Erst Ka-mose gelang es, den Bruder halbwegs zu beruhigen. Man bräuchte sicherlich noch nahezu ein halbes Jahr, um die Schiffe fertigzustellen. Außerdem sollte man besser die nächste Nilflut abwarten, um mit der Flotte möglichst nah an die Mauern von Avaris heranzukommen. Wie Seqen-en-Re ja selbst wusste, würde man nur mit einem Überraschungsangriff Erfolg haben. Also wäre es das Beste, man hielt Apopi hin, schickte ihm wertvolle Geschenke, die ihn schließlich glauben machen würden, man täte alles, um seinen Zorn abzuwenden und sich zu fügen.
„Zu fügen?“, brüllte Sequen-en-Re. „Die Zeit sich zu fügen ist endgültig vorbei!“
„Aber gewiss doch“, pflichtete Ka-mose ihm bei. „Die Zeit sich zu fügen, ist vorbei. Doch ist es auch klug, dies Apopi jetzt schon wissen zu lassen? Wäre es nicht besser, er glaubte, dass du furchtsam wie unser Vater um Frieden bemüht wärst? Bestimmt stehen Apopis Truppen in diesem Augenblick längst schon bereit, um die unseren gebührend zu empfangen. Glaube nur nicht, dass er nicht weiß, welch ein Hitzkopf du bist. Und ein unüberlegter Überfall unsererseits würde ihm nur entgegenkommen. Nein, lass uns die Angelegenheit hinauszögern, um Zeit zu gewinnen. Vielleicht werden ihn ja auch die Libyer noch ein wenig beschäftigen.“
„Das ist die Taktik von Weibern“, fluchte Seqen-en-Re und sah seinen Bruder Ka-mose an. „Und die Taktik von Bürschchen, die allzu lange unter der Fuchtel von Weibern gestanden haben. Es ist nichts Ehrenvolles daran, den Schwanz einzuklemmen und winselnd wie ein Dorfköter vor Apopi im Staub zu kriechen.“
„Niemand wird vor Apopi im Staub kriechen“, entgegnete Ka-mose ruhig. „Apopi soll nur denken, dass wir dies täten. Die Überraschung wird dann nur umso größer sein.“
Jeden zweiten Tag besuchte Ah-hotep nun User-Month in seiner prachtvollen Wohnung im Palast, die ihm dennoch wie ein Gefängnis vorkam. Sie versicherte ihm, dass man selbstverständlich genauso verfahren werde, wie Apopi es gewünscht hatte. Allerdings sei man noch immer dabei, die Nachricht an ihn entsprechend abzufassen, vor allem aber, die Schatzkammern nach angemessenen Geschenken für ihn zu durchsuchen. Ah-hotep müsse ihn also bitten, sich noch etwas zu gedulden. User-Month, der die Begegnungen mit Ah-hotep Tag um Tag herbeisehnte, fügte sich bereitwillig in sein Schicksal, auf eine Antwort noch warten zu müssen. Bot ihm diese Zeit des Wartens doch die Möglichkeit, die bewunderte Frau jeden zweiten Tag sehen und sprechen zu können. Ah-hotep verbrachte ganze Abende mit dem Mann, der ihr schließlich so vertraut wurde, wie kaum jemand sonst. Und auch User-Month genoss die Zeit mit der klugen Frau, mit der er sich auf Augenhöhe austauschen konnte. Sie war keine der üblichen dummen Palastgänse, die nur nachschnatterten, was sie anderswo gehört hatten. Es waren zwei Seelen, die einander nah waren. Und bezaubernd schön war sie überdies auch noch. Bei Isis! Solch ein Weib hatte er sich immer gewünscht.
Irgendwann einmal wurde ihm jedoch klar, dass er noch Wochen und Monate würde ausharren können, ohne eine Antwort für Apopi zu erhalten. Wenn er es nicht war, der seinen Rückreisetermin festsetzte, würde er für immer im Südpalast von Sedjefa-taui hocken bleiben und darauf warten. Er sprach Ah-hotep also ganz offen an. Es brach ihm fast das Herz, als Ah-hotep ihn in seiner Einschätzung bestätigte.
„Es ist meine vornehmste Aufgabe als Große königliche Gemahlin für das Wohl meines Volkes zu sorgen“, sagte sie ihm ganz ruhig und berührte dabei wie zufällig seine Hand mit ihrem kleinen Finger. „Dennoch werde ich die Gespräche mit dir vermissen, User-Month. In meiner kleinen, ganz persönlichen Schatztruhe, in der ich die schönsten Augenblicke meines Lebens bewahre, gehören die Abende mit dir zu den wertvollsten Erinnerungen, glaube es mir.“
Er glaubte es ihr, ohne jeden Zweifel. Dennoch fühlte er sich genasführt, benutzt und verraten und setzte seine Abreise auf den nächsten Tag fest. Sein Schiff wurde mit Fleisch und süßem Kuchen beladen sowie zahllosen weiteren schönen Dingen, die in den Palastwerkstätten gefertigt worden waren und die er Apopi überbringen sollte. Fehlte nur noch die Nachricht an Apopi. Seqen-en-Re ließ sie User-Month kurz vor seiner Abreise zukommen.
