Auch Pharao feierte ausgelassen, wie Ah-hotep in ihren Räumen im Palast von Waset hören konnte. Sie hatte angekündigt mit ihrer Jüngsten Ah-mose Nefertari wieder zu ihren übrigen Kindern nach Sedjefa-taui zurückzukehren, wo die Luft besser und das Leben ruhiger war. Am Abend vor ihrer Abreise erschien Sequen-en-Re in ihren Räumen. Er war betrunken und torkelte. Ah-hotep wusste, was dies bedeutete.
„Du schuldest mir noch einen Sohn, Weib“, herrschte er sie an. „Los, bück dich!“
Gleich am nächsten Morgen reiste Ah-hotep mit ihrem Gefolge nach Sedjefa-taui zurück. Auf der halben Tagesreise flussabwärts wurde ihr erst vollständig klar, dass sich etwas Grundsätzliches in der Landschaft, die an ihr vorüberzog, verändert hatte. Die Menschen zu beiden Seiten des Nils verneigten sich nicht mehr nur ehrfürchtig, sondern sie jubelten begeistert, wenn die Barke der Großen königlichen Gemahlin an ihnen vorüberfuhr. Das Gefühl der Unterlegenheit, das die Menschen in Kemet bedrückt hatte, seit die Fremdherrscher in Avaris saßen, war einem neuen Selbstwertgefühl gewichen. Über einhundert Jahre waren es die Menschen inzwischen gewohnt, sich nach den neuen Herren richten zu müssen; nach Fremden, die sich das Land der Väter frech angeeignet hatten. Doch die einstige Größe Kemets wurde den Menschen ständig wie ein immerwährender Vorwurf vor Augen geführt: Wie mächtig musste das Land einst gewesen sein, um derartige Tempel und die in den Himmel ragenden Pyramiden erbauen zu können? Pharao Seqen-en-Re der Starke hatte seinem Volk nun endlich gezeigt, dass man dies nicht mehr länger hinnehmen musste. Eines Tages würde seine Armee stark genug sein, um die alte Größe wiederherzustellen. Vielleicht morgen schon?
Aus dem ganzen Land strömten nun junge Männer herbei, um sich in Pharaos Armee zu verpflichten. Selbst aus dem reichen Norden kamen sie. Apopi konnte ihnen zwar ein auskömmliches Leben bieten, aber nicht ihre verletzten Seelen heilen, welche die Erniedrigung der Fremdherrschaft mit sich brachte. Sie glühten vor Begeisterung, ihren Teil dazu beitragen zu können, die Hirtenkönige aus dem Land zu fegen und Kemet endlich wieder zum mächtigsten Land auf Erden zu machen. Das einstige Gefühl, allen anderen Völkern überlegen zu sein, blühte wieder auf. Wenn es jemand wagen würde, den fremden Herren die Stirn zu zeigen, dann Pharao Seqen-en-Re der Starke. Jeden Morgen wenn Pharao vor seinen Soldaten erschien, schlugen sie mit ihren Waffen auf die Schilde und brüllten sich ihre Begeisterung aus dem Leib. Ah-hotep betrachtete diese Entwicklung jedoch mit zwiespältigen Gefühlen; brachten verletzte Seelen doch selten genug den richtigen Antrieb hervor, mangelte es ihnen doch zumeist an Abgeklärtheit und Nüchternheit. Sie wusste, dass ein in seiner Ehre gekränktes Volk unberechenbar sein konnte.
Natürlich dauerte es nicht lange, bis auch Apopi im fernen Avaris von den Veränderungen im Süden erfahren hatte. Die einzige Gegenmaßnahme, die ihm einfiel, war Stärke zu zeigen. Um die Situation nicht aus dem Ruder laufen zu lassen, verzichtete er jedoch auf unverhohlen geäußerte Drohungen. Es waren keine drei Monate seit der Parade vergangen, als User-Month abermals im Südpalast von Sedjefa-taui vorstellig wurde: Er habe eine Botschaft von seiner Majestät Apopi Se-hetep-taui ‑ Apopi, der die zwei Länder zufriedenstellt – an Seqen-en-Re, den Fürsten der südlichen Stadt. Schon allein diese Anrede war ein Affront, da sich Apopi nicht an einen Gleichrangigen wandte, sondern an jemanden, der ihm zur Gefolgschaft verpflichtet war. Im selben Tonfall war auch die Nachricht abgefasst.
