Als der Priester des Seth nach langen Tagen des Wartens endlich vor Pharao und dem versammelten Hofstaat seine Nachricht überbringen konnte, schlug ihm zunächst eisiges Schweigen entgegen. Die Beamten nestelten betreten an ihren Gewändern und die Generäle bekamen ebenso hochrote Köpfe wie Pharao. Als Seqen-en-Re sich wieder halbwegs gefangen hatte, forderte er den Boten auf, seine Nachricht zu wiederholen.
„Du sagst, dass du tun wirst, was ich will. Schicke mir also deine Nilpferde allesamt, damit sie hier im Norden Seth dienen und es ihnen wohl ergehe.“
Wortlos zückte Seqen-en-Re seinen Dolch und rammte ihn dem Priester in den Hals. Die Generäle murmelten beifällig und die Beamten jammerten, dass der Mord an einem Gesandten ein Kriegsgrund sei.
Teti-scheri war außer sich. „Wie kannst du es wagen, den königlichen Palast in ein Schlachthaus zu verwandeln“, schrie sie ihren Sohn an. „Mit deiner sinnlosen Tat hast du alle anderen Möglichkeiten einer Erwiderung ein für alle Male ausgeschlossen. Es ist eines Pharaos unwürdig …“
„Weib!“, unterbrach sie Pharao Seqen-en-Re. „Auch wenn du mich geboren hast: Ich werde nicht zögern, dir ebenso das Maul zu stopfen, wenn du nicht augenblicklich schweigst!“
Teti-scheri hatte keinerlei Zweifel daran, dass ihr Sohn diese Drohung auch wahr machen würde, spürte sie doch bereits seinen blutigen Dolch an ihrer Kehle.
Der gesamte Palast geriet in Aufruhr. Hatte doch Pharao Seqen-en-Re der Starke den Gesandten Apopis ermordet und auch seine eigene Mutter mit dem Tod bedroht. Die Ma’at, das Gleichgewicht der Dinge, die einzuhalten doch Pharaos vornehmste Aufgabe ist, war durch sein eigenes Tun außer Kraft gesetzt. Das Chaos drohte!
Während in jedem Tempelchen und in jedem Schrein im Nordpalast Opfer dargebracht und Bittgebete gesprochen wurden, war Pharao mit seinen Generälen nach Gebtu aufgebrochen, um den unverzüglichen Vorstoß der Truppen nach Avaris vorzubereiten. Es blieb nun auch keine andere Wahl mehr. Man konnte die Ermordung des Gesandten sicherlich noch einige Zeit vertuschen, indem man den Leichnam verschwinden ließ. Aber eines Tages, und wahrscheinlich schneller als gedacht, würde Apopi davon erfahren. Bis dahin mussten die Truppen längst vor den Toren von Avaris stehen. Eilends wurden Lebensmittel herbeigeschafft und auf die Schiffe verladen. Seqen-en-Re verzichtete trotz aller Ratschläge darauf, gleichzeitig einen Tross mit Lebensmitteln, Waffen und Wundärzten über Land zu schicken, damit die Soldaten versorgt werden konnten. Denn er war sich seines Sieges vollkommen sicher und meinte, dass das geplünderte Avaris seine Soldaten schließlich mit allem Nötigen versorgen werde.
Am Tag bevor die Truppe aufbrach, erschien Seqen-en-Re in voller Rüstung, den Chepresch auf dem Kopf, mit seiner Leibwache im Südpalast von Sedjefa-taui. Er traute nun niemandem mehr und hielt es sogar für möglich, dass seine eigene Familie ihn aus dem Weg schaffen wollte, nur um den feigen Frieden mit Apopi zu bewahren. Er würdigte seine Mutter Teti-scheri keines Blickes, sondern steuerte direkt auf die Privatgemächer Ah-hoteps zu, die soeben die kleine Ah-mose Nebet-tah versorgte.
„Unsere Schwester Ah-mose Inhapi, meine Nebenfrau, erwartet ein Kind“ herrschte er Ah-hotep an. „Ich gebe dir heute eine letzte Möglichkeit, mir einen Sohn zu gebären. Wenn ich siegreich aus Avaris zurückkehre, wird entweder sie oder du mir einen Thronfolger geboren haben. Bete zu Tawret und flehe Bes an, dass es endlich ein Sohn wird, sonst werde ich dafür sorgen, dass du verstoßen wirst.“
Ah-hotep versuchte, ihrem Mann und Bruder verständig zu machen, dass es allein im Willen der Götter lag, welchen Geschlechts ein Kind war und dass schließlich auch er deren weisen Ratschluss zu befolgen habe.
