester, aber ihr würde nur noch ein bescheidener Raum im Harem Pharaos zustehen. Gerade einmal, dass sie verköstigt, bekleidet und behaust sein würde.
Teti-scheri gelang es tatsächlich, ihren Gatten umzustimmen, seine verwelkte und ihm kaum bekannte Schwester Sat-anjotef zu seiner Nebenfrau zu machen. Sie schwor ihm, dass es das Vernünftigste war, was er tun konnte – und er vertraute ihr. Allerdings erst, nachdem sie ihm hoch und heilig versprochen hatte, dass er mit seiner Schwester kein Kind würde zeugen müssen.
„Dann musst du mir noch eines schenken“, lachte er ihr ins Gesicht und berührte sie dort, wo sie es besonders gern hatte.
„Ich bin schon dabei“, lachte Teti-scheri zurück.
Senacht-en-Re stutzte, dann küsste er ihren Bauch. „So schnell wieder schwanger, kleine Frau?“
Teti-scheri zuckte mit den Schultern. „Sag jetzt nicht, dass es dich wundert …“
Letztendlich hatte Teti-scheri ihrem Gatten aufzeigen können, dass es besser war, wenn er seine Schwester heiratete. Nicht nur, dass er sie dadurch unterstützte ‑ hatte sie sich doch immer loyal verhalten ‑, sondern er band sie auch an sich und vermied dadurch, dass sie womöglich einen Abenteurer heiraten musste, um weiterhin angemessen leben zu können. Denn der würde für die Kinder aus dieser Verbindung eines Tages sicherlich Thronansprüche ableiten wollen. Schon allein deswegen, weil Teti-scheri nicht königlichen Geblüts war. Natürlich würde das erst geschehen können, wenn weder Pharao, noch Senacht-en-Re sowie der kleine Sequen-en-Re am Leben waren. Teti-scheri machte ihren Mann klar, dass er seinen Vater, sich selbst sowie seinen Sohn möglicherweise sogar in Lebensgefahr brachte, wenn er seine Schwester nicht zur Nebenfrau nahm.
„Du bist eine so kluge Frau“, sagte Pharao als er Teti-scheri zum Abschied im Hafen von Sedjefa-taui umarmte. „Pass nur weiterhin gut auf meinen Sohn und meinen Enkel auf. Und auf das Kind, das in deinem Bauch heranwächst. Aber auch auf dich, hörst du?“
„Das werde ich“, entgegnete Teti-scheri und streichelte ihren noch kaum sichtbaren Bauch. „Dieses Mal wird es ein Mädchen, damit ihr Bruder auch eine ebenbürtige Große königliche Gemahlin hat.“
Glückselig wie schon lange nicht mehr fuhr Pharao auf der königlichen Barke nilaufwärts nach Waset zurück.
Keine drei Wochen später brachte ein Bote von dort die Nachricht, dass Pharao Nub-cheper-Re Anjotef zu Osiris geworden war. Mitten in einer Unterredung mit dem Vorsteher der Siegler hatte er sich an die Brust gegriffen und war röchelnd zusammengebrochen. Bis zum Mittag war er tot.
Teti-scheri wollte augenblicklich nach Waset abreisen. Dieses Mal gelang es ihr jedoch nicht, auch ihren Gatten davon zu überzeugen, den Schritt in das neue Leben so schnell zu tun. Drei Tage noch, so bestand er, wollte er ohne die Krone auf seinem Kopf leben und seinem Sohn ersparen, auf langweiligen Audienzen von impertinenten Blicken abgeschätzt zu werden. In diesen drei Tagen, so beruhigte er Teti-scheri, würde schon niemand versuchen, ihm den Thron zu nehmen.
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