»Ja, ja«, sprach Cindy, »und was geschah dann?«
»Ihre Augen sahen so leer aus. Irgendwie blass. Um im Vorfeld gleich zu klären woran ich war, habe ich mich umgesehen, ob es irgendwo alkoholische Getränke gab …«
»Sie nahmen an, dass die Frau alkoholisiert war?«, unterbrach Cindy ihn.
»Es war nicht auszuschließen. Trunkenheit war immer wieder ein Grund für Einsätze, die aber mit einer anderen Meldung im Revier eingingen. Nein, diese Frau sah nur so aus. Ihre Augen waren leer, sahen durch einen förmlich hindurch. So, als hätte sie ein Narkotikum genommen.«
»Ein Rauschmittel, Rauschgift, Kokain oder was auch immer?« Cindy sah ihn fragend an.
»Ich hatte nicht die Zeit, intensiv darüber nachzudenken. Trotz ihres mitgenommenen Zustandes gab sie mir gleich Anweisungen …«
»Anweisungen?«
»Sie sagte, dass sie vor kurzem aus Spanien zurückgekommen sei. Dort hatte sie einige Jahre gearbeitet. Dann hatte sie die Absicht, wieder in ihrer Heimat zu leben. Ihr Kind wäre tagsüber in einer Kindertagesstätte. Allerdings müsse sie sich operieren lassen. Und das schneller, als sie es vorhatte. Die Operation war für die nächsten Tage vorgesehen. Der Tag davor war für die Aufnahme im Klinikum geplant. Sie nahm Kontakt mit dem Kinderheim auf und regelte alles Notwendige. Das Jugendamt erhielt ebenfalls eine Information. Für die Zeit ihres Aufenthaltes im Krankenhaus brachte sie ihre Tochter ins Waisenhaus. Und auch noch für eine gewisse danach, bis sie wieder ganz gesund wäre. Familienangehörige, Bekannte oder Freunde hatte sie nicht, die sich um das Kind möglicherweise kümmerten. Somit hatte sie im Vorfeld alles geregelt. Plötzlich verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch, sagte sie. Deshalb wählte sie den Notruf der Polizei.«
»Warum rief sie keinen Notarzt?«, sah Moritz ihn fragend an.
»Das habe ich sie ebenfalls gefragt«, sprach der Polizist. »Sie fürchtete, dass ihr Kind allein in der Wohnung zurückbleiben würde. Vielleicht nahm sie an, dass die Kleine sich verängstigt irgendwo im Zimmer versteckte, ohne dass dies der Notarzt oder die Rettungssanitäter bemerkten.«
»Hmm …«, drang es aus Moritz heraus.
»Dann fiel mir ein Pilotenkoffer unter dem Tisch auf. Die beiden Verschlüsse waren nach außen gebogen. Hierdurch war es möglich einzelne kleine Verpackungen zu erkennen: Medikamente. Sie bemerkte meinen Blick und erklärte, dass sie Pharma-Referentin sei. Die Worte drangen nur bruchstückhaft aus ihr heraus. Ich habe sofort einen Notarzt angefordert. Bis der Wagen da war, stammelte sie immer wieder irgendwelche Wörter oder Begriffe. Aus meiner Sicht schwer verständlich und zusammenhangslos. Sie befürchtete wahrscheinlich, dass es ihre letzte Nacht sein würde.«
»Erinnern Sie sich daran, was sie da stammelte?« Besorgt sah Cindy den Polizisten in die Augen. »Teilte sie mit, woran sie erkrankt war?«
»Über ihre Krankheit äußerte sie sich nicht. Darüber brauchte sie mich nicht unterrichten. Vielleicht hätte ich es gar nicht verstanden, wenn sie mir davon was mitteilte. Ihre Worte waren lückenhaft. Mal laut, mal leise gesprochen. In meinen Augen sprach sie nur wirr. Der Himmel habe ihr einen Engel gesendet, der sie nun holte. Jedenfalls war ich der Meinung, das verstanden zu haben. Kurz darauf kam der Notarzt und hat sie mitgenommen. Und die Kleine«, bei diesen Worten sah er vorsichtig zu Cindy hinüber, »habe ich ins Kinderheim gebracht.«
Cindys Stirn legte sich in Falten. »Meine Mutter sprach von einem Engel, den ihr der Himmel sendete? Komisch und ich träumte früher davon, dass mir Sterne auf den Kopf fielen.«
»Siehst du da einen Zusammenhang?«, fragte Moritz seine Freundin.
Sie sah ihn nur wortlos an und zuckte mit den Achseln.
Einige Sekunden herrschte absolute Ruhe im Raum. Dann sprach der Polizist weiter. »Wenn ich mich recht erinnere, ist Frau Trondberg noch in derselben Nacht gestorben.«
»Wo wurde sie begraben?«, fragte Cindy.
