Zuerst ließ Ah-hotep die königlichen Fanfarenbläser aufmarschieren, die mit den dumpfen, eindringlichen Tönen ihrer Posaunen die Luft zum Vibrieren brachten. Es waren übermächtige Töne, die diese Demonstration der Macht einleiteten. Dann erschien Pharao auf seinem Streitwagen aus Elektron, die Blaue Krone auf dem Kopf. Ah-hotep folgte ihm auf einem bunt bemalten, aber nicht weniger prächtigen Streitwagen, der von Murschili gelenkt wurde, hielt sie doch das Neugeborene in ihren Armen. Seqen-en-Re war zunächst überhaupt nicht einverstanden gewesen, dass es der Hethiter sein sollte, der den Wagen der Großen königlichen Gemahlin steuerte. Da er aber keine offizielle Stellung innehatte, die es ihm erlaubt hätte, an der Parade teilzunehmen, bestand Ah-hotep darauf, dass er es war, der ihren Wagen lenkte. Ebenso wie ihre Mutter Teti-scheri war sie nämlich der Meinung, dass man Murschili, der soviel zum Erfolg der Truppenausbildung beigetragen hatte, eine derartige Ehrung schuldig war. Pharao hatte schließlich nachgegeben, da ihn derlei Schnickschnack, wie er es nannte, eigentlich weniger interessierte. Ihm war einzig und allein daran gelegen, die Macht und Unbesiegbarkeit seiner Soldaten eindrucksvoll in Szene zu setzen.
Obwohl Ah-hotep große Aufmerksamkeit darauf verwendet hatte, die Straßen Wasets sauber und aufgeräumt erscheinen zu lassen, wirbelten allein die einhundertsechzig Streitwagen, die vorneweg fuhren, Unmengen von Staub auf. Es war sprichwörtlich atemberaubend. Das Volk hörte das Donnern der Räder, das Prasseln der Hufe und jubelte. Es schrie sich in eine bis dahin kaum gekannte Ekstase der Macht und Überlegenheit. Wer sollte Pharao Seqen-en-Re den Starken noch bezwingen können? Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die mehr als sechstausend prächtig ausgerüsteten Fußsoldaten vorbeidefiliert waren. Ihre Waffen und Rüstungen blitzten in der Sonne und das Stampfen ihrer Füße brachte die Mauern zum Erbeben. Die Augen zahlloser Mütter und Väter suchten unter ihnen nach den Söhnen, Männer und Frauen nach ihren Brüdern, Kinder nach den Onkeln und etliche Bauernmädchen fielen seufzend in Ohnmacht, als sie ihren Meri inmitten dieser unbezwingbaren Streitmacht entdeckten. Der Jubel muss bis hinunter nach Avaris geklungen haben, dessen war sich jeder sicher.
Pharao Seqen-en-Re war überaus zufrieden mit der Wirkung, welche die Zurschaustellung seiner militärischen Schlagkraft erzielt hatte. Die erste spürbare Folge war, dass die Unruhen an der Grenze zum elenden Kusch augenblicklich aufhörten. Aus Angst vor einer möglichen Vergeltung hatten sich die Unruhestifter bis weit nach Nubien hinein zurückgezogen und hielten erst einmal still. Sehr viel wichtiger war jedoch, dass das Volk nun restlos davon überzeugt war, dass Pharaos Armee jeden, auch noch so mächtigen Feind würde schlagen können. Keiner würde es wagen, die Grenzen des südlichen Reiches ungebeten zu übertreten, würden die Truppen Pharaos doch wie der Sturmwind über ihn hinwegfegen.
Auch User-Month war sichtlich beeindruckt. Natürlich hatte man in Avaris schon längst vermutet, dass der Süden aufrüstete. Dass man dort aber inzwischen über eine derart schlagkräftige Streitwagentruppe verfügte sowie über Bogenschützen, deren Kriegsgerät, was Durchschlagskraft und Reichweite betraf, offensichtlich jenem des Nordens keinesfalls unterlegen war, sorgte bei einigen Beobachtern für einen regelrechten Schock. Ah-hotep stattete ihrer alten Tante Sat-anjotef einen kurzen Höflichkeitsbesuch ab, bei dem sie die Gelegenheit hatte, auch ein paar Worte mit User-Month zu wechseln. Er verehrte die Große königliche Gemahlin, deren Schönheit und Klugheit er über alle Maßen bewunderte. Ah-hotep wusste dies und gönnte ihm die Gelegenheit, sich an ihrer Gegenwart zu erfreuen. Sie bat ihn in den Schattentempel inmitten des für Sat-anjotef abgeteilten Bereichs des weitläufigen Palastgartens, wo sie ungestört unter vier Augen reden konnten und rechtzeitig darauf aufmerksam würden, wenn sich jemand näherte.
