Nach einer angemessenen Zeit der Trauer erhob Pharao Nub-cheper-Re Anjotef seinen Sohn Senacht-en-Re Ah-mose zum Mitregenten, um die Thronfolge ein für alle Male zu sichern. Und da er aus zuverlässiger Quelle erfahren hatte, dass die Monatsblutungen bei Teti-scheri eingesetzt hatten, wurde sie am selben Tag zur Großen königlichen Gemahlin des Thronfolgers erklärt. Der Erste Schreiber Pharaos hatte einen Ehevertrag aufgesetzt, der beiden Seiten gerecht wurde. Und das, obwohl eine der beiden Parteien seine eigene Tochter war.
Die Eheschließung war schnell durchgeführt. Die Brautleute unterzeichneten den Ehevertrag und bezogen eine gemeinsame, prachtvolle Wohnung innerhalb des königlichen Palastes. Hatte Teti-scheri insgeheim erwartet, ihren ansonsten doch so schwerfälligen jungen Ehemann am Abend nach der Hochzeitsfeier vorsichtig anleiten zu müssen, damit die Ehe auch vollzogen wurde, so sah sie sich erfreulicherweise getäuscht. Senacht-en-Re wusste sehr wohl, was er zu tun hatte. Und er tat es überraschend hingebungsvoll und auch mit großer Lust und Freude. Unschuldig wie die Kinder entdeckten sie ihre Körper und genossen die ihnen neuen Glücksgefühle, die sie einander schenken konnten. Die beiden Jungvermählten hatten so viel Gefallen aneinander, dass sie viele Abende ganz allein in ihrer Wohnung verbrachten. Alle Welt konnte sehen, dass sie tatsächlich verliebt waren, was keineswegs selbstverständlich und somit dementsprechend unerwartet war. Bald gehörte es zum guten Ton, dass die Gattinnen und Töchter der Gaufürsten den Hof zu Waset besuchten, nur um das junge Glück mit eigenen Augen bewundern zu können. Gedichte wurden geschrieben und Lieder gesungen - freilich ohne Namen zu nennen. Doch auch so wusste jedermann im ganzen Land, dass in Waset glückliche Zeiten angebrochen waren. Pharao war stolz auf seine Kinder und freute sich umso mehr darüber, seit man auch in Avaris Lieder über das Glück des Südens sang. Mochte man Apopi für seine waffenstarrende Macht auch noch so viel Respekt zollen, bewundert wurde allein das junge Paar in Waset, das eine Zukunft voller Liebe und Zuneigung versprach.
Es dauerte nicht lang und Teti-scheri war schwanger. Besorgt um das Wohlergehen der Frau seines Sohnes, gestattete Pharao der jungen Familie, sich im Südpalast von Sedjefa-taui einzurichten. Sie wären fort aus dem Trubel und der ungesunden Luft von Waset und könnten noch eine letzte, ungestörte Zeit miteinander verbringen, bevor er, zu Osiris geworden, die Krone an seinen Sohn weitergab. Seit Sobek-em-saf nicht mehr bei ihm war, fühlte Pharao deutlich, dass auch seine Tage gezählt waren.
Während Senacht-en-Re entschlossen war, die Ruhe in Sedjefa-taui zu genießen, nutzte Teti-scheri die Zeit, vor allem aber ihre nun einflussreiche Stellung, um den Palast sowie die dortige Hofhaltung vollkommen umzukrempeln. Sie sorgte dafür, dass sich Kunsthandwerker aus dem fernen Konosso niederließen, damit sie die Wände des Palastes mit neuartigen Malereien bedeckten oder aber auch aus dem in der Nähe abgebauten Ton, der seit Jahrhunderten für seine Feinheit berühmt war, neuartige Gefäße formten. Sänger waren gern gesehene Gäste, die in ständigem Wettstreit miteinander lagen. Für ihren Gemahl ließ sie von überall her Köche kommen, die fremdartige Gerichte zubereiteten. Sogar aus Babylon war ein Küchenmeister mit Gehilfen zugewandert, dessen Künste weithin gerühmt waren. Als dann noch der Leibkoch Pharao Apopis von Avaris nach Sedjefa-taui übersiedelte, hatte Teti-scheri, ohne es zu wissen, einen ersten Sieg zugunsten des Südens errungen. Apopi tobte vor Wut, war ihm doch daran gelegen, den Herrscher des Südens als provinziellen Gernegroß erscheinen zu lassen. Nun wanderte sogar sein Leibkoch nach dorthin aus, weil – wie der ihm frech ins Gesicht sagte - nur unter Teti-scheri die Kunst der Hofhaltung strahle wie nirgendwo sonst in Kemet. Es war das zweite Mal, dass Apopi den Namen jener Frauensperson aus Waset hörte. Er sollte ihn nicht mehr vergessen.
