Rudi Kost
Siedend heiß
Eine Hohenlohe-Krimi
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Ich fühlte mich grottenschlecht und hatte meine liebe Not, das zu verbergen.
»Du kennst sie also«, stellte Keller fest.
»Ja.«
»Eine Kundin?«
»Nein.«
»Aha.«
»Was soll das heißen: Aha?«
»Hätte ich mir denken können.«
»Was?«
»Schließlich kennst du jedes halbwegs ansehnliche Mädchen in Schwäbisch Hall.«
Ich sah keine Notwendigkeit, dem zu widersprechen. Hinter mir hörte ich Karin kichern. Miststück!
Ja, ich hatte Andrea gekannt. Sie war ein hübsches, lebenslustiges Mädchen gewesen, voller Energie und Tatendrang, für jeden Spaß zu haben.
Aber nun war sie tot.
Sie war neugierig gewesen auf das Leben. Vielleicht zu neugierig. Ich dachte daran, wie wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Das letzte Mal! Das sagt man so leichthin, und plötzlich wird es wahr. Es war nur eine kurze Begegnung gewesen, ein paar Wochen zuvor. Wir müssen uns mal wieder treffen, hatte sie gesagt, es gibt viel zu erzählen. Was man eben so sagt. Gelacht hatte sie dabei.
Jetzt hatten wir uns getroffen. Aber es gab nichts mehr zu erzählen.
»Ich habe sie gekannt, ja«, räumte ich leise ein. Mir ging die Sache mehr an die Nieren, als ich zugeben wollte.
»Gut?«
»Ja.«
»Wie gut?«
»Was meinst du damit?«, fragte ich.
Ich wusste genau, was er meinte, schließlich kannte ich Keller schon seit etlichen Jahren. Aber ich wollte es vom Kommissar selber hören. Ich wollte hören, wie er sich wand, wie er herumstotterte und verlegen wurde.
Ich hätte es besser wissen müssen. Keller stotterte nie herum. Er nahm immer den direkten Weg.
»Warst du mit ihr in der Kiste oder nicht?«
So direkt hätte es auch nicht sein müssen. Ich war peinlich berührt. Schließlich befanden wir uns an einem Tatort und waren keineswegs allein. Ich bildete mir ein, dass die Leute, die hier herumwuselten und Spuren sicherten, in ihrer Arbeit innehielten und auf meine Antwort warteten.
»Der Gentleman genießt und schweigt«, erwiderte ich würdevoll.
»Gentleman, aha. Ich entdecke ganz neue Seiten an dir.«
»Mir ist nicht nach Scherzen zumute.«
»Also hast du«, konstatierte Keller.
»Was geht dich das an?«
»Die war doch bestimmt fünfzehn Jahre jünger als du. Viel zu jung für dich.«
»Andrea war dreiundzwanzig«, informierte ich ihn.
»Sag ich doch.«
Warum ritt er nur so darauf herum? Blanker Neid, was sonst. Er nervte.
»Manche Frauen wissen reife Männer zu schätzen«, erwiderte ich giftig. »Aber keine überreifen wie dich.«
Ich hatte gedacht, ich könnte ihn damit auf die Palme bringen. Es war aber genau umgekehrt. Ich saß oben und spielte mit den Kokosnüssen. Er grinste nur.
»Nun mal Klartext, Dillinger«, sagte Keller, wieder ganz ernst und ganz professionell. »Wie lange ging das mit euch? Bis wann? Wann hast du sie das letzte Mal gesehen? Was waren ihre Vorlieben? Und ich meine jetzt nicht Schokoladenkuchen oder so was. Komm, teile deine intimen Kenntnisse mit mir.«
Er ging mir gewaltig auf den Keks. Ich war müde, und mir ging es gar nicht gut. Andrea war nicht die erste Leiche, die ich sah. Aber die erste, mit der mich etwas Persönliches verband.
»Was, zum Henker, soll diese Fragerei?«
»Herrgott, Junge, du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff. Ich muss mehr über sie wissen. Und zwar schnell. Spuren erkalten, das muss ich dir nicht sagen.«
Ich machte eine große Handbewegung.
