»Du hast mir heute gerade noch gefehlt, Kocke.« Bernd Meitoschat empfing seinen Freund mit einem leichten Klaps auf der Schulter. »Cindy hat sich diese Woche frei genommen. Na ja, du weißt, wegen ihrer Mutter. Da brennt es hier soundso schon an allen Ecken und Kanten. Wetten, dass ich das nicht lange durchhalte?«
»Oh, komm«, stöhnte Moritz, »versuch mal, ohne das Wort Wetten auszukommen.«
Bernd Meitoschat forderte, mit einer kurzen Handbewegung, seinen Freund auf Platz zu nehmen. Der sechsunddreißigjährige Literatur-Agent, mit dem dunkelblonden Haar, sowie dem unverkennbaren Bauchansatz, zwang sich in den viel zu kleinen Sessel hinter dem Schreibtisch. Sein Hemd über dem Bauch spannte sich hierbei angsteinflößend. Moritz befürchtete, dass die Knöpfe jeden Augenblick wie Geschosse in alle Richtungen durch das Zimmer sausen könnten.
»Was ist, Kocke, hast du keine Manuskripte dabei?«
»Deswegen bin ich ja hier. Einige hatte ich dir zur Durchsicht geschickt. Ein paar andere liegen bei mir noch zu Hause herum. Und zwei Originale hat der Kadi vorhin im Büro vor versammelter Mannschaft vorgelesen.« Moritz erzählte ihm von dem Vorfall, der sich heute Morgen ereignete.
»Mit Kadi meinst du den Richter, deinen Chef?«
»Weißt du doch, Bernd. Der Ausdruck ist unverfänglicher als sein richtiger Name. Und der Kadi ist schließlich ein Richter in islamischen Ländern, also …«
»Mir wäre es lieber, wenn du deine Manuskripte nicht auf Raten einreichst. Du bekommst von mir eine Aufstellung von den Ausarbeitungen, die schon vorhanden sind.« Bei diesen Worten räkelte sich Bernd Meitoschat genüsslich in seinem kleinen Sessel. Die Hände verschränkte er hinter dem Kopf.
Moritz hoffte nur, dass die Knöpfe an dem Hemd wenigstens solange halten, bis er das Büro wieder verließ. »Hast du nicht mal was von einer Diät erzählt?«, fragte er nachdenklich.
Bernd Meitoschat sah seinen Freund mit besorgter Miene an. Dann klatschte er die Hände wohltuend auf den Bauch. »Mücken-Allergie«, sprach er.
»Du hast eine Mücken-Allergie?«, staunte Moritz. »Davon hast du mir nie etwas erzählt.«
»Vor Jahren hat mich mal eine Mücke in den Bauch gestochen. Die Schwellung ist bis heute nicht zurückgegangen.«
Moritz verzog die Mundwinkel, schwieg aber.
Der Literatur-Agent beugte sich wieder nach vorn. »Ich hätte dich im Laufe des Tages angerufen. Wir müssen unbedingt miteinander sprechen …«
»Wegen der Gedichte? Hast du endlich einen Verleger gefunden?« Die Augen von Moritz glänzten vor Erregung.
Bernd kniff die Lippen zusammen, wiegte den Kopf kaum merklich hin und her. »Nein, das ist es nicht.« Man merkte ihm an, wie schwer es ihm fiel, die wahren Worte zu finden. »Mensch, Kocke, wir haben doch bereits tausend Mal darüber gesprochen. Was meinst du, wie viel Leute heute Dichten und beabsichtigen ihre Geistesblitze zu veröffentlichen? Die Verlage werden täglich mit solchen Sachen überschüttet. Wer in den Verlagshäusern hat die Möglichkeit sich das alles durchzulesen, was da auf den Tisch kommt?«
»In Ordnung, in Ordnung«, unterbrach Moritz ihn. »Das habe ich verstanden. Aber schließlich laufen meine Manuskripte über dich. Du kennst die Kniffe und Tricks, damit sich die Lektoren die Skripts ansehen. Außerdem hast du nützliche Beziehungen.«
Bernd Meitoschat stöhnte laut. »Glaubst du ernsthaft, dass jemand von denen ein Buch veröffentlicht, nur weil ich denjenigen näher kenne? Unabhängig von den Verkaufsaussichten? Mach dir doch nichts vor, Kocke. So klappt das nicht. Vielleicht hast du Glück. Möglicherweise hast du wirklich irgendwann einmal Dusel. Selbst, wenn du mich noch so mit deinen poetischen Werken zuschüttest, die Erfolgsaussichten werden dadurch nicht besser. Es tut mir leid, wenn ich dir das mal wieder so klar ins Gedächtnis zurückrufe. Aber manchmal ist das bei dir nötig.«
»Ich bleibe bei meiner Meinung«, sprach Moritz fest entschlossen. »Hast du es denn bereits mal ernsthaft probiert?«
Laut stöhnend, dabei die Augen verdrehend, kam die genervte Antwort. »Wetten, dass …«
»Ohne Wetten, Bernd.«