Auch die Lage Sedjefa-tauis, das sich am westlichen Nilufer befand, fast genau der Stadt Gebtu gegenüber, sollte sich für Teti-scheris Vorhaben, den Süden erstrahlen zu lassen, als überaus günstig erweisen. Von Gebtu aus führte nämlich einer der alten Karawanenwege direkt ans Rote Meer, das man in fünf Tagen erreichen konnte. Er führte geradewegs durch das Wadi Hammamat, in dem der wertvolle Bechenstein gebrochen wurde, der nur hier gefunden wurde und der wegen seiner außerordentlichen Härte und gleichmäßigen Schönheit vor allem für die Herstellung edelster Statuen Verwendung fand. Außerdem lag in seiner Nähe ein geheimes Goldbergwerk. Es war die drittgrößte Fundstelle des Landes überhaupt. Am Ende der Karawanenstraße verband der Hafen von Tjaou das Reich Pharaos mit den Ländern Arabiens und dem fernen Punt, aus dem gelegentlich Weihrauch, Myrrhe, Ebenholz, Elfenbein, Silber und Gold ins Land am Nil gelangten. Trotz ihres dicken Bauches ließ es sich Teti-scheri nicht nehmen, sich jedes Mal nach Gebtu übersetzen zu lassen, wenn eine Karawane dort eingetroffen war. Mit sicherem Gespür traf sie die erste Wahl, mit der sie aus den angelieferten Waren für den Bedarf des Palastes aussuchte. Zudem versäumte sie kein einziges Mal, die Garnison der in Gebtu stationierten Truppen aufzusuchen, die man wegen ihres Legionsabzeichens die Nilpferde nannte. Und sei es nur, um sich nach deren Wohlergehen zu erkundigen. Selbstverständlich brachte sie kleine Gastgeschenke mit; ausländische Früchte oder eine Extraration Bier. Es war ein eigentümliches Bild, wenn die hartgesottenen Krieger der zarten, kleinen Frau mit dem dicken Bauch zujubelten.
„Lasst meinem Sohn nur eure Stimmen vernehmen“, rief Teti-scheri den Soldaten fröhlich zu und streichelte ihren Bauch, „damit er sie schon kennt, wenn er auf die Welt kommt!“
Bald war es an Teti-scheri, die Geburtslaube im Südpalast von Sedjefa-taui aufzusuchen. Im Sommer erst hatte sie ihr vierzehntes Lebensjahr vollendet. Nun war die Zeit der Aussaat und von den Feldern klangen die Gesänge der Bauern herüber, als sie sich niederhockte, zitternd wie das Laub der Sykomore im abendlichen Nordwind und gestützt von zwei Geburtshelferinnen, um ihr Kind in die Welt zu entlassen. Weihrauch wurde verbrannt, sagte man ihm doch eine das Gemüt beruhigende Wirkung nach, düstere Melodien gesummt, die Teti-scheri allerdings fast noch mehr ängstigten. Unablässig wurde auf sie eingeredet, wie sie zu atmen, sich zu bewegen habe und wie sie zu pressen hätte. Sie erinnerte sich an ihre eigenen Worte, mit denen sie Senacht-en-Re immer aufgefordert hatte, der äußeren Form zwar Genüge zu tun, aber dennoch seinen eigenen Willen zu bewahren. „Ich zeige ihnen, was sie sehen wollen, mache aber, was ich will.“
Das Land war trunken vor Glück: Die Große königliche Gemahlin des Thronfolgers und Mitregenten hatte tapfer wie eine Kriegerin einem gesunden Knaben das Leben geschenkt. Und zwar, wie man hörte, einem derart großen und kräftigen Buben, dass man schon von einem Wunder sprechen musste, weil die Mutter seine Geburt überlebt hatte. Ihm war eindeutig ein Schicksal als großer Held vorherbestimmt. Zudem war der Fortbestand der königlichen Dynastie nun schon in der zweiten Generationen gesichert. Der Jubel war grenzenlos und die Feiern dauerten tagelang.
Senacht-en-Re war überglücklich. Er konnte gar nicht genug von dem kleinen rundlichen Schreier bekommen und herzte das Kind derart, dass schließlich eine der Ammen besorgt dazwischen ging.
„Wir werden ihn wie meinen Urgroßvater und meine Mutter Sobek-em-saf nennen, der Krokodilgott Sobek ist sein Schutz“, sagte er Teti-scheri strahlend ins Gesicht.
„Ach, mein Liebling, wir können ihn nennen, wie wir wollen“, entgegnete sie lachend. „Aber wir müssen ihm auch einen Namen geben.“
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