»Scheiß drauf!« Sie wurde lauter. »Von diesem Papierkram, wie du das nennst, leben wir, das weißt du ganz genau. Oder ist dir das in deinem Größenwahn entfallen? Wir sind Partner, aber das sind wir die längste Zeit gewesen, wenn du nicht auch deinen Teil beiträgst. Ich will nicht die ganze Arbeit alleine machen müssen. Ich bin nicht deine Sekretärin.«
Ich war verdattert und, ja, auch etwas eingeschüchtert. So kannte ich Sonja überhaupt nicht. Für mich war sie die personifizierte Ausgeglichenheit, was an sich schon ein Ding der Unmöglichkeit ist und bei einer Frau sowieso. Immer fröhlich, immer freundlich, für jede Kabbelei zu haben. Etwas exzentrisch, gewiss, doch auf eine charmante Art.
Doch jetzt war sie zur Furie geworden.
Und sie war noch nicht fertig.
Sie packte mich am Arm. Ihr Griff war so hart, wie man es bei einer Frau ihrer Statur nicht vermutet hätte. Sie hatte den achten Dan und verbrachte viel Zeit im Sportstudio. Wie sich das anfühlte, hatte ich selber noch nicht zu spüren bekommen. Sie schob mich in mein Zimmer.
»Was ist los mit dir? Hast du deine Tage?«
»Und wenn, dann geht dich das einen Scheißdreck an!«
Also doch. Oder noch schlimmer, war sie vielleicht schwanger? Aber nein, da brauchte ich mir bei ihr nun wirklich keine Gedanken zu machen.
Ich schloss die Tür, wartete eine Weile und riss sie dann wieder auf. So schnell gab ich nicht klein bei.
»Oder sind das vielleicht die Wechseljahre?«
Was da angeflogen kam, war ein Kaffeebecher. Er verfehlte mich knapp und zerbarst am Türrahmen.
Scherben in einer braunen Lache. Liegen lassen oder zusammenkehren? Liegen lassen. Hier galt das Verursacherprinzip, sollte Sonja sich selber um die Sauerei kümmern.
Sie stand da, stemmte die Hände in die Hüfte und funkelte mich wütend an. Sie war ungeheuer sexy in ihrem Zorn, aber das sagte ich jetzt besser nicht. Ich sagte am besten überhaupt nichts mehr.
Was war nur los mit ihr? Ob ich sie fragen sollte? Aber ein Blick in ihre Augen belehrte mich eines Besseren. Nicht der richtige Zeitpunkt, entschied ich. Man muss wissen, wann man zu schweigen hat. Ich fürchtete einen neuerlichen Wutausbruch.
Also setzte ich mich hinter meinen Schreibtisch und starrte finster auf den Stapel Papierkram.
Sonja kam zur Tür und starrte mich genauso finster an.
»Willst du mich etwa beaufsichtigen?«, fragte ich.
»Ja.«
Allmählich reichte es. »Hör auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln.«
»Du bist wie ein kleines Kind. Du denkst nur an dich, und wenn man dir dein Spielzeug wegnimmt, weinst du.«
»Was immer es ist, wir können reden. Aber lass deinen Frust nicht an mir aus.«
Wortlos drehte sie sich um und knallte die Tür zu. Es schepperte ziemlich.
Dann eben nicht.
Ich rief bei Baldauf an, dass es später würde, und widmete mich genervt dem Papierstapel.
Obenauf lag der Brief einer Rechtsanwältin aus Aalen. Dr. Nele Bögelsack-Aufderheyde. Heiliger Strohsack, eine Doppeltussi! Ich sah sie vor mir: schwarze Hornbrille, streng toupiertes Haar, bestimmt ein paar Pfunde zu viel. Kein Make-up und ein schmallippiger Mund.
Als ich den Brief gelesen hatte, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Mitunter kann Papierkram sogar Spaß machen.
Einer meiner Kunden hatte in Aalen einen Auffahrunfall gehabt. Nichts Dramatisches, der übliche Blechschaden, wie er tagtäglich tausendfach vorkommt. Der Geschädigte holte sich seinen eigenen Gutachter, was sein gutes Recht war, die Unterlagen landeten auf meinem Tisch. Normalerweise prüft man die Sachlage flüchtig und winkt den Fall dann durch – reine Routine.
Irgendetwas jedoch hatte mich stutzig werden lassen. Ich konnte nicht sagen, was, nur dass es weit hinten geklingelt hatte. So ein unbestimmtes Gefühl, das man nicht greifen kann. Das ärgerte mich, denn ich wollte mich nicht mit losen Fäden herumschlagen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gingen.
