„Nein“, gab sie zu, „es ist nur ...“ Sie suchte nach Worten, doch nicht aus Verlegenheit, sondern im Bemühen, sich verständlich auszudrücken. „Also, sieh mal, es ist doch so, dass sich starkes sexuelles Begehren auf jedes beliebige Objekt des anderen Geschlechts richten kann ... wie einer eurer Klassiker sagt: ... sieht Helene in jedem Weibe ... dabei geht es um Stillung eines Bedürfnisses, nicht um Partnerschaft. Ich finde, das ist ein großer Unterschied, der an die Achtung vor der Persönlichkeit rührt.“
Das klang recht lehrbuchhaft, als habe sie noch kein tieferes Erlebnis gehabt, beschäftige sich aber mit Wunschvorstellungen, begreiflich in ihrem Alter. Es reizte ihn, ihr vorzuhalten, dass die Dinge nicht ganz so einfach lägen.
„Gewiss, das lässt sich nicht abstreiten. Nur steht eben mehr oder weniger bewusstes Begehren am Anfang jeder Liebesbeziehung, und niemand weiß vorher, wie viel der andere zu geben in der Lage ist. Es ändert auch nichts, wenn man es wüsste. Wo Gefühle im Spiel sind, hängt es nur von deren Stärke ab, ob sie den Verstand überrennen, selbst wenn beiden klar ist, dass es eine Episode bleiben kann. Das macht die in jedem Menschen schlummernde Sehnsucht nach Glück, denke ich mir. Währt es nur kurz, bleibt sicher Bitterkeit zurück, das Gefühl, um das volle Maß an Glück betrogen worden zu sein, doch weitaus quälender ist ungestillte Sehnsucht, glaub mir, besonders, wenn man sich vorwerfen muss, aus Zaghaftigkeit, aus Furcht vor Tadel oder was weiß ich, auf dieses Minimum an Glückserfüllung verzichtet zu haben. Das klingt vielleicht nicht sehr moralisch, ist aber eine Erfahrung, die schon viele machen mussten, wie der Platz beweist, den sie in der Kunst einnimmt.“
Er blickte sie unsicher an, befürchtend, zu weit gegangen zu sein. Jede halbwegs erfahrene Frau sähe darin ein kaum verhülltes Angebot; das war es natürlich auch, obwohl unbeabsichtigt im Moment.
Zu seiner Erleichterung schien sie es nicht so empfunden zu haben. Sie erwiderte unbefangen, sie fände seine Ansicht interessant, obgleich ziemlich subjektiv, aber diskutierenswert. Denn sicher ... im Einzelfall ... besonders in Europa ... doch vielleicht könne es sich auch um ein allgemein-menschliches Problem handeln, dem man sich nur nicht überall in gleich offener Weise stelle. Jedenfalls mache es ihr Mut, ihn etwas zu fragen, was eigentlich ungehörig sei, sie aber sehr beschäftige.
Sie neigte den Kopf noch ein wenig schräger und suchte seinen Blick, als wolle sie in ihm lesen. Dabei errötete sie wieder.
„Sag ehrlich, hast du nie gedacht, es wäre schön mit uns beiden ...? Bitte, lach nicht! Ich, das dumme Putchen, das dich anzumachen versucht ... ich möchte es einfach wissen ... weil, na ja ... man fühlt sich irritiert, wenn einer immer mit den Augen an einem hängt, aber niemals Anstalten macht ... das erwartet man doch irgendwann mal.“
Er rang um Fassung.
Verdammt, dachte er, die Kleine liebt wahrhaftig keine Umwege. Sie hat also doch verstanden. Der Mann hat Recht, der mal gesagt hat, man brauche nur zu sagen, was man denkt, um die Leute zu schocken.
„Nun ja“, gestand er widerwillig ein, „wenn du mich so direkt fragst, warum soll ich’s leugnen. So was habe ich wirklich gedacht ... und denk es immer noch. Ist ja wohl kein Verbrechen.“
„Dann begreife ich aber nicht ... du hättest doch ... war es, weil ich nie allein war? Oder ...“, sie zögerte, ehe sie sagte, als falle es ihr eben erst ein: „Ach ja, ich sehe jemandem ähnlich ... das wird es sein, du bist nicht frei.“
Er fühlte sich unbehaglich unter ihrem fragenden Blick. Was sollte er darauf erwidern? Doch da er nun einmal Wandas Existenz angedeutet hatte, musste er wohl so was wie eine Erklärung versuchen.
„In gewisser Weise ... der erste Eindruck, tatsächlich ... und auch wieder nicht.“ Er suchte nach den treffenden Worten. Wie soll man jemandem begreiflich machen, was einem selbst noch Kopfschmerzen bereitet?