»Keine Ahnung. Das war für unsere Ermittlungen nicht wichtig. Wahrscheinlich, wie in solchen Fällen üblich, wurde sie anonym auf irgendeinem Friedhof beerdigt.«
»Und wurde weiter ermittelt?« Moritz’ Augenbrauen schoben sich wissbegierig nach oben.
»Na ja, es lagen nur die Aussagen der Leiterin vom Kinderheim vor, die ihr Frau Trondberg mitteilte. Das hatten wir zu überprüfen.«
»Und was wurde im Einzelnen ermittelt?«
»Frau Trondberg hatte als Geburtsort, für ihre Tochter, Spanien angegeben. Almeria, in Spanien.«
»Und?«, hakte Cindy nach.
»In dem Krankenhaus, in Almeria, gab es damals einen Brand. Ich erinnere mich noch, wie das durch die Presse geisterte. Es war nicht so dramatisch, wie es dargestellt wurde. Der Schaden vom Feuer bezog sich auf ein Nebengebäude, in dem nur Akten gelagert wurden. Damals wurde fast ausschließlich mit Papier archiviert. Unsere Ermittlungen betraf es, weil die Geburtsunterlagen, vom Kind von Frau Trondberg, betroffen waren. Die Unterlagen fielen dem Feuer zum Opfer. Somit hatten wir nur die Aussage der Leiterin vom Kinderheim. Und die hatte ihre Information von Frau Trondberg.«
Moritz hakte nach. »Und die anderen Behörden in Spanien? Vielleicht ein Kinderarzt, der das Kind behandelte?«
Der Polizist schüttelte den Kopf. »Auch die Aussage der Mutter von der Kleinen«, er warf einen kurzen Blick zu Cindy hinüber, »der Himmel habe ihr einen Engel gesendet, sprach sie sicherlich in verwirrtem Zustand. Trotzdem sind wir der Sache nachgegangen.«
»Und wie?«
»Wir haben in Spanien und im angrenzenden Ausland angefragt, ob es irgendwelche Auffälligkeiten mit Kleinkindern gab. Ausgesetzt, entführt, geraubt, verschleppt, verloren gegangen oder was auch immer. Die Antwort war gleich null. Ebenso hier bei uns: nichts. Niemand vermisste ein Kind. Gut, wirklich erwartet hatten wir das nicht. Aber wir nahmen uns vor, alles auszuschließen.«
»Was war mit meinem Vater?«
»Da haben wir nur die Informationen, die Ihre leibliche Mutter der Heimleiterin mitteilte.« Der Polizist presste die Lippen zusammen, dabei legte er den Kopf zur Seite.
Cindy verstand diese Geste. »Ich weiß, vielleicht wusste mein Vater gar nicht, dass er Mutter geschwängert hat. Ist doch so, oder?! Wahrscheinlich war das der Grund, dass sie wieder in ihre Heimat zurückwollte.«
Der Polizist räusperte sich. »Der Grund für ihre Rückkehr war möglicherweise ein anderer«, erklärte er. »Ihre leibliche Mutter war, als Handelsvertreterin, selbstständig. Ihr war es möglich, mehr oder minder, das Arbeitsgebiet aussuchen. Ausland oder Inland. Und ihre persönlichen Daten, Ehemann, Kind und was auch immer, interessierte keine der Firmen für die sie arbeitete. Wir haben damals selbstverständlich recherchiert. Bei dem Unternehmen, das den Hauptteil ihres Einkommens ausmachte. Ihre Mutter ahnte vermutlich, dass sie nicht mehr lange leben würde. Wenn schon sterben, dann in der Heimat. Als Pharma-Referentin hatte sie schließlich Zugriff auf einige Medikamente. Eben diese Arzneimittel, die sie für ihre Krankheit benötigte. Ihr Medizin-Studium hatte sie zwar nicht abgeschlossen, aber um ihre Erkrankung zu behandeln, reichten diese Kenntnisse aus.«
»Warum wurde sie dann mit mir schwanger?«
»Keine Ahnung. Vielleicht war ihr nach einem Erben. Oder sie beabsichtigte gar nicht …«
»Das klären wie beim nächsten Mal«, unterbrach Moritz schroff die Unterhaltung.
Gleich darauf sahen sich die beiden anderen schweigend an.
»Jetzt sind Sie über alles informiert«, stellte der Polizeibeamte schließlich fest. »Ich staune, an was ich mich in diesem Fall tatsächlich erinnere. Und bin überrascht, was mir eingefallen ist. Immerhin liegt das schon eine Ewigkeit zurück.« Dann sah er Cindy lächelnd an. »Vielleicht fällt Ihnen später etwas ein, was Ihre Aufmerksamkeit weckt. Keine Scheu, melden Sie sich bei mir. Für den Fall, dass eine weitere Frage auftaucht, die es zu klären gilt, bin ich für Sie da.«
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