Es waren drei wundervolle, wie aus der Zeit genommene Tage, die Teti-scheri mit ihrem Mann und ihrem Kind in Sedjefa-taui verbrachte. Sie fuhren auf dem Nil, um Enten zu jagen, besuchten die Truppen in Gebtu, die überzeugt davon waren, ihren zukünftigen Führer vor sich zu sehen und sie wanderten mit dem Kind auf dem Arm in die westlichen Berge, um der sinkenden Sonne nachzuschauen. Es waren zufriedene Tage. Und doch war Teti-scheri voller Vorfreude, als sie, angetan mit den prächtigsten Gewändern, die vor Gold nur so funkelten, an Bord der königlichen Barke neben ihrem königlichen Gemahl und mit dem Horusknaben auf dem Schoß flussaufwärts nach Waset fuhr. Die Ufer waren schwarz vor Menschen und alle beugten andächtig ihr Haupt, als der neue Pharao und seine Große königliche Gemahlin, beide halbe Kinder noch, ihrer Zukunft entgegenfuhren.
Kannst du den Mond sehen,
brauchst du dich um die Sterne nicht zu kümmern.
Vor fünf Monaten erst war Pharao Senacht-en-Re Ahmose die weiße Krone des südlichen Landes aufs Haupt gesetzt worden. Erleichtert hatte das Volk zur Kenntnis genommen, dass Pharao seinen kriegerischen Namen zwar auch zu seinem Thronnamen gemacht hatte, der aller Welt zeigen sollte, dass er seinen Gegnern mutig gegenübertreten würde. Zu seinem Horusnamen jedoch, der die Art und Weise seiner Machtausübung umriss, wählte er das schlichte Meri-Ma’at – Der die Ma’at liebt. Es war die Ankündigung einer um Gerechtigkeit bemühten Herrschaft, die Ausgeglichenheit und Frieden versprach.
Die Krönung war ein großes Ereignis, zu dem aus dem ganzen Land die Menschen zusammengeströmt kamen. Sogar eine Gesandtschaft aus dem fernen Kefdet hatte den weiten Weg auf sich genommen, um dem neuen König zu huldigen und ihm wertvolle Geschenke zu überbringen. Immerhin hatte Apopi die durch sein Herrschaftsgebiet nilaufwärts fahrende Delegation nicht daran gehindert, Waset zu erreichen. Der missgünstige Hirtenkönig aus Avaris, hatte allerdings selbst keinen Gesandten auf den Weg geschickt, als ob er damit zum Ausdruck bringen wollte, dass er die Herrschaft Senacht-en-Res nicht anerkannte. Schlau hatte Teti-scheri darauf bestanden, dass nach der Inthronisation sämtliche Geschenke öffentlich vorgeführt wurden. So hatte manch einer der Gaufürsten noch schnell etwas seinen Gaben hinzugefügt, damit nur nicht der Eindruck entstand, dass er mit den anderen nicht mithalten konnte.
„Wir bedauern, dass einige wenige der Fürsten auf die Überreichung von Geschenken verzichten mussten“, verkündete Teti-scheri zum Abschluss der Darbietung der Gaben. „Doch es ist sicherlich besser so, denn es herrscht offenbar Armut in ihren Palästen. Und bevor sie ihrem Volk die Geschenke abpressen, die sie dann doch nur in ihrem eigenen Namen überreichen, ist es besser, das Volk unbehelligt zu lassen.“
Apopi soll sich maßlos über ihre Worte geärgert haben, wie man Teti-scheri später hintertrug. Das Volk hatte sie jedoch mit Erleichterung und Dankbarkeit aufgenommen, schienen sie doch ein Versprechen zu sein, dass Pharao sein Volk zukünftig nicht mit hohen Abgaben bedrängen würde. Noch mehr ärgerte sich Apopi allerdings darüber, dass die Große königliche Gemahlin bei der Parade der königlichen Truppen den kaum seinem Säuglingsalter entwachsenen Thronfolger dem Heerführer, General Nacht-min, in den Arm gelegt hatte, damit er ihn seinen Truppen vorantrug. Die Soldaten sollen so begeistert gewesen sein, dass ihr Jubel sogar das Gebrüll der Nilpferde übertönte. Das Kind soll währenddessen selig gelächelt und munter mit den Armen gerudert haben, als ob es die Soldaten noch zusätzlich anfeuern wollte.