„Wir kennen uns schon lange, sind gute Freunde und mehr, ohne indes ... es ist mehr sporadisch, obwohl ich gehofft hatte ... kompliziert, was ...? Wanda hat einen ziemlich eigenwilligen Charakter.“
„Ah, dachte ich’s mir, es musste einen Grund haben. Wanda heißt sie also ... ist es die, von der du manchmal Briefe erhältst?“
„Das weißt du?“
„Wie jeder im Hause. Wer schreibt sich heutzutage noch Briefe? Ist wie eine Art Sensation, über die geredet wird, na klar. Denkst du, sie nimmt es auch so genau mit der Treue wie du?“
Unmerklich zuckte er zusammen. Dieses Mädchen hat ein merkwürdiges Talent, an wunden Stellen zu kratzen, dachte er. Sie trifft immer dorthin, wo es schmerzt.
„Ich habe kein Recht, das von ihr zu fordern“, sagte er abweisend. „Was ich hoffe, ist meine Sache.“
„Entschuldige, wenn ich indiskret war. Es geht mich nichts an. Es ist nur, du interessierst mich eben. Da wir gerade darüber reden, möchte ich dir doch noch gern sagen, was ich davon halte. Darf ich? Nun ja, ich finde, Liebe ist eine Sache auf Gegenseitigkeit. Wenn sich deine Freundin nicht zur Treue verpflichtet fühlt, kann sie auch nicht erwarten, dass du es bist. Ganz ehrlich, ich glaube, ich wäre da nicht so penibel. Möchte mich einer und ich möchte ihn auch ... sag selbst, soll man wegen einer Hoffnung davor zurückschrecken? Von der man nicht weiß, ob sie sich jemals erfüllt? Und vielleicht erweist sich gerade das, was zuerst wie ein Abenteuer aussieht, als große Erfüllung ... wäre doch möglich?“
Sie sprach mit gerunzelter Stirn, wie jemand, der ein schwieriges Problem sachlich zu analysieren versucht, und sah hinreißend aus.
Beim großen Manitou, dachte er, nun dreht sie den Spieß um und fasst mich bei meinen eigenen Gedanken. Ob sie mir damit tatsächlich was annoncieren will? Sie sieht nicht so aus, aber wo Theorie raucht, flammt für gewöhnlich bald das Feuer der Praxis. Und lodert es erst mal ...ich weiß Bescheid, ich hab noch Brandblasen an den Fingern und anderswo. Dennoch, an d e r Glut würde ich mich ganz gern einige Zeit wärmen, obwohl es Irrsinn wäre. Wohin sollte das wohl führen? Angeblasen ist leicht, macht Spaß, löschen weniger, dabei sengt man sich oft selber an. Aber in dem Punkt muss der Mensch was von einer Motte haben, es zieht ihn mit magischer Gewalt zur Flamme, alle Erfahrungen sind für die Katz’. Ich fürchte, ich fürchte ... wenn sie wirklich mal A rufen sollte, bin ich zu schwach, nicht B zu flüstern.
„Was soll ich dazu sagen? Wahrscheinlich ist da was dran, es ist nur, ein schwerfälliger Typ wie ich kann sein Beharrungsvermögen nicht so leicht überwinden … vielleicht, wenn ein kräftiger Anstoß käme ... von dir zum Beispiel. Ich meine das natürlich rein theoretisch, bitte, versteh mich nicht falsch“, fügte er hastig hinzu, in Sorge, sie könne es als Aufforderung auffassen und sich verletzt fühlen.
„Wie sollte ich“, sagte sie mit Unschuldsmiene, in ihren Augen blinkten Schalkfunken. „Wir sitzen doch nur zusammen, brav wie im Warteraum des Med-Centers und reden miteinander über dies und das, wie sich’s eben ergibt, wenn die Zeit lang ist. Was anderes wär es, du hättest wirklich was für mich übrig ... dann müsste ich ernsthaft über deinen Vorschlag nachdenken und ihn zumindest wohlwollend in Erwägung ziehen. Aber so ... du sagst doch selbst, es ist rein theoretisch gemeint.“
Sie lachte ihn an.
„Ich muss jetzt gehen. Also dann erwarte ich dich an meinem Tisch. Du bist heute Abend mein Partner, so ist es abgemacht, ja?“
„Nur heute Abend?“, fragte er kurzatmig und fühlte sich als Draufgänger.
„Ist das auch theoretisch gemeint?“ Sie lächelte spitzbübisch und schenkte ihm einen verheißungsvollen Augenaufschlag, der seinen Puls merklich beschleunigte. „Bis dann.“
Читать дальше