Wieland Barthelmess
Khors Fahrten
Eine Reise durch die Welt der Bronzezeit
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Inhaltsverzeichnis
Titel Wieland Barthelmess Khors Fahrten Eine Reise durch die Welt der Bronzezeit Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog: Aufbruch
Erstes Buch: Gwenaëls Sippe
Vetter Gurvan
Vetter Kharec
Tante Yuna
Felsenküsten
Gwenaëls Seelenmeister
Die Steinreihen von Kharrenac
Die Rote Gaëlle
Vetter Adgair
Bei den Salzfeldern
Hamil-kahar
Zweites Buch: Fremde Welten
Khorun
Am Ende der Welt
Ramall
Bajonn
Phenix
Alisubbo
Eschmun
Tarschisch
Gadir
Drittes Buch: Im Südlichen Meer
Argara
Massia
Ilfaskia
Ibusim
Von Insel zu Insel
Elster und Rotfuchs
Tante Abinisia
Kheralos
Illacabra
Kephalon
Feuer speiende Inseln und Wasserstrudel
Amejo
Im Dock
Melisso
Viertes Buch: Das Licht des Ostens
Ithakion
Delphys
Korinthos
Im Land der Achijawa
Nemea
Mykene
Argos
Tiryns
Kuthira
Die Hörner des Stieres
Kydonija
Aminiso
Konosso
Die Bienen der Daneja
Kalliste
Syrna
Ialysos
Fünftes Buch: Die weißen Berge
Attaleia
Anemurion
Alaschija
Yakub-Hor
Ugarit
Ammistamru
Gebal
Tyros
Akko
Ghazza
Im Reich des Seth
Senu
Nilaufwärts
Avaris
Die Stadt der Katzen
Iunu
Im Sand der Sphinx
Men-nefer
Anhang: Glossar
Karte zu Buch 1: Gwenaëls Sippe
Karte zu Buch 2: Fremde Welten
Karte zu Buch 3: Im Südlichen Meer
Karte zu Buch 4: Das Licht des Ostens
Karte zu Buch 5: Die Weißen Berge
Impressum neobooks
„Verflucht! War das wieder kalt geworden!“
Khor zog sich den Mantel über den Kopf, so dass nur noch seine Augen herausschauten. Gedankenverloren blickte er auf die zu seinen Füßen liegende Stadt Twynavon, in der er die vergangenen Wintermonde verbracht hatte. Und er blickte weit ins Land, das ihm währenddessen fast zur zweiten Heimat geworden war. Dort, wo es sich im Morgendunst verlor, wusste er, dass das Meer sich endlos bis zum Horizont erstreckte. Morgen, endlich, war es soweit. Morgen würde er mit seinen Freunden aufbrechen, das Unbekannte zu erforschen und um jenes Wissen zu sammeln, das andernorts schon längst anerkannte Wahrheit war.
Khor musste an seine Familie denken, die irgendwo, weit weg von hier, in Richtung der aufgehenden Sonne in ihrer Kate an den Ufern der Uneströdu lebte. Das Gesicht seiner Mutter war ihm plötzlich so klar vor Augen, als stünde sie leibhaftig vor ihm. Wie immer hatte sie rote Wangen vor Geschäftigkeit. Er stellte sich vor, wie sie ihn liebevoll anlächelte. Wie oft hatte er gefürchtet, ihr Gesicht endgültig aus dem Gedächtnis zu verlieren und sich nicht mehr daran erinnern zu können. Doch nun hatte er es klar und deutlich vor Augen. Und mit den vom Rupfen eines jungen Schwans hängen gebliebenen weißen Flaumfedern sah es aus wie ein prächtiger Fliegenpilz. Khor lachte. Er musste auch an seinen Vater denken, den wortkargen, ruhigen Mann, dessen klugen Rat er so oft vermisst hatte. Und natürlich an die kleine Perachta, die jüngste seiner Schwestern, aus der mittlerweile sicherlich ein so hübsches wie kluges Mädchen geworden war. Selbst sein Bruder Njörd, der alte Quälgeist, war ihm plötzlich so nah, als ob er unmittelbar vor ihm stünde. Fast meinte Khor seine durchdringende Stimme zu hören. Er lächelte, als er spürte, wie sein Herz warm wurde.
Von dem in der Nähe seiner elterlichen Hütte liegenden Mittelberg war er vor Jahr und Tag nach drei Lehrjahren bei den Priestern aufgebrochen und hatte jene zurückgelassen, ohne die zu leben er sich damals nicht recht hatte vorstellen können. Seine Großmutter, so hatte er durch Zufall erfahren, war kurz nach seinem Fortgehen gestorben. Khor merkte, wie seine Kehle von Heimweh und Sorge zugeschnürt wurde. Ging es den anderen auch allen gut? Khor wusste, dass es so schnell keine Antwort auf diese ihn quälende Frage geben würde.
