Wie sehr hatte sich Pharao einen solchen Sohn gewünscht und nicht diesen langsamen, tumben Dickwanst, der ihn kaum eines Blickes würdigte. Umso mehr war er davon überzeugt, dass Teti-scheri an Senacht-en-Res Seite bleiben sollte, damit sie das ersetzte, was seinem Sohn letztendlich fehlte.
Im Palast zu Waset hatte Pharao Teti-scheri und ihren Eltern schließlich einen prächtigen Wohntrakt mit all den notwendigen Dienern und Dienerinnen einrichten lassen, so dass man meinen konnte, sie sei eine königliche Prinzessin. Natürlich verursachte dies einiges an Missgunst bei Hofe. Ihre Eltern litten sehr darunter, doch Teti-scheri kümmerte sich nicht weiter darum, war das Wohlergehen ihres Freundes doch das Wichtigste für sie. Sie lächelte jenen, die sie mit ihren spitzen Bemerkungen zu verletzen suchten, freundlich ins Gesicht, merkte sich aber gleichwohl deren Namen.
Eines Tages wagte es die Große königliche Gemahlin, Pharao auf seine kuriose Vorliebe für die Tochter seines Ersten Schreibers anzusprechen. Denn eigentlich gebührte Pharaos Zuneigung doch vor allem dem eigenen Sohn.
„Nur mit einer weisen Frau an seiner Seite kann ein König auch ein wahrhaft großer Herrscher werden“, entgegnete Pharao mürrisch. „Und er darf sich glücklich schätzen, wenn er ihr vollkommen vertrauen kann. Wir müssen den Göttern danken, Weib, dass sie uns Teti-scheri geschickt haben. Und mir ist es einerlei, ob königliches Blut in ihren Adern fließt oder nicht. Es ist die Klugheit ihres Herzens, aber auch ihre bedingungslose Zuneigung zu Senacht-en-Re, die sie wie sonst kaum jemand geeignet sein lässt, an seiner Seite zu stehen. Besser als jeder andere kennt sie die Unzulänglichkeiten unseres Sohnes und weiß sie auszugleichen. Was könnte ihm also Besseres geschehen, als Teti-scheri an seiner Seite zu wissen?“
Und weil Senacht-en-Re tatsächlich immer ruhig und entspannt schien, sobald Teti-scheri um ihn war, sie ihn in seinen Aussagen bestätigte oder aber auch behutsam nachfragte, ob nicht doch ein anderer Blick auf die Dinge denkbar wäre, stand sie schon bald auch bei offiziellen Anlässen regelmäßig hinter seinem kleinen Thron. Nun wusste jeder, dass wohl auch in Zukunft ihr Platz neben Senacht-en-Re Ah-mose sein würde.
Senacht-en-Re hasste den alten, finsteren Palast in Waset. Was wohl vor allem daran gelegen haben mag, dass er dort schon von klein auf zu sämtlichen offiziellen Anlässen mitgeschleppt und vorgezeigt wurde. Galt es doch, allen zu zeigen, die zu einer Audienz bei Pharao vorgelassen wurden ‑ seien es machtvolle Offiziere, aufmüpfige Gaufürsten oder auch feindselige Gesandte aus dem Delta ‑, dass der Fortbestand der Dynastie gesichert war. Senacht-en-Re fühlte sich jedes Mal ausgestellt wie eine Trophäe und auch wie eine solche begutachtet. In jedem Blick der Fremden konnte er erkennen, wie er mehr oder weniger unverhohlen abgeschätzt wurde. Und nicht eben selten sah er nichts anderes als überhebliche Verachtung.
Doch spätestens seit Teti-scheri die Palastschule besuchte, fand sie im Gegensatz zu Senacht-en-Re immer mehr Gefallen an derartigen Verpflichtungen. „Der Prinz hat heute drei Enten mit dem Wurfholz erlegt“, ließ sie ungefragt hören, um ihren Freund in einem möglichst günstigen Licht erscheinen zu lassen. Und oft genug flüsterte sie Senacht-en-Re etwas ins Ohr, was ihn jedes Mal zuverlässig lächeln ließ. Riet sie ihm doch, sich vorzustellen, wie die mit Gold behängten und so ehrwürdig wie finster dreinblickenden, alten Männer vor ihm nackt und von Durchfall geplagt ihre Notdurft verrichteten. „Heute stinkt es aber wieder“, sagte er dann, ein Kichern unterdrückend, woraufhin die Diener in einer weiteren Schale Räucherwerk entzündeten.
