„Wird er überleben?“, fragte Apopi den Hauptmann.
„Er hat die Nacht überlebt. Also wird er die nächsten Tage auch überleben.“
„Oh, dann wird er aber ein zorniger Überlebender“, sagte Apopi mit einem eiskalten Ton in der Stimme. „Er wird toben vor Wut. Er wird dürsten nach Rache, doch er wird es niemandem sagen können, obwohl er es am liebsten laut herausschreien würde. Nein“, Apopi berührte Seqen-en-Res Gesicht mit seinem Fuß, „dieser Mund wird nie mehr schreien.“
„Dafür werden seine Arme aber wieder ein Schwert führen.“
Beide schwiegen. Dann sagte der Hauptmann: „Es sei denn …“
„Siehst du, genau dasselbe habe ich eben auch gedacht.“ Apopi starrte auf den Schwerverletzten. „Mach, dass er sich nicht mehr bewegen kann. Er kann alles hören, er kann mit dem einen Auge, das ihm blieb, alles sehen, er erinnert sich an alles, doch er kann nichts mehr tun. Versorge anschließend seine Wunden, damit er auch überlebt. Dann übergib ihn seinen Leuten. Der Süden wird einen Fürsten haben, der zu nichts mehr fähig ist, außer zu leiden. Regungslos wird er liegen und kann noch nicht einmal mehr Befehle geben. Er wird zu einem Fluch für sein Land, weil er, stumm und gelähmt, dessen Geschick nicht mehr lenken kann. Denn erst wenn ein Pharao stirbt, kann ihm der nächste nachfolgen. Doch wenn Seqen-en-Re der Starke tatsächlich über so viel Kraft verfügt, dass er seinen Namenszusatz verdient, dann wird er noch auf Jahre und Jahrzehnte hinaus in einem nutzlos gewordenen Haufen Fleisch und Knochen weiter leben.“ Apopi wandte sich zum Gehen. „Hauptmann! Lähme ihn!“
Es war nur ein kurzer, tiefer Stich in den Nacken. Doch ließ er Seqen-en-Res Glieder ein allerletztes Mal zucken. Luft röchelte aus seinem zerschlagenen Mund, die eigentlich zu einem Schrei hätte geformt werden sollen. Das Dunkel kam abermals über ihn und raubte ihm die Sinne.
Gegen Mittag wurde das Tor von Hut-nesu geöffnet und ein Ochsenkarren wurde hindurchgelassen. Stur trotteten die Ochsen immer geradeaus, bis sie die Linien der Angreifer erreicht hatten. Immer häufiger schauten Soldaten in den Wagen und liefen schließlich in heilloser Flucht davon.
„Es ist Pharao Seqen-en-Re Ah-mose! Wirklich, es ist Pharao!“
Alles schien in völliger Auflösung zu sein. Wer nicht gleich floh, rannte ziellos und laut jammernd umher. Erst als einer der Hauptleute in den Karren gesehen hatte, blieben einige stehen und kehrten um.
„Er lebt! Er lebt! Pharao Seqen-en-Re Qeni, der Starke, er lebt!“
Man hatte sogar seine Wunden versorgt, wie man schnell feststellte, Gesicht und Nacken verbunden und ihn gewaschen. Seine Unterarme waren grotesk angewinkelt, als wolle er einen Ball auffangen. Doch seine Finger waren zu Klauen verkrampft, die nichts würden halten können. Sein rechtes Auge, das von keinem Verband verdeckt war, starrte voller Angst und Wut in die Runde.
Ja, Pharao lebte. Und man musste ihn so schnell wie möglich nach Hause bringen.
Schneller als der Wind hatte sich die Nachricht verbreitet. Zuerst erreichte sie Menat-Chufu, wo die Belagerung sofort abgebrochen wurde. Lange bevor die Truppen aus Hut-nesu mit Pharao zu den dort zurückgebliebenen fünf Schiffen gestoßen waren, hatte man auch schon in Neferusi davon erfahren. Ka-mose fuhr mit seinem Streitwagen am Ufer des Nils flussabwärts, seinem verletzten Bruder entgegen. Die Nachricht lief inzwischen weiter flussaufwärts. In Chemenu, das so glücklich über die Verschonung vor der Plünderung gewesen war, erinnerte man sich seiner 847 Söhne, die von Pharao Seqen-en-Res Streitwagen niedergewalzt worden waren. Gerade als die kleine, dort verbliebene Garnison überlegte, ob sie aufgeben solle, traf der Truppenrückzug mit dem zu Tode verletzten Pharao ein. Da hatte die Nachricht längst schon Qus passiert und den Fürsten von Sauti dazu veranlasst, noch ein paar Wochen länger an dem sicheren Ort zu bleiben, wohin er sich zurückgezogen hatte. Vier Tage bevor der Tross Sedjefa-taui erreichte, waren Teti-scheri und Ah-hotep im Bilde.
Tatsächlich - Pharao lebte. Kaum in Sedjefa-taui angekommen, wurde er von Bord gebracht und in den Palast getragen. Um ein Wundliegen zu vermeiden, hatte man ihn auf weiche Kissen gebettet, in denen er regelrecht versank. Nur die beiden verkrampften Hände ragten über den Rand der Trage wie kahle Äste eines toten Baumes in den Himmel. Wer sie sah, erschrak sich zu Tode.
Im Palast wurde Pharao, wie es sich gehörte, im Thronsaal aufgebahrt, war es doch der angemessene Platz, den ihm niemand streitig machen wollte. Teti-scheri weinte, als sie ihren Sohn dort liegen sah, den verbundenen Kopf auf dem Kissen, die Hände in die Luft gereckt, als ob sie einen Schrei gestisch wiedergeben wollten. Seqen-en-Re blickte mit dem rechten Auge wild um sich, hilflos ausgeliefert. Sogleich sollten die Ärzte sich um ihn kümmern. Doch sie meinten, sie könnten lediglich dafür sorgen, dass Pharaos Wunden sauber verheilten. Es sei verwunderlich genug, dass er den zerstörerischen Schlag auf seine linke Gesichtshälfte überhaupt überlebt hatte. Und auch den tiefen, zerstörerischen Stich in den Nacken, konnten sie nicht ungeschehen machen.
Sat-djehuti und Ah-mose Inhapi schluchzten laut auf, als sie ihren Ehemann vor sich liegen sahen. Man konnte ihnen ansehen, wie sehr sie sich vor dem hilflos Geifernden ekelten, dessen Arme wie tote Äste in die Luft ragten und der sie mit seinem weit aufgerissenen Auge anstarrte. In ihren Gesichtern war deutlich die Furcht zu lesen, ihm eines Tages wieder zu Diensten sein zu müssen. Nur Ah-hotep unterdrückte ihren Schreck und versuchte, mit ihm zu reden. So widerwärtig ihr der Bruder auch oft genug gewesen war, so sehr dauerte er sie nun, für den Rest seines Lebens dazu verdammt, in einem bewegungslosen Körper zu stecken. Doch sein rechtes Auge hatte jenen Blick, den Ah-hotep von Kind auf kannte. Ihr Bruder, von schmerzlindernden Trünken benommen, hatte noch immer nicht verstanden, wie sein Leben in Zukunft aussehen würde.
Doch er verstand es schon recht bald. Ah-hotep konnte den Augenblick der Erkenntnis in seinem Auge ablesen. Sie hatte ihm ihren dicken Bauch gezeigt und Seqen-en-Re dämmerte es, dass er kein weiteres Kind mehr würde zeugen können. Von da an war nur noch Hass und Wut in seinem Blick.
Erleichterung fand Ah-hotep zunächst nur in der Tatsache, dass Apopi die Fliehenden nicht verfolgt hatte. Auch plante er keinen Rachefeldzug - zumindest nicht in unmittelbarer Zukunft. Ka-mose hatte die meisten der Soldaten mit bewundernswerter Stärke und Umsicht zurück nach Hause gebracht. Etwa ein Viertel war desertiert, ein weiteres Viertel gefallen. Die heimgekehrte Hälfte war nur wegen des Vorbildes, das sie in dem jüngeren Bruder Pharaos hatte, sowie wegen seiner überzeugenden Worte bei der Truppe geblieben. Ka-mose war gerade einmal achtzehn Jahre alt und wusste dennoch, seine Krieger wie ein Vater zu beruhigen. Seine Streitwagenmacht war glücklicherweise ohne allzu große Verluste erhalten geblieben, ebenso wie die Schiffe, die allesamt, bis auf eines, zurückgekehrt waren. Ah-hotep schämte sich fast dafür, weil sie erleichtert aufgeseufzt hatte, als sie davon erfuhr. Doch es hatte sie über lange Jahre derart viele Mühen gekostet, das Holz für die Flotte beizubringen, dass sie froh war, sie nahezu unbeschädigt zurückbekommen zu haben. Jener Teil der Truppe, der Hut-nesu belagert hatte, war jedoch entwaffnet worden. Der Schatzmeister hatte nichts Besseres zu tun, als Ah-hotep vorzurechnen, wie hoch der Schaden war. Die Waffenschmiede des Südens würden auf Jahre hinaus beschäftigt sein, um die verlustig gegangenen Waffen zu ersetzen.
Pharaos Wunden heilten, doch an seinem Zustand änderte sich nichts. Sein rechtes Auge rollte wild hin und her und man hoffte, erahnen zu können, was er damit ausdrücken wollte. Geduldig versuchte Ah-hotep, irgendwelche Zeichen mit ihrem Gemahl abzusprechen. Ein Rollen des Auges auf und ab sollte ein Ja, von links nach rechts ein Nein bedeuten. Manchmal klappte es sogar, dass sie ihn verstand. Meistes jedoch nicht. Dann konnte sie nur noch mehr Wut und Hass in Seqen-en-Res Blick sehen.
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