Ich hatte die Unterlagen noch ein paar Tage liegen lassen. Nicht aus Faulheit, sondern weil ich Klarheit wollte.
Irgendwann war mir die Verbindung eingefallen. Das Unfallauto war ein betagtes BMW E30 Cabrio, aus jenen Zeiten, als die Autos noch Stil hatten. Ich hatte mich selber mal in eine solche Karre verguckt, war aber, wenn auch schweren Herzens, schnell wieder zur Vernunft gekommen. Ich brauche ein Auto, das zuverlässig fährt, und ich bin kein Schrauber.
Genau so ein Wagen war vor nicht allzu langer Zeit von einem anderen meiner Kunden gerammt worden, auch ein Auffahrunfall, in Winnenden diesmal. Das konnte natürlich Zufall sein, diese Kisten waren noch immer zahlreich unterwegs.
Ich kramte die Akte heraus, und siehe da, es handelte sich um dasselbe Auto. Nur der Halter hatte mittlerweile gewechselt. Das Ingenieurbüro, das den Schaden begutachtet hatte, war hingegen identisch.
Das alles musste nichts zu bedeuten haben. Trotzdem recherchierte ich ein wenig, ließ meinen Privathacker Rolf zudem in ein paar Datenbanken stöbern, in denen wir nichts zu suchen hatten, und schrieb dann einen freundlichen Brief, dass wir im aktuellen Fall die Reparaturkosten nicht in voller Höhe übernehmen könnten, da eine Mitschuld des Geschädigten Mario Lohse nicht auszuschließen sei. Er hatte nämlich, wie mein Kunde geschildert hatte, ziemlich abrupt, sehr heftig und ohne jeden ersichtlichen Grund gebremst.
Vor Gericht wären wir damit sicher nicht durchgekommen, aber ich wollte einfach wissen, wie Lohse darauf reagieren würde.
Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dem Brief seiner Anwältin. Allmählich begann der simple Auffahrunfall interessant zu werden.
Ich griff zum Telefon. Frau Doktor sei leider nicht da. Einen Termin? Und wegen was? Heute? Leider nicht. Morgen ebenfalls nicht, Frau Doktor sei außer Haus. Am Mittwoch? Aber erst um neunzehn Uhr. Gut, Frau Doktor erwarte mich dann.
Hatte einen langen Arbeitstag, die Frau Doktor. Das passte. Ehrgeizig bis zum Gehtnichtmehr. Eine, die sich ständig beweisen musste, dass sie besser war, vor allem besser als die Männer.
Mir war’s egal. Auf mich wartete ohnehin niemand zu Hause.
Brav arbeitete ich den ganzen Stapel ab, und je kleiner er wurde, desto mehr besserte sich meine Laune. Ist doch schön, wenn man sieht, was man geschafft hat. Und außerdem winkte bald die Freiheit.
Ich schnappte mir mein geliebtes braunes Versace-Lederjäckchen und ging hinüber zu Sonja.
»Alles erledigt, Chefin. Ich fahre jetzt raus nach Bühlerzell, Chefin. Ist das genehmigt, Chefin?«
Sonja schaute nicht einmal auf.
***
Vor meinem Haus stand Helmar Haag und produzierte heftigen Qualm aus seiner Pfeife.
»Hast du einen an der Waffel?«, fragte er.
»Was meinst du damit genau?«
»Dieses Schild.«
»Sieht doch gut aus. Was machst du eigentlich hier? Nichts zu tun beim Lokalblatt?«
»Wollte mir das Schild ansehen. Ich konnte es nicht glauben.«
»Ach? Hat sich das schon rumgesprochen?«
»Allerdings.«
»Sehr gut. Dann brauche ich keine Werbung zu machen. Sie werden strömen, meine Klienten.«
»Die kommen höchstens, um dich auszulachen.«
»Eigentlich müsstest du im Haller Kurier über mich schreiben.«
Er war entrüstet. »Wieso das denn?«
»Bereicherung des Geschäftslebens oder so.«
»Ich mache mich doch nicht lächerlich. Das überlasse ich dir schon selber.«
»Weißt du, dass angeblich jeder zweite Mord unerkannt bleibt?«
»Und?«
»Das wird sich jetzt ändern. Wo die Polizei versagt, springt der Privatdetektiv ein.«
»Du meinst das doch nicht etwa ernst?«
»Aber ja.«
»Dillinger, du spinnst!«
Kopfschüttelnd ging er davon.
Immer das Gleiche. Genies werden verkannt.
***
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