Waset war in der Tat eine stinkende Stadt. Jeder der dort ansässigen zahllosen Fleischer, Gerber und Bierbrauer sorgte schließlich dafür. Stand der Wind ungünstig, wehten die übelsten Gerüche in den Palast, so dass manches Mal selbst die Räucherschalen nichts mehr ausrichten konnten. In Sedjefa-taui, eine knappe Tagesreise flussabwärts, wohin die königliche Familie mit der gesamten Verwaltung Jahr um Jahr während der Überschwemmungszeit umzog, fühlten sich alle sehr viel wohler. Dort gab es frische Luft und der abendliche Nordwind brachte regelmäßig zuverlässige Erfrischung. Bis Senacht-en-Re in die Schule ging, hatte er ausschließlich dort gelebt. Und wenn er überhaupt je einen Ort als Zuhause betrachtete, dann den Sommerpalast von Sedjefa-taui. Zum einen gab es dort kaum einmal Audienzen und zum anderen konnte er sich dort auch verhältnismäßig frei bewegen, weil so gut wie nie ein gerade anwesender Oberpriester das angemessene Verhalten des Gottessohnes anmahnte. In Waset hingegen gab es Dutzende von Lehrern, Hofdamen oder Priestern, die ‑ ob dazu aufgefordert oder nicht ‑, nichts anderes taten, als auf das rechte Verhalten des zukünftigen Königs zu achten. Senacht-en-Re litt unter der fortwährenden Kritik, während Teti-scheri sich gern darüber lustig machte.
„Ich zeige ihnen, was sie sehen wollen, mache aber dennoch, was ich will“, sagte sie frech.
Während einer außergewöhnlich starken Nilflut, die so hoch war, dass sie sogar tagelang den Nord- vom Südpalast in Sedjefa-taui trennte, übte Teti-scheri mit Senacht-en-Re, wie er es erreichen konnte, ein wenig majestätischer zu wirken.
„Schau nicht in ihre Augen, um zu erforschen, was sie von dir halten“, mahnte sie ihn, „sondern um zu erkennen, wer sie sind und was sie von dir wollen. Du bist der Gottessohn. Sie sind nichts als Staub unter deinen Füßen. Lediglich deine göttliche Gnade lässt dich ihnen sich zuwenden und ihnen dein Ohr schenken.“
Wie jeder Junge war Senacht-en-Re von den Soldaten beeindruckt. Aber nicht lange. Denn schon bald stellte er fest, dass er selbst in einer Rüstung kaum jemals so eindrucksvoll aussehen würde wie einer der prächtigen Offiziere, deren Loyalität für die königliche Familie so wichtig war. Es verging kaum ein Tag, an dem Pharao seinen Sohn nicht daran erinnerte. Denn selbst sein alter Vater sah mit Helm und Panzer noch immer beeindruckend aus, während er wie ein mit Blech behangenes Honigküchelchen neben ihm herwackelte. Pharao ließ darum auch kaum eine Gelegenheit aus, sich seinen Truppen in voller Rüstung zu zeigen. Welch ein Mann! Die Soldaten liebten ihn.
Teti-scheri hatte jedoch ein hartnäckiges Wesen, das sich nicht so schnell mit vermeintlichen Gegebenheiten abfinden wollte. Tagelang ließ sie ihren Freund in der schweren, heißen Rüstung herumlaufen. Sie wanderte mit ihm in die Berge des Westens, wagte sich mit ihm bis zum Schwemmland vor, wohin sich gelegentlich sogar Nilpferde und Krokodile verirrten und marschierte jeden Tag mit ihm vom Nord- zum Südpalast und wieder zurück.
„Jeder wird dir nun ansehen, dass du es gewohnt bist, dich in einer Rüstung zu bewegen“, bestätigte sie ihm. „Das macht Eindruck, glaub es mir!“
Sie konnte Senacht-en-Re sogar davon überzeugen, sich auch außerhalb des Unterrichts in der Kunst der Waffenführung zu üben. Sie gab einer der Wachen, einem stets freundlich lächelnden Söldner von einer der Inseln im Grünen Meer, ihren goldenen Armreif und dafür zeigte er Senacht-en-Re in einer verschwiegenen Ecke des Palastes, wie er die Waffen geschickter handhaben konnte. Und da Teti-scheri der Meinung war, dass es dabei auch für sie einiges zu lernen gab, beteiligte sie sich kurzerhand an den Waffenübungen. Die drei Verschworenen hatten schließlich sogar einigen Spaß bei ihren geheimen Scheinkämpfen. Es dauerte nicht lange und Teti-scheris Einsatz hatte sich unter den Soldaten herumgesprochen. Ihre Bewunderung für das zarte, doch so willensstarke Mädchen wuchs ins Grenzenlose, als sie hörten, dass sie zwar nur über geringe Körperkräfte verfügte, dafür aber um so schneller und gewitzter focht. Ihr fiel immer etwas ein, das einen Streich gegen sie zu ihrem Vorteil werden ließ. Bald sahen sie in ihr eine Art Glücksbringerin, die sie unbesiegbar machen würde.
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