„Befolgen?“, schrie er wie von Sinnen. „Ich bin Pharao Seqen-en-Re der Starke und werde niemandem mehr folgen. Nicht einmal mehr den Göttern, außer Ah, der dafür sorgen wird, dass der Mond wieder über ganz Kemet strahlt.“
Ah-hotep nahm ihre kleine Tochter in den Arm und hielt sie schützend vor sich. „Du hast dein jüngstes Kind noch nicht einmal angesehen. Es ist gesund, es ist munter und wird uns allen viel Freude bereiten.“
„Leg es beiseite, Weib! Mag es zusehen, wie der zukünftige Pharao des wiedervereinten Kemet gezeugt wird. Und jetzt bück dich!“
Früh am Morgen des nächsten Tages stand der gesamte Hofstaat des Südpalastes auf den Kasematten und spähte zum anderen Ufer des Nils hinüber, wo der Kanal des Nilpferdteiches in den Fluss mündete. Es war ein ergreifendes Schauspiel, als Pharaos Schiff als erstes den Kanal verließ und die übrigen Schiffe sich eines nach dem anderen hinter ihm versammelten. Allein Ah-mose Inhapi winkte, die sich in eine hautenge Kalasiris gekleidet hatte, damit die noch sanfte Rundung ihres Bauches auch gut zur Geltung kam. Die übrigen Frauen und Männer des Palastes standen stumm und blickten auf den Nil hinunter, wo sich die Flotte unter dem Rhythmus der Trommelschläge langsam wie eine religiöse Prozession in Bewegung setzte, bald aber schon beträchtlich an Fahrt gewann und schließlich hinter der Biegung des Flusses vor Iunet verschwand.
Ah-hotep hatte mit Ka-moses und Murschilis Hilfe eine kleine Reitertruppe ausgesandt, die der Flotte an Land folgte. Sie sollte regelmäßig berittene Boten zurückschicken, damit man im Palast über den Fortgang des Kriegszugs informiert war. Am Abend des zweiten Tages traf der erste Bote ein. Er berichtete, dass die Flotte bereits tags zuvor unter dem nicht enden wollenden Jubel der Landbevölkerung Tjeni erreicht hatte, das als letzter sicherer Ort im Herrschaftsbereich Seqen-en-Res galt. Doch auch weiter flussabwärts wollte der Jubel nicht abreißen. Einige der Gaufürsten entlang des Nils huldigten Seqen-en-Re und begrüßten die Befreiung von der Fremdherrschaft. Die meisten jedoch ergriffen die Flucht nach Norden oder versteckten sich irgendwo im Hinterland, bis sie absehen konnten, für wen es geraten erschien, Partei zu ergreifen. Das einfache Volk jubelte den Befreiern jedoch nach wie vor zu.
Langsam breitete sich auch im Palast eine Art Siegestaumel aus. Nirgendwo hatte es bislang erwähnenswerten Widerstand gegeben. Pharao Seqen-en-Re der Starke war nilabwärts gefahren, als besuchte er seinen angestammten Herrschaftsbereich. Der Fürst von Sauti war geflohen und hatte Seqen-en-Re seine Stadt kampflos überlassen, sogar in Qus hatte man ihn jubelnd empfangen, was für Apopi ein empfindlicher Schlag gewesen sein dürfte, endeten dort doch wichtige Karawanenstraßen, von denen er nun abgeschnitten war. Als Seqen-en-Re Chemenu mit den nahe gelegenen Alabastersteinbrüchen erreichte, hatte es den ersten nennenswerten Widerstand gegeben. Neheri, der Fürst des Hasengaus, meinte gegenüber Apopi loyal bleiben zu müssen und schickte seine mit altertümlichen Waffen ausgestatteten Bauernkrieger aus. Pharao Seqen-en-Re der Starke ließ sie von seinen Streitwagen zermalmen. Unverhofft und umso dankbarer war die Stadt der Plünderung entgangen. Ah-hotep war jedoch augenblicklich klar, dass die wohlhabende Stadt nur deswegen die Brandschatzung erspart geblieben war, weil Pharao keine Zeit verlieren wollte und möglichst schnell so weit als möglich nach Norden vorrücken musste, bevor Apopi seine Truppen gesammelt hatte. Irgendwann einmal, so war Ah-hotep überzeugt, würde der Vorstoß leider zum Erliegen kommen. Noch aber waren sie und ihre Mutter die einzigen, die derartige Befürchtungen hegten. Das Volk jubelte sich in einen vorzeitigen Siegestaumel und selbst die hochgestellten Beamten waren nicht davor gefeit. Etliche von ihnen machten sich daran, den Kadaver bereits aufzuteilen, bevor das Wild überhaupt erlegt worden war. Seit Generationen verschüttete Herrschaftsansprüche tauchten ebenso überraschend auf, wie ein unbedingtes Überlegenheitsgefühl gegenüber den Menschen des Nordens, vor allem aber gegenüber den fremden Herrschern. Der Mond, so jubelte man, leuchtete strahlend über Kemet.
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