»Ich hatte die Absicht, mit dir über was anderes zu sprechen.« Die Augen des sechsunddreißigjährigen Literatur-Agenten taktierten Moritz vorsichtig. »Du erinnerst dich, wie du hier vor zehn Jahren, kurz nach meiner Büro-Eröffnung, hereinspaziert kamst und mir deine Gedichte angeboten hast? – Prima! – Du erinnerst dich hoffentlich ebenso daran, dass ich dir empfahl, den Schwerpunkt der Schreiberei auf ein neues Gebiet der Literatur zu lenken? – Gut! – doch du warst bockig. Schreiben über was anderes, kommt für dich nicht in Frage, hast du gesagt.«
»Stimmt! Ich genieße zwar das Romantische im Gedicht, aber deswegen bin ich noch lange kein Autor für Liebesromane oder Ähnlichem.«
»Hast du es denn schon mal probiert?«
»Ich interessiere mich nicht dafür, Bernd. Mir ist nicht möglich etwas zu Papier zu bringen, wofür ich kein Interesse aufbringe.«
»Richtig! Aber es hat auch niemand von dir verlangt, Liebesromane zu schreiben, oder?!«
»Auf was läuft das Gespräch hinaus?«
»Hast du es schon mal mit Krimis probiert? Schließlich sitzt du an der Quelle. Du bist der geeignete Kandidat hierfür. Während deine Krimi-Kollegen ausgiebig recherchieren, flutscht es dir nur so aus der Feder heraus.«
»Bist du etwa der Meinung, was da täglich über die Leinwand und den Bildschirm flimmert, hat auch nur im Entferntesten was mit normaler Polizeiarbeit zu tun?« Moritz sah ihn fragend an. »Wenn du wüsstest, wie nervtötend mir diese Routinearbeit manchmal vorkommt.«
»Aber einen Kurzkrimi hast du damals geschrieben. Erinnerst du dich?«
»Natürlich habe ich das noch in Erinnerung. Du hast mich deswegen lange genug bedrängt. Und was ist damit passiert? Hast du ihn verkauft?«
»Nein, leider. Aber das ist kein Qualitätsurteil. Auf diesem Gebiet ist der Markt ebenfalls überlaufen. Viele Verlage arbeiten mit Haus-Autoren. Da hat man kaum eine Chance, selbst wenn du ausgezeichnete Ware ablieferst. Zumindest dauert es ziemlich lange, bis es da zum Erfolg kommt. Ich beabsichtige nicht, dich vollends zu entmutigen.«
»Plantest du, mich deswegen anzurufen?«
»Ja und nein. Ich bin der Meinung, wenn du in deiner Materie bleibst, wäre das eine vortreffliche Sache. Also, die Kenntnisse aus dem polizeilichen Alltag leserhaft aufarbeiten.«
»Was heißt das übersetzt?«
»Na ja, eben der täglichen Routine den nötigen Kick zu geben, damit das Ganze mitreißend wirkt. Das Motiv einer Straftat fesselnd darstellen. Die Story professionell aufbauen: Prämisse, Hauptfigur, Konflikt. All der Kram, über den wir damals gesprochen haben.« Bernd Meitoschat bekräftigte seine Worte mit entsprechenden Handbewegungen.
»Das Ja hast du erklärt. Und nun das Nein .«
» Nein , weil ich dir nicht nur das Aufschreiben von Kurzkrimis ans Herz lege, sondern etwas anderes.«
»Und das wäre?«
»Verfasse ein Drehbuch!«
Sekundenlanges Schweigen.
»Wie bitte? Wiederhole das noch mal.«
»Na, ein Drehbuch schreiben. Keine Angst, das bekommst du hin.«
»Mensch Bernd, das wäre absolutes Neuland für mich. Ich habe so ein Textbuch noch nicht einmal in den Händen gehalten.«
»Immer langsam mit den jungen Pferden, mein Lieber. Eine klassische Drehbuch-Schule, wie du sie dir möglicherweise vorstellst, die gibt es nicht. Na ja, das Drehbuchschreiben ist oft nur Teil einer anderen Ausbildung. Die meisten Drehbuchautoren sind Autodidakten. Oder hast du für dein Gedichteschreiben Philosophie studiert? – Na, siehst du! Das Handwerkszeug dazu findest du im Internet. Da gibt es kostenfreie Programme, für das Drehbuchschreiben. Ein bisschen Training und Fleiß und dann bekommst du das auf die Reihe. Da bin ich mir sicher. Du benötigst zum Schreiben Kenntnisse, um Dialoge zu formulieren. Das weiß ich, dass du das beherrschst. Eine Szene, ein Blatt, eine Minute. Der Plot innerhalb der ersten zehn Minuten. Und wie beim Krimischreiben ebenfalls, die Story kurz vor dem Ende kippen. Das ganze gegen den Strich dramatisieren. Du siehst, das Wichtigste habe ich dir in wenigen Sätzen erklärt.«
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