Nach all den Schwierigkeiten während der königlichen Schwangerschaft hatte sich bei der Niederkunft nun auch noch die Nabelschnur um den Hals des Prinzen gelegt, so dass das Kind bereits blau angelaufen war, als es zur Welt kam. Es hätte nicht viel gefehlt und der Thronfolger wäre bei der Geburt gestorben. Doch Re hatte Sobek-em-safs Gebete erhört und das Kind stark gemacht, so dass es auch diese Unbill überstand. Endlich war dem Herrscher von Waset, der wie alle seine Vorfahren insbesondere den Mondgott Ah verehrte, abermals ein Sohn geboren worden. Überall im Land ließ man verkünden, dass Ah durch Res göttliche Hilfe wiedergeboren war. Und so nannte man den Prinzen schließlich Senacht-en-Re Ah-mose: Der wiedergeborene Mond - den Re stark gemacht hat.
Die Musik der ausgelassen Feiernden klang noch immer aus dem Palast herüber, als Neferu sich in der Geburtslaube niederhockte, einige Male mit aller Kraft presste und endlich den befreienden Schrei tat. Wieviele Kinder hatte sie doch schon geboren. Allesamt Mädchen und keines von ihnen hatte überlebt. Jetzt sollte es ein Junge sein. Trotz all ihrer Opfergaben und Gebete war es jedoch abermals ein Mädchen. Es war ein winziges Kind, das zu Neferus Füßen lag: klein und schmächtig. Doch das kleine Bündel brüllte derart laut, dass Sobek-em-saf sogleich eine ihrer Hofdamen herüberschickte, um sich berichten zu lassen, ob Mutter und Kind auch wohlauf seien. Obwohl Neferu und Tjenna sich eigentlich einen Sohn gewünscht hatten, waren sie nun dennoch froh, einer Tochter das Leben geschenkt zu haben: Würde ein kleines Mädchen doch weitaus weniger den Neid und die Eifersucht der Großen königlichen Gemahlin auf sich ziehen, als es ein kräftiger Junge getan hätte. Und da das kleine Ding sein Schreien alsbald aufgab und stattdessen staunend in die Runde blickte, schien es Neferu so, als ob die Götter das kleine Wesen geschickt hätten, damit es seine kürzlich erst verstorbene Schwester Teti ersetzen sollte. Auch Tjenna war es ein Trost, daran zu glauben. Also nannten sie das zarte Mädchen kurzerhand Teti-scheri: Die kleine Teti.
Da es lediglich ein Mädchen war, das schon allein aus diesem Grund ihrem Gottessohn keinerlei Bewunderung abspenstig machen konnte, hielt es Sobek-em-saf für eine reizvolle Idee, die beiden Neugeborenen, die nur ein Tag trennte, baldmöglichst zusammen zu bringen. Das zartgliedrige, um nicht zu sagen schwächliche Kind der Frau des Ersten Schreibers des Schatzmeisters mochte den nicht gerade lebhaften Thronfolger sicherlich auch in einem besseren Licht erscheinen lassen. Und als die beiden Neugeborenen schließlich nebeneinander lagen, konnte alle Welt sehen, wie stolz Pharao auf seinen kräftigen, kleinen Sohn war. Just in dem Augenblick, als er sich über die beiden Kinder beugte, blickte ihm Teti-scheri forschend ins Gesicht, ergriff die Hand des neben ihr liegenden Prinzen, zog sie zu sich und lachte ihren neuen Freund an. Zum ersten Mal huschte so etwas wie ein Lächeln über das Gesicht des ansonsten so teilnahmslosen königlichen Säuglings, so dass Pharao von nun an der unerschütterlichen Meinung war, dass die Gesellschaft der kleinen Tochter von Tjenna und Neferu seinem Sohn ausgesprochen gut täte. Und da der Gottessohn keine weiteren Geschwister mehr hatte, außer einer in langen Jahren des Wartens auf einen ebenbürtigen Ehemann vorzeitig verblühten Schwester, sollte er, so war es der Wille Pharaos, gemeinsam mit Teti-scheri heranwachsen.