„Es ist König Apopi, ihm werde Leben, Wohlstand und Gesundheit zuteil, der mich zu dir geschickt hat, um dich Folgendes wissen zu lassen: Ziehe dich vom Teich der Nilpferde zurück, der sich im Osten der Stadt befindet! Denn sie lassen nicht zu, dass Schlaf zu mir kommt bei Tag und bei Nacht, weil ihr Gebrüll an meine Ohren dringt. Auch mein Volk, ja, alle leiden unter ihrem Geschrei.“
Seqen-en-Re war sprachlos. Avaris lag gut zehn Tagesreisen entfernt. Von einer Lärmbelästigung konnte also sicherlich nicht die Rede sein. Gemeint waren also eher der Anlass und der Inhalt des Gebrülls seiner Soldaten. Wusste Apopi Bescheid, dass seine Nilpferd-Truppe über Schiffe verfügte? Bluffte er nur? Oder war Apopi besser informiert, als Seqen-en-Re dachte? Nirgendwo hatte der Asiat durchblicken lassen, was er tatsächlich wusste. Er gab lediglich den unmissverständlichen Befehl, dass man den Teich und somit auch das Ausbildungslager aufgeben solle, damit das Geschrei der Soldaten, welches das Wohlbefinden aller störte, endlich aufhörte. Ihr Rufen nach der Einheit Kemets, nach der Vertreibung der Fremdherrscher, nach der Gesamtherrschaft Pharao Seqen-en-Res hatte augenblicklich zu unterbleiben.
User-month verabschiedete sich hastig, hatte er doch schon einige Geschichten über Pharao Sequen-en-Res Jähzorn gehört. Der machte das Gesicht, das Ah-hotep von Kind auf kannte: Er hatte kaum etwas von dem verstanden, was ihm gesagt wurde. Was er aber sehr wohl verstanden hatte, war, dass ihm ein Befehl gegeben wurde. Und zwar in einer respektlosen, selbstherrlichen Art. Man hielt es noch nicht einmal für nötig, ihm zu drohen, denn offensichtlich ging man davon aus, dass er den königlichen Wunsch augenblicklich umsetzen würde. Seqen-en-Re versammelte all seine Beamten und Generäle um sich, damit er sich mit ihnen beratschlagen konnte, wie er auf die Nachricht Apopis reagieren solle. Die Beamten zuckten einer wie der andere mit den Schultern. Sie könnten Pharao keinen Ratschlag geben und vertrauten auf die Weisheit des Guten Gottes. Die Generäle hingegen, waren der Meinung, dass es endlich an der Zeit sei, loszuschlagen. Sie hatten keinen Zweifel daran, dass sie nach all den Jahren der Ausbildung auch siegreich sein würden. Und brannten die Soldaten nicht regelrecht darauf, endlich gen Avaris zu ziehen, um Apopis Gedärme durch den Sand zu schleifen? Seqen-en-Re ließ sich von ihrer Kampfeslust beinahe anstecken. Erst Ah-hoteps Warnung, dass die Flotte noch nicht vollständig und sämtliche Soldaten noch längst nicht ausreichend ausgebildet seien, ließ ihn zögern. Er beklagte zwar, dass Weiber immer die Saat des Zweifels in mutige Herzen streuen müssten, bat seine Generäle aber dennoch, sich noch etwas zu gedulden, bis er eine Entscheidung getroffen habe, da er erst den Rat der Götter einholen wollte.
Bis in seine Gemächer, in die sich User-Month zurückgezogen hatte, hörte er Seqen-en-Re toben, als wäre er dem Irrsinn verfallen. Sogar Ah-hotep erschrak sich, hatte Pharao doch tatsächlich Schaum vor dem Mund. Sicherlich, die letzten Schiffe standen erst noch vor der Vollendung, was ihn aber keineswegs davon abhalten könne, Apopi augenblicklich anzugreifen, schrie er. Er würde ihm vor den Toren seiner prächtigen Stadt den Bauch aufschlitzen und jeden seiner asiatischen Untertanen sowie die elenden Kollaborateure dabei zusehen lassen, wie er ihn ausweidete. Jeder, der sich widersetzte, würde den Zorn Seqen-en-Res des Starken zu spüren bekommen.
„Vielleicht ist es genau das, was Apopi will“, gab Ah-hotep zu bedenken. „Er ist längst gewarnt und wird dich und deine Truppen erwarten. Wir sollten uns klug verhalten und versuchen, Zeit zu gewinnen, damit wenigstens die noch in Bau befindlichen Schiffe fertig gestellt und zudem noch etliche Soldaten mehr ausgebildet werden können.“
Es war, als redete man mit einem rasenden Nilpferd, das einmal in Rage geraten, alles niedertrampelte, was ihm zu nahe kam. Fast schon wollte Seqen-en-Re seine Große königliche Gemahlin schlagen. Nur ihr bereits sich wölbender Bauch, in dem womöglich der längst erwartete Thronfolger heranwuchs, hielt den Tobenden davon ab. Geduldig redeten Ah-hotep und Teti-scheri auf den Wütenden ein, der weder vor Räucherschalen, noch vor wertvollen Alabastervasen, Stühlen oder Trinkgefäßen Halt machte. Die große Halle im Südpalast von Sedjefa-taui sah aus, als wäre eine Herde Nilpferde hindurchgeprescht. Selbst die Diener waren nicht mehr sicher und flohen jammernd vor der Wut des Guten Gottes.
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