Doch Senacht-en-Re war alles andere als ein Krieger. Er war langsam, was alleine schon keine gute Voraussetzung für einen Kämpfer war. Überhaupt war er das, was man einen Spätentwickler nannte und seine schüchterne, unsichere Art unterstützte dies auch noch. Zudem bereitete es ihm kaum Vergnügen, sich körperlich zu betätigen. Schon als Kind war er rundlich, doch jetzt, im jugendlichen Alter, war er wahrhaft dick geworden. Teti-scheri war klug genug, irgendwann einmal einzusehen, dass es keinen Sinn hatte, wenn Senacht-en-Re mit Macht versuchte, seine zukünftige Herrschaft als die eines Krieger-Pharaos zu gestalten. Doch auch in dem so wichtigen Führen von Verhandlungen fehlte es ihm an Geschick. Schnell wurde er missmutig, wenn man ihn drängte und ihm eine Entscheidung abverlangte. Aber wenigstens auf diesem Gebiet, so wusste Teti-scheri, würde sie ihm hilfreich zur Seite stehen können. Wiederholt versuchte sie, ihn für irgendetwas Nützliches zu begeistern. Vielleicht würde er der Pharao der Wissenschaften werden, oder der Medizin; vielleicht sogar der Künste … Aber nichts erregte bei Senacht-en-Re mehr als nur ein kurzfristiges Interesse. Alleine die Speisen, die aus der Palastküche kamen, konnten ihm nachhaltige Begeisterung abringen. Eines Tages hatte Teti-scheri ihn in der Küche vorgefunden, wie der ansonsten so maulfaule Junge mit einem der Süßbäcker angeregt über die unterschiedlichen Qualitäten von Honig sprach – und sie natürlich auch eine nach der anderen verkostete. Nein, ein Pharao der Süßspeisen würde sicherlich kaum ewigen Nachruhm erringen können. Sie würde also darauf achten müssen, dass es eines Tages noch anderes von Pharao Senacht-en-Re Ah-mose zu berichten gab, als dass er über einen großen Appetit auf Süßes verfügte.
Teti-scheri war gerade zehn Jahre alt geworden, als das ganze Land plötzlich in Aufruhr geriet. Der selbsternannte Pharao des Nordens, jener Asiat, der die Oberhoheit auch über den Süden für sich beanspruchte, war in hohem Alter gestorben. Eilige Ergebenheitsbekundungen und Geschenke wurden hin und her geschickt, Botschafter ausgesandt und etliche Gaufürsten reisten sogar höchstselbst nach Avaris, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Allein Pharao Nub-cheper-Re Anjotef verhielt sich still in seinem Palast zu Waset, ließ seine Truppen jedoch in Gebtu versammeln. Das ganze Land, ob Norden oder Süden, wurde von Unsicherheit gepeinigt. Lebte doch kaum noch ein Mensch, der einen anderen Herrscher als jenen alten Heqa-Chasut in Avaris erlebt hatte. Das Gleichgewicht der Dinge, die Ma’at, war solange außer Kraft gesetzt, bis ein neuer König inthronisiert war. Alles konnte in einem solchen Zustand geschehen, der dem gefürchteten Chaos so nahe kam. Teti-scheri ereiferte sich derart, dass sie sich sogar erdreistete, Pharao ungefragt dazu aufzufordern, nach Avaris zu ziehen, um sich auf den freigewordenen Thron zu setzen.
„Geduld, Geduld, mein Rosenknöspchen“, sagte Pharao mit einem Strahlen im Gesicht. „Noch ist es zu früh. Aber die Zeit wird kommen. Wir dürfen darüber nur nicht unser Ziel vergessen. Bis es aber so weit ist, müssen wir geduldig sein und uns mit den Gegebenheiten arrangieren.“
Bald darauf erschien ein Gesandter aus Avaris am Hof von Waset. Als Gastgeschenk brachte er einen prächtigen Bronzedolch mit, auf dessen Heft der Name des neuen Herrschers eingraviert war: Aaqen-en-Re Apopi - Apopi, den Re stark gemacht hat. Allein die Tatsache, dass der neue Herr in Avaris seinem mächtigsten Widersacher eine Waffe zum Geschenk machte, zeigte aller Welt, wie wenig er sich vor ihm fürchtete. Ja, er bewaffnete ihn sogar, sehr wohl wissend, dass der Beschenkte nichts gegen ihn würde ausrichten können. Pharao fiel es nicht eben leicht, während des Empfangs des Gesandten seine Haltung zu bewahren und diese Demütigung hinzunehmen. Als schließlich die Reihe an Teti-scheri war, das wertvolle Geschenk ausgiebig zu bestaunen ‑ sie stand selbstverständlich auch bei dieser Gelegenheit hinter Senacht-en-Res kleinem Thron ‑, atmete sie geräuschvoll aus wie ein gemeiner Soldat, der zum Zeichen des Erstaunens, die Luft durch die Zähne zischen ließ. Alle sahen wegen dieses ungebührlichen Benehmens erschrocken zu ihr herüber.