In den vergangenen Monaten hatte Teti-scheri alles versucht, um den alten Palast in Waset etwas freundlicher und weniger finster zu gestalten. Doch es war kaum zu glauben, wer alles seitens des Hofstaates Vorbehalte anmeldete. Die altehrwürdige Heiligkeit des Ortes würde gestört, fürchteten die Priester, die Tradition gebrochen, die Geschichtsschreiber und die Hofdamen beklagten sich über die naturgetreuen, neuartigen Wandmalereien der Künstler aus Kefdet, die sie regelmäßig erschreckten, weil die feinfühligen Damen meinten, in den endlosen Fluren einer lebendigen Maus oder einer aufflatternden Ente zu begegnen. Und auch die Sänger, die seit der Zeit in Sedjefa-taui den Hof des Südens zum Strahlen gebracht hatten, konnten in Waset kaum zur Geltung kommen, da nahezu an jedem zweiten Tag Musik, Tanz und Gesang aus religiösen Gründen als unpassend angesehen wurden. Senacht-en-Re sah sich zudem von zahllosen Würdenträgern bedrängt, die ständig versuchten, in ihrem Sinne Einfluss zu nehmen. Insbesondere die Priester des Mondgottes Ah sahen ihre Stunde gekommen. Nahezu täglich wollten sie Pharao dazu bewegen, ihre Tempel mit größeren Vollmachten und umfangreicheren Zuwendungen auszustatten. Senacht-en-Re war dies alles überaus lästig, so dass es Teti-scheri keinerlei Mühe kostete, ihn davon zu überzeugen, rechtzeitig vor der Geburt ihres zweiten Kindes die königliche Residenz wieder nach Sedjefa-taui zu verlegen.
Die königlichen Barken erreichten den dortigen Nordpalast keinen Tag zu früh. Noch am Abend ihrer Ankunft zog sich Teti-scheri in die Geburtslaube zurück und schenkte mitten in der Nacht, just als der Vollmond am höchsten stand, wie vorhergesagt, einer gesunden Tochter das Leben. Ah-hotep sollte sie heißen - Die den Mond zufrieden stellt.
Wieder war Senacht-en-Re so oft es ging bei seinem Kind und quälte die Betreuerinnen mit den immer gleichen Fragen: Hat Ah-hotep zugenommen? Ist sie gewachsen? Hat Ah-hotep gelächelt? Hat sie auch genügend getrunken? Pharao war vollkommen vernarrt in seine Tochter; mehr noch als in seinen Sohn und Thronfolger, der sich mehr und mehr als launisches Schreikind herausstellte. Bekam er nicht augenblicklich, was er begehrte, ließ er sich zu Boden fallen, strampelte mit den Beinen und hielt die Luft an, bis er blau anlief, so dass Teti-scheri ihm bei einer solchen Gelegenheit kurzerhand den Inhalt ihrer Handwaschschale über den Kopf goss. Der königliche Hof war entsetzt, war der kleine Trotzkopf doch immerhin der Thronfolger, der eines Tages die Macht besitzen würde, ein derartiges Verhalten nach Belieben zu vergelten. Teti-scheri war jedenfalls der Meinung, dass ihr Mann den Sohn mit seiner übertriebenen Fürsorge und Nachgiebigkeit verhätschelte.
Sobald er laufen konnte, schickte sie ihren Erstgeborenen, wann immer es möglich war, nach Gebtu hinüber, damit er dort in Gesellschaft der Soldaten lernte, seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse hintanzustellen. Leider musste Teti-scheri feststellen, dass die Soldaten den Prinzen in seiner Selbstbezogenheit noch zusätzlich unterstützten. Eine der Ammen, die ihn regelmäßig begleitete, beklagte sich, dass der Prinz unersättlich war und insbesondere vor versammelter Mannschaft nach ihrer Brust verlangte. Um sie zu quälen, biss er zudem oft und gerne zu, während die Soldaten gröhlten. Alle Versuche, Seqen-en-Re abzustillen, scheiterten an seinem lautstarken Protest. Als er eines Tages mitten auf dem Marktplatz von Gebtu einer der Ammen die Kalasiris vom Leib riss und sich wie ein ausgehungertes Tier auf ihre bloßgelegten Brüste stürzte, hatte Teti-scheri genug von den Launen ihres Sohnes und steckte ihn mit seinen fünf Jahren vor der Zeit in die Palastschule. Sie ließ eigens einen Priester des Amun aus Waset kommen, der für seinen weisen Umgang mit Kindern berühmt war.
Sequen-en-Res Schwester Ah-hotep war genau das Gegenteil: Sie war ein stets freundliches Kind, das feinfühlig auf ihr Gegenüber reagierte, gleichwohl aber sehr genau wusste, was es wollte. Anstatt zu schreien und zu toben, bemühte sich Ah-hotep um die Zuneigung der Menschen, die, von ihrem Liebreiz überwältigt, ihr schließlich bereitwillig zustanden, was sie begehrte. Zudem war sie ein ausgesprochen hübsches Kind mit lebhaften großen Augen, die jedem das Gefühl gaben, dass er von ihnen mit besonderer Aufmerksamkeit und Zuwendung angeblickt wurde. Sobald sie einen Raum betrat, sah man sich nach ihr um. Teti-scheri überlegte oft, was es wohl sein mochte, das ihrer Tochter schon als Kind diese Wirkung verlieh. Senacht-en-Re war fest davon überzeugt, dass es der Mondgott Ah höchstselbst gewesen sein musste, der ihr einen Teil seiner Strahlkraft übereignet hatte.
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