„Geh und sage deinem Herren: Was immer du auch wünschst, ich werde es tun.“
Nach Monaten der Abwesenheit erreichte User-Month mit reichen Gaben und einer überaus wortkargen Antwort den Hafen von Avaris, in dem Dutzende von Schiffen bereitlagen, um einer möglichen Bedrohung augenblicklich begegnen zu können. Seqen-en-Re hatte sich wider Erwarten nicht zu unüberlegtem Handeln hinreißen lassen. Apopi war natürlich klar, dass es nur die Frauen der königlichen Familie aus Waset sein konnten, die dahintersteckten.
„Möge Seth die hinterlistigen Weiber Teti-scheri und Ah-hotep zu Staub und Asche werden lassen“, fluchte er und ließ das mitgebrachte Fleisch sowie den Kuchen an die Armen der Stadt verteilen, traute er den Frauen aus dem Südpalast in Sedjefa-taui doch durchaus zu, ihm auch mit Gift beikommen zu wollen. Einen Angriff auf den Süden seinerseits schloss er aus. Schon seine Vorgänger hatten sich an Waset die Zähne ausgebissen. Denn mit einem militärischen Sieg allein, der freilich außer Frage stand, wäre es nicht getan. Die eroberten Gebiete müssten ja schließlich auch gehalten und befriedet werden. Für die Menschen dort wollte gesorgt sein, denn nichts war gefährlicher als ein unzufriedenes, hungerndes Volk ohne Zuversicht. Jahrelange Scharmützel hatten seine Vorgänger, nach ihrem Sieg über Waset nahezu zermürbt. Zudem hatten die Sympathien seines eigenen Volkes den unterdrückten Brüdern und Schwestern im Süden gegolten und für zusätzliche Unruhe gesorgt. Allein der Gedanke an die Kosten, die eine Verwaltung der eroberten Gebiete verursachen würde, ließ ihn Abstand von derartigen Plänen nehmen. Nein, er musste erreichen, dass Seqen-en-Re ihn seinerseits überfiel, damit er als Aggressor und Apopi als Verteidiger des Landes angesehen wurde. Selbst mit den Hexen Teti-scheri und Ah-hotep würde er nach Seqen-en-Res Vernichtung besser zurechtkommen als mit dem unberechenbaren, jähzornigen Wüterich. Noch hatte die Große königliche Gemahlin keinen Sohn geboren, so dass es nicht ausgeschlossen war, dass es nach Seqen-en-Res Tod zu Thronstreitigkeiten kommen könnte. Auch dies keine guten Aussichten für die Stabilität des Landes. Besser wäre es, Seqen-en-Re zu bändigen. Wäre er nur halbwegs so kooperativ wie sein Vater, so wäre schon viel gewonnen. Vielleicht könnte es ja gelingen, seiner habhaft zu werden und ihn dann zu einem Umdenken zu bewegen. Vielleicht könnte es auch notwendig werden, dass die Große königliche Gemahlin Ah-hotep sich noch einmal vermählte, solange kein Thronfolger geboren war. Apopi verzichtete darauf, User-Month wegen seines unnötig langen Aufenthaltes in Sedjefa-taui zu maßregeln. Er solle sich in Men-nefer bereithalten. Vielleicht würde er ja noch gebraucht.
Stattdessen sandte Apopi einen Priester des Seth mit der folgenden Botschaft in den Süden: „Fürst des Südens! Es ist König Apopi, ihm werde Leben, Wohlstand und Gesundheit zuteil, der mich zu dir geschickt hat, um dich Folgendes wissen zu lassen: Gott Seth, der unser Gott ist, zeigt sich in vielem, was da ist. Insbesondere in den Nilpferden, die in eurem Teil des Landes jedoch gejagt und verfolgt werden. Du sagst, dass du tun wirst, was ich will. Schicke mir also deine Nilpferde allesamt, damit sie hier im Norden Seth dienen und es ihnen wohl ergehe.“
Ah-hotep war gerade von einer weiteren Tochter entbunden worden, als der Priester in Sedjefa-taui eintraf, so dass man ihn tagelang auf eine Audienz warten ließ, obwohl man eigentlich darauf brannte, zu erfahren, was Apopi geantwortet hatte. Doch es galt, soviel Zeit als möglich herauszuschinden. Seqen-en-Re weigerte sich, das Neugeborene überhaupt anzusehen und ließ Ah-hotep wissen, dass er nun die Ehe mit seiner Schwester und Nebenfrau Ah-mose Inhapi vollziehen werde, die gerade vierzehn Jahre alt geworden war. Es sei ihm einerlei, welchen Namen das Neugeborene trüge, wurde Ah-hotep mitgeteilt. Da der Säugling jedoch nach seinem Vater kam, insofern dass er unablässig schrie und brüllte und dadurch die Ruhe des gesamten Hofstaates beeinträchtigt wurde, nannte Ah-hotep ihr Neugeborenes Ah-mose Nebet-tah – Wiedergeborener Mond und Herrin des Palastes. Und natürlich hatte sich Ah-hotep auch daran erinnert, wie sehr sich Seqen-en-Re jedes Mal ärgerte, wenn Mädchen die Bezeichnung Herrin oder Gebieterin in ihrem Namen trugen …
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