„Ach, wie süß“, rief sie scheinbar verzückt. „Apopi! Nein, wie niedlich. Die Kupferschmiede bei uns hier im Süden, die vor ihrem Feuer schwitzen und dabei stinken wie verdorbene Fischeier, nur um mit ihren schwieligen, an die Haut eines Krokodils erinnernden Händen solch herrliche Waffen zu fertigen, die nennen ihre Söhne so: Apopi! Wirklich niedlich.“
Es herrschte atemlose Stille und es dauerte eine Weile, bis der Gesandte aus Avaris sich wieder gefangen hatte. „Die Gespielin des Thronfolgers scheint sich aber sehr gut in den Werkstätten des Landes auszukennen“, entgegnete er spitz.
„Selbstverständlich“, beendete Pharao das Thema. „Uns hier im Süden liegt eben das Wohlergehen eines jeden unserer Untertanen am Herzen, also auch das der Kupferschmiede.“
Es war dies das erste Mal, dass Pharao Apopi im fernen Avaris von jener kleinen, impertinenten Person in Waset hörte.
Teti-scheri hatte in ihrer glühenden Begeisterung für das heilige Ziel der Befreiung Kemets tatsächlich erwartet, dass sich die Gaufürsten des Südens nun um Pharao Nub-cheper-Re Anjotef scharen würden, um sich zu ihm und seinem Herrschaftsanspruch über ganz Kemet zu bekennen. Ständig stand sie am Fenster, um zu schauen, wer alles käme. Doch schon bald musste sie feststellen, dass es auch jetzt nur die üblichen Gesichter waren, die seit jeher bei Hofe ein und aus gingen. Der Fürst des Hasengaus ließ sich in seiner Gier sogar dazu hinreißen, eine seiner Töchter unaufgefordert nach Avaris zu schicken, damit sie mit ihrer aller Orten gerühmten Schönheit den neuen Herrn betöre und er sie zu seiner Gemahlin machte. Unverrichteter Dinge wurde sie zu ihrem Vater zurückgeschickt und stürzte sich anschließend, die Schmach der Zurückweisung nicht ertragend, in den Nil. Senacht-en-Re war regelrecht entzückt von dieser Nachricht und redete eine zeitlang ständig von der dummen Gans und ihrem machthungrigen Vater. Teti-scheri jedoch tat das arme, von seinem Vater für dessen Interessen missbrauchte Mädchen einfach nur leid.
Die Nilflut war längst schon abgeklungen, als der Thronfolger und somit auch Teti-scheri noch immer im Sommerpalast in Sedjefa-taui weilten. Just an dem Tag, als sie begannen, ihre Rückkehr nach Waset vorzubereiten, war eine Barke von dort eingetroffen. Die Große königliche Gemahlin Sobek-em-saf war in der vergangenen Nacht friedlich im Schlaf gestorben.
„Nun, sie war schon weit über fünfzig“, war alles, was Senacht-en-Re dazu sagte. Nicht eine Träne zeigte sich in seinen Augen, wie Teti-scheri erstaunt feststellte. Stattdessen wies er alle Frauen sowohl des Nord- als auch des Südpalastes sowie der dazwischen liegenden Ortschaft an, den Tod seiner Mutter ausgiebig zu beklagen. Für den Abend wünschte er einen opulenten Totenschmaus einzunehmen. Es bedurfte Teti-scheris ganzer Überzeugungskraft, ihn zur sofortigen Rückkehr nach Waset zu bewegen.
„Pharao braucht uns jetzt“, flehte sie ihn an.
„Wozu?“, entgegnete Senacht-en-Re und zuckte mit den Schultern, ließ sich aber schließlich doch davon überzeugen, nach Waset abzureisen.
Pharao Anjotef traten Tränen in die Augen als die beiden Kinder vor ihm standen. Dankbar nahm er Teti-scheri in den Arm und versuchte, auch den Sohn zu umarmen. Doch der versteinerte, als sein Vater ihn berührte und ließ die ungewohnte Zuneigungsbezeugung regungslos über sich ergehen.
„Sobek-em-saf war mir eine so gute Große königliche Gemahlin wie es ihr nur möglich war“, fasste Pharao seine Gedanken zusammen. „Zukünftige Generationen werden meine Herrschaft als nur mittelmäßig einstufen, fürchte ich. Leider konnte auch Sobek-em-saf nichts daran ändern. Du aber, mein Sohn, hast Teti-scheri an deiner Seite. Höre auf das, was sie sagt. Sie kann dich sehr weit bringen, wenn du sie nur lässt.“
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