Neferu wurde die Ehre zuteil, als eine seiner Ammen den Königssohn zu säugen. Selbstverständlich musste das göttliche Kind immer als Erstes an die Brust gelegt werden. Erst wenn der Prinz satt und zufrieden eingeschlummert war, kam auch Teti-scheri in den Genuss ihrer Mutter Milch. So verging kein Tag, an dem Neferu nicht Tawret, der nilpferdköpfigen Göttin opferte, damit ihre Brüste auch möglichst lang schön prall blieben. Wie üblich achtete man darauf, dass die Ammen stets gut gelaunt waren. War man doch der festen Überzeugung, dass jede Art von Missstimmung oder Übellaunigkeit die Qualität der Milch maßgeblich beeinträchtigen würde. So gehörten Neferu und ihr Mann Tjenna schon bald zum aufmerksam umsorgten innersten Kreis der königlichen Familie. Pharao, der erst jetzt auf den so stillen wie sorgfältigen Mann aufmerksam geworden war, lernte dessen ruhige und zuverlässige Art schätzen, so dass er Tjenna schließlich zu seinem persönlichen Ersten Schreiber ernannte. Er war sich der Loyalität des Mannes inzwischen vollkommen sicher. Und dies war schließlich auch die unabdingbarste Voraussetzung, um jemanden zu Pharaos persönlichem Ersten Schreiber zu ernennen. Zudem musste der Ernannte bereit sein, sein Leben niemand anderem zu widmen als Pharao allein. Neferu und ihr Mann konnten es manchmal kaum glauben, welch ungeahnter Aufstieg ihnen bei Hofe beschieden war. Und sie wussten, dass sie dies vor allem ihrer Tochter Teti-scheri zu verdanken hatten.
Schon bald schienen die beiden Kinder unzertrennlich. Sobald Teti-scheri nicht an seiner Seite war, quengelte und schrie der Prinz. Also wies Pharao der kleinen Freundin seines Sohnes und ihren Eltern eine Wohnung im Innersten des Palastes zu, so dass die Kinder möglichst viel Zeit miteinander verbringen konnten. Selbst als Neferu den Thronfolger abgestillt hatte ‑ Teti-scheri aß längst schon mit den Erwachsenen ‑, blieb Pharao ihrer Familie gewogen. Senacht-en-Re Ah-mose krabbelte noch immer über den Marmorboden des Palastes, als Teti-scheri bereits munter umherlief. Und als der Prinz sein erstes Wort sprach – sehr zum Bedauern seiner Eltern war es der Name seiner kleinen Freundin, den er zu einem liebevollen Titti-scheli verballhornte ‑, konnte Teti-scheri zumindest den Anfang der Geschichte des Sinuhe bereits nahezu fehlerfrei aufsagen. Es dauerte nicht lange und es kam das Gerücht auf, dass der kleine Prinz womöglich schwachsinnig sei. Die um seinen Hals gewundene Nabelschnur, von der eine der Frauen aus der Geburtslaube berichtete, wurde dafür verantwortlich gemacht. Schnell hatte Pharao herausgefunden, welche der Frauen davon erzählt hatte und ließ ihr kurzerhand die Zunge herausschneiden. Seither wurde nur noch unter vorgehaltener Hand von den beschränkten Fähigkeiten des Prinzen gemunkelt.
Als es an der Zeit war, Senacht-en-Re auf die Palastschule zu schicken, damit er Lesen und Schreiben sowie Rechnen und Astronomie erlernte, um in den Grundlagen von Geographie und Geschichte unterwiesen sowie auf seine Rolle als zukünftiger Herrscher vorbereitet zu werden, bestand Pharao darauf, dass Teti-scheri ebenfalls am Unterricht teilnahm. Und wie sich zeigen sollte, war dies eine weise Entscheidung. Denn das kluge Mädchen sah es offensichtlich als ihre gottgegebene Aufgabe an, den kleinen Prinzen in allem beizustehen und zu unterstützen. Voller Geduld und liebevoller Zuwendung übte sie mit ihrem Mündel rechnen, lesen und schreiben. Und nichts schien sie glücklicher zu machen, als dessen zaghafte Fortschritte. Es war ein offenes Geheimnis, dass Pharao in die kleine Freundin seines Sohnes vollkommen vernarrt war. Sie war gewitzt und auch kess genug, ihm ins Gesicht zu sagen, dass er mit seinem Sohn nicht so ungeduldig sein solle.
„Er versteht das schon“, sagte sie, „er braucht eben einfach nur ein wenig länger.“
So war Pharao auch jedes Mal gerührt, wenn sie ihm mit dem Brustton der Überzeugung erklärte – so, wie sie es tausendfach in der Schule oder auch von ihren Eltern gehört hatte ‑, dass es an der Zeit wäre, die alte Größe des Landes am Nil wiederherzustellen und die Fremden endlich aus dem Delta zu werfen.
„Geduld, Geduld, mein Rosenknöspchen“, sagte Pharao dann immer mit einem Strahlen im Gesicht. „Noch ist es zu früh. Aber die Zeit wird kommen. Und wenn nicht unter Senacht-en-Re Ah-mose, dann unter seinem Sohn. Wir dürfen dieses geheiligte Ziel in all den langen Jahren, die da noch kommen mögen, nur nicht aus den Augen verlieren. Bis es aber so weit ist, müssen wir geduldig sein und uns mit den Gegebenheiten arrangieren.“
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