Er musste an Yasemin denken sowie an den kleinen Khor, ihren gemeinsamen Sohn, den er doch eigentlich kaum kannte. Gerade einmal, dass er wusste, dass es ihn überhaupt gab und wie er aussah. Hatte Chrabor, der Gaukler, der mit Yasemin durchs Land zog, die beiden behüten und auch weiterhin so gut wie bisher für sie sorgen können? Auch diese Frage, das wusste er, würde auf lange Zeit unbeantwortet bleiben müssen. Sein Freund Gwenaël, auf dessen Schiff sie morgen in die Welt fahren würden, hatte ihn immer gewarnt: „Wer zu häufig zurück schaut, muss aufpassen, dass er nicht an den Klippen zerschellt, die noch vor ihm liegen.“ Khor nahm sich wieder einmal vor, fest daran zu denken.
Die letzten Monde waren anstrengend gewesen. Tag um Tag hatte er mit seinen Gefährten Broc, Sarti und Ottel beisammen gesessen, mit denen er vor ziemlich genau einem Jahr aus ihrem Dorf in den Wäldern des Festlandes aufgebrochen war. Sie waren ausgezogen, um die Weisheit der Welt für sich und ihr Volk zu suchen. So hatten sie die Wintermonate bei Gwenaël und seiner Sippe auf der Insel inmitten des Meeres verbracht und an jenen Grundsätzen gearbeitet, um die ihr Freund sie gebeten hatte. Vier derart gebildete und das Wissen der Welt zusammentragende Menschen, hatte Gwenaël bislang noch nie getroffen. Also war er der Meinung, dass sie es waren, die noch am wahrscheinlichsten eine Lösung für seine Überlegungen finden konnten: Sie sollten Gwenaëls Volk Regeln und Gesetze aufzeigen, nach denen es auskömmlich und friedlich miteinander leben konnte.
Manches Mal war Broc der Verzweiflung nahe, galt es doch, nicht nur allen Mitgliedern von Gwenaëls Sippe gerecht zu werden, sondern auch den Nachbarn, ja, sogar Wildfremden und selbst weniger wohl gesonnenen Menschen. Gwenaël fand dies zwar eindeutig übertrieben, doch Broc hatte ihm erläutert, dass Gerechtigkeit nur dann wirklich gerecht sein könne, wenn sie tatsächlich auch für alle gelte. Ungerechtigkeit gegenüber anderen, einerlei ob beabsichtigt oder nicht, würde immer Widerstand oder gar Feindschaft hervorrufen. Ja, zum Staunen aller hatte Broc schließlich sogar erklärt, dass Gerechtigkeit letztendlich für alle Menschen gelten müsse, auch und gerade gegenüber Fremden und Andersartigen. Ja, selbst seinen Feinden gegenüber müsse man sich um Gerechtigkeit bemühen. „Was taugt ein Recht“, so hatte Broc in die verdutzten Gesichter gefragt, „wenn es nur für einige wenige gilt, für alle anderen aber nicht?“ Broc hatte sofort erkannt, dass jedwede Regel schließlich nur dann Sinn machte, wenn ein jeder sie auch als verbindlich ansehen würde.
„Dann denkt euch die Verhaltensmaßregeln eben so aus, dass sie alle überzeugen“, hatte Gwenaël noch gespottet. „Seid einfach nur einleuchtend!“
So manchen Abend hatte der Schiffsführer mit seiner Frau Coira bei den Freunden am Feuer verbracht und mitgeholfen bei der Suche nach den richtigen Worten. Als wichtigstes Geheiß, dessen waren sich alle sofort einig, sollte das richtige Verhalten gegenüber den Mitmenschen stehen: „Was dir übel und böse erscheint, das tue deinen Mitmenschen nicht an. Was immer du willst, dass die Menschen dir tun, das tue du allen.“
Man hatte sie weltfremde Träumer genannt, als die vier Fremden vom Festland zu den Feierlichkeiten der Wintersonnenwende am Großen Holzkreis erstmals ihre Grundregeln vorstellten. Doch Broc hatte keinerlei Zweifel daran gelassen, dass ein jeder sich entscheiden müsse, ob er sich an diese grundsätzlichen Gebote halten wolle und sich somit als Teil der Gemeinschaft sah, zu der er sich damit zugleich bekannte. Oder ob er sie ablehnte und sich somit außerhalb der Gemeinschaft, ja, der Welt der Verständigen stellte. Zusammenleben erfordere gegenseitige Achtung, hatte Broc seine Absichten in einem Satz zusammengefasst – und damit auch die meisten überzeugt.
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