»Hier gibt es jede Menge Leute, die Andrea gekannt haben. Gut gekannt sogar.«
»Die sind entweder besoffen oder schockiert. Oder beides.«
»Ich auch.«
»Du bist hart im Nehmen.«
Ich straffte meine Schultern und zog den Bauch ein.
»Also?«, drängte Keller.
»Was genau willst du wissen?«
»War das ihre Sache, eine schnelle Nummer hinterm Busch? Es soll ja die absonderlichsten Vorlieben geben.«
Ich räusperte mich. »Keine Ahnung.«
»Was soll das heißen?«
»Verdammt noch mal!«, fuhr ich ihn an. Die Stunde der Wahrheit war gekommen. »Ich war nicht mit ihr im Bett, deshalb weiß ich es nicht.«
Ich wartete auf eine spitze Bemerkung von ihm, doch erstaunlicherweise hielt er sich zurück.
»So, so«, knurrte er nur. Karin kicherte schon wieder. Die konnte was erleben!
Ich war mit Andrea ein paar Mal ausgegangen, doch es hatte sich nichts Ernsthaftes entwickelt. Wahrscheinlich hatte das auch keiner von uns beiden erwartet. Wir hatten uns gut verstanden, es waren nette Abende, aber mehr nicht. Sie war wirklich zu jung für mich gewesen. Oder ich zu alt für sie. Zu alt für eine Beziehung. Und zu jung für einen väterlichen Freund.
»Hatte sie einen Lover?«, fragte Keller. Lover!
»Sie hatte einen Freund, als ich sie das letzte Mal traf«, erwiderte ich. »Das muss aber nicht der aktuelle Stand sein. Ist schon ein paar Wochen her.«
»Hat der Freund einen Namen?«
»Freddy«, antwortete ich.
»Nachname?«
»Weiß ich nicht.«
»Freddy! Wer heißt denn heutzutage noch Freddy! Und weiter?«
»Ich kann dir nichts über ihn sagen. Andrea und ich sind in einer Kneipe übereinander gestolpert, und sie hat mir kurz von ihm erzählt. Ich habe ihn gar nicht gesehen.«
Keller kaute auf seinem kalten Zigarillo und starrte grimmig auf Andrea Frobel hinab.
Die tote Frau war nackt, und sie war schön. Wenigstens vom Hals an abwärts. Das darüber sah nicht so appetitlich aus. Andrea Frobel war erwürgt worden. Mit ihrem roten Halstuch, das so etwas wie ihr Markenzeichen gewesen war. Ihre Kleider lagen seltsamerweise säuberlich gefaltet neben ihr. Es war die Tracht der Haller Sieder.
Ich hatte Andrea hinter einem Gebüsch auf dem Unterwöhrd gefunden. Die Polizei bemühte sich, so unauffällig zu agieren, wie es nur möglich war. Aber wenn die Spurensicherung anrückt, bleibt das nicht unbemerkt. Schon gar nicht nachts, wenn die Jungs ihre starken Lichter anwerfen.
»Du weißt, was diese Sache bedeutet«, meinte Keller.
Natürlich wusste ich das. Jeder, der hier herumstand, wusste es.
Es war der Freitag vor Pfingsten. Rings um uns rüstete sich die Stadt zu ihrem großen Fest.
Die Nacht war sommerlich warm, und die nächsten Tage versprachen Sonne und Hitze. Besser hätte der Auftakt zum Siedersfest nicht sein können.
Es war noch keine Stunde her, da hatte man hier auf dem Unterwöhrd gefeiert und getrunken und getanzt und gelacht, hatte alte Freunde wiedergesehen und neue gefunden, hatte einen Abend lang alles hinter sich gelassen und nur für den Augenblick gelebt.
Jetzt hatte die ausgelassene Stimmung einen gehörigen Dämpfer bekommen. Hinter den Absperrungen drängelten sich stumm die Menschen, die vorher noch so fröhlich beisammengesessen hatten. Die Band packte ihre Sachen zusammen. Noch wusste niemand, was da genau los war. Doch früh genug würde es sich herumsprechen.
Mit einigem Bangen dachte ich an die nächsten Tage.
***
Als Bürger von Schwäbisch Hall darf man das ja nicht laut sagen, aber nach Möglichkeit flüchte ich vor dem alljährlichen Fest der Salzsieder an Pfingsten. Zu viel Lärm, zu viel Trubel, zu viele Touristen.
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