Nachdem man gegenseitig zum Ausdruck gebracht hatte, wie wohl der jeweils andere aussah, teilte Ah-hotep ihrem Gegenüber mit, dass Apopi keinerlei Bedenken haben musste, dass Pharaos Streitkräfte sich gegen ihn wenden könnten. Galt die Abschreckung doch den Aggressoren aus dem elenden Kusch, die sich bereits feige in ihre Löcher verkrochen hatten. Nun, ließ User-Month sie wissen, Apopi wäre mit Gewissheit nicht erfreut, davon zu hören. Direkt bedroht würde er sich jedoch keineswegs fühlen, da seine Ohren überall waren und er schon Wochen vorher erfahren würde, wenn eine derart große Armee den langen Marsch in den Norden unternahm. Es sei denn, so User-Month, die Armee verfügte über Mittel und Wege, schneller ans Ziel zu gelangen.
„Wie du gesehen hast, sind ihnen keine Flügel gewachsen“, scherzte Ah-hotep.
„Aber vielleicht Schwimmhäute“, entgegnete User-Month und sah ihr fragend ins Gesicht.
„Du hörst zu sehr auf die Gerüchte der Bewohner von Waset. Was wird nicht alles behauptet. Die Soldaten würden mit Menschenfleisch gefüttert und paarten sich mit Nilpferden. Nein, es wäre uns sehr daran gelegen, wenn Apopi sich nicht beunruhigte. Ist er nicht noch immer dabei, den Palast in Avaris auszuschmücken? Lass ihn wissen, dass die Steinbrüche im Wadi Hammamat zu seiner Verfügung stehen.“
„Zunächst wird er wohl weniger Interesse daran haben, ist er doch zur Zeit vor allem damit beschäftigt, die frechen Überfälle einiger libyscher Stämme abzuwehren, die immer wieder marodierend einfallen.“
„Oh, schrecklich diese Wilden. Bei uns sind es die Nubier, die ständig Schwierigkeiten machen. Wegen ihnen hat Pharao schließlich auch die Armee aufstellen lassen.“
„Apopi wird keinesfalls erfreut sein, wenn er davon hört“, sagte User-Month und sah Ah-hotep fragend an.
„Es ist, wie es ist“, entgegnete sie und zuckte mit den Schultern. „Auch wir müssen uns in die Lage versetzten, uns gegen freche Räubereien verteidigen zu können. Es wäre besser, Apopi gewöhnte sich daran. Lass es ihn wissen.“
User-Month reiste am nächsten Morgen ab. Und Ah-hotep war sicher, dass er in Men-nefer nur einen kurzen Halt einlegen würde, um seinen Bruder ins Bild zu setzen, aber bald schon nach Avaris weiterreisen würde. So geschah es dann auch.
Die Feiern zur Erhebung der jüngsten Tochter Pharao Seqen-en-Res zur Großen königlichen Gemahlin eines noch zu zeugenden Sohnes schienen kein Ende nehmen zu wollen. Es lag freilich weniger an der Freude über das Neugeborene, als vielmehr an der überraschenden Darbietung königlicher Macht, die schließlich auch ein Wiedersehen mit den lange verschollenen Söhnen und Brüdern gebracht hatte, die während der Zeit der geheimen Ausbildung verschwunden waren. Schon allein deshalb waren die Menschen überglücklich. Wie lange schon hatte Kemet keine derartige Armee mehr besessen, wie sie hinter Pharao und seiner Großen königlichen Gemahlin hermarschiert war? Wer würde es nun noch wagen, sich gegen den Willen Seqen-en-Res des Starken zu stellen? Das Volk war trunken vor Glück, hatte ihnen Pharao doch das Gefühl zurückgegeben, den frechen Fremden im Norden ebenbürtig zu sein und ihnen endlich die Stirn bieten zu können. Ja, je mehr Bier floss, desto selbstsicherer wurde die Einschätzung, wie mit den Gegnern seiner Majestät zu verfahren sei. Die Wände der Häuser von Waset zierten über Nacht Darstellungen des Königs, der seine Feinde bei den Haaren packte, um ihnen den Schädel einzuschlagen. Auf der ersten Zeichnung an der Wand des Hauses von Neferu-Re waren es noch fünf Feinde, denen Pharao den Schädel einschlug, auf jener Amun-em-hets bereits fünfzehn und auf der Villa des Bürgermeisters Hepu, konnte man dreißig grässlich anzuschauende Asiaten sehen, die Pharao beim Schopf